"Hohe Maturitätsquote führt zu mehr Studienabbrüchen", Basler Zeitung, 6.7. von Aaron Agnolazza
Ein Vorstoss von SVP-Grossrätin Daniela Stumpf will mittels
höherer Anforderungen für das Gymnasium die Maturitätsquote senken. Im
BaZ-Interview erklärt Hochschulforscherin Andrea Diem von der Schweizerischen
Koordinationsstelle für Bildungsforschung, weshalb eine hohe Maturitätsquote zu
mehr Studienabbrüchen führt.
BaZ: Frau Diem, der Kanton
Basel-Stadt weist die höchste gymnasiale Maturitätsquote der Schweiz aus. Sind
Basler Schülerinnen und Schüler so viel klüger als der Rest der Schweiz?
Andrea
Diem: Es spricht wenig dafür, dass die Schüler in Basel so viel intelligenter
sind als in der übrigen Schweiz. Die tiefen Quoten bei den Berufsmaturitäten
sprechen denn auch ein anderes Bild. Mit den Pisa-Daten lässt sich zudem
zeigen, dass in Kantonen mit einer hohen Maturitätsquote mehr Schüler mit nur
mittleren Kompetenzen ans Gymnasium übertreten als in Kantonen mit tieferen
Maturitätsquoten. Eine Untersuchung zu Fachkompetenzen an Maturitätsschulen
weist ebenfalls darauf hin, dass diese in Kantonen mit hohen Quoten geringer
ausfallen.
Weshalb
sind die Maturitätsquoten insbesondere in Städten höher als auf dem Land?
Hier
sind zwei Gründe entscheidend. Einerseits führt in städtischen Gebieten die
kürzere Distanz zu den Universitäten dazu, dass mehr Jugendliche den
allgemeinbildenden Weg einschlagen. Andererseits ist in Städten die Bevölkerung
generell höher gebildet. Dies führt dazu, dass die Kinder im Durchschnitt mehr
gefördert werden und sich die Eltern vermehrt wünschen, dass ihre Kinder das
Gymnasium besuchen und später studieren.
Der
Anteil an Maturanden, welche die eidgenössische Matur ablegen, ist im Gegensatz
zu denen, die die kantonale Matur abschliessen, verhältnismässig gering. Welche
Rolle spielt hier der Föderalismus?
Bekanntlich
liegt die Schulhoheit bei den allgemeinbildenden Schulen, zu denen auch die
Gymnasien gehören, bei den Kantonen. Dies führt dazu, dass jeder Kanton sein
eigenes Bildungssystem hat. Die Maturitätsquoten sind Ausfluss dieses
föderalistischen Systems und sind entsprechend historisch unterschiedlich
gewachsen. In einzelnen Kantonen ist die Quote tief, in anderen, wie in
Basel-Stadt, ist sie traditionell höher.
Im
Vergleich zum Ausland weist die Schweiz dennoch eine vergleichsweise tiefe
Maturitätsquote auf. Woran liegt das?
Die
Schweiz sowie die weiteren deutschsprachigen Länder haben ein gut ausgebautes
Berufsbildungssystem. Bei uns machen knapp zwei Drittel aller Jugendlichen eine
duale Berufslehre, ein Drittel absolviert eine allgemeinbildende Schule. Die
tiefen Maturitätsquoten in der Schweiz kommen daher, dass der Zugang an die
Maturitätsschulen beschränkt ist, um im Gegenzug eine freie Studienwahl zu
gewährleisten. Dies ist einzigartig. In andern Ländern sind Jugendliche in der
Wahl des Studiums beziehungsweise der Universität häufig eingeschränkt aufgrund
von Zulassungsbeschränkungen. Andererseits bestehen für Personen mit einem
beruflichen Fähigkeitszeugnis auch verschiedene Möglichkeiten zur
Weiterqualifikation im Rahmen der höheren Berufsbildung oder – mit einer
Berufsmaturität – an Fachhochschulen.
Gefährdet
eine hohe Maturitätsquote nicht zwangsläufig das duale Bildungssystem der
Schweiz?
Natürlich
besteht die Gefahr, dass gewisse Berufslehren, die sehr anspruchsvoll sind,
nicht mehr angeboten werden. Denn Firmen, die keine Bewerber mit den nötigen
Kompetenzen mehr finden, da sie alle ins Gymnasium gehen, werden lieber
niemanden ausbilden als jemanden, der die Anforderungen nicht erfüllt.
Welchen
Zusammenhang gibt es zwischen hohen Maturitätsquoten und der Anzahl an
Studienabbrüchen an der Universität?
Unsere
Forschungsresultate zeigen, dass das Risiko eines Studienabbruchs höher ist bei
Studierenden, die aus Kantonen kommen, in denen die Maturitätsquote hoch ist.
Konkret führte eine zu einem Prozentpunkt höhere Maturitätsquote zu einem
Anstieg der Studienabbruchsquote von ebenfalls rund einem Prozentpunkt. Das
heisst, eine hohe Maturitätsquote führt zu signifikant mehr Studienabbrüchen.
Wie
viele Studienanfänger brechen im Schnitt ein Studium ab?
In
den früheren Lizenziats- und Diplomstudiengängen belief sich die Zahl der
Studienabbrecher auf rund 30 Prozent. Für die kürzeren Bachelorstudiengänge
zeigen die neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik, dass drei Viertel
aller Universitätsstudierenden das Studium innert sieben Jahren abschliessen.
Das heisst, ein Viertel erlangt keinen universitären Abschluss. Rund fünf
Prozent der Studienanfänger wechseln jedoch an eine Fachhochschule oder
pädagogische Hochschule und machen dort noch einen Abschluss.
Können
Sie die volkswirtschaftlichen Kosten von Studienabbrüchen beziffern?
Eine
Kostenberechnung gestaltet sich schwierig, einerseits weil gewisse Studierende
ihr Universitätsstudium gerade deshalb abbrechen, da sie eine gute
Arbeitsstelle gefunden haben. Andererseits ist schwierig zu überprüfen,
inwieweit jemand, der beispielsweise nach zwei Jahren sein Studium abbricht,
die erworbenen Kompetenzen in der Berufswelt doch noch verwerten kann.
In
Basel-Stadt sind Vorstösse im Parlament hängig, welche etwa die
Aufnahmekriterien für die Gymnasien verschärfen wollen, um die Maturitätsquote
zu senken. Ein richtiger Ansatz?
Generell
ist es schwierig, eine Aussage darüber zu machen, wie hoch die «richtige»
Maturitätsquote sein soll. Im Fall des Kantons Basel-Stadt, der mit 30,5
Prozent die schweizweit höchste Maturitätsquote ausweist, kann jedoch vermutet werden,
dass der Anteil an Jugendlichen, die an eine Maturitätsschule zugelassen
werden, am oberen Limit liegt.
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