7. Juli 2015

Basel-Stadt mit höchster Maturaquote

Der Kanton Basel-Stadt weist mit 30,5 Prozent für das Jahr 2014 die höchste gymnasiale Maturitätsquote der Schweiz aus. Im Interview äussert sich Andrea Diem über die Akademisierung in Basel.
"Hohe Maturitätsquote führt zu mehr Studienabbrüchen", Basler Zeitung, 6.7. von Aaron Agnolazza



Ein Vorstoss von SVP-Grossrätin Daniela Stumpf will mittels höherer Anforderungen für das Gymnasium die Maturitätsquote senken. Im BaZ-Interview erklärt Hochschulforscherin Andrea Diem von der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung, weshalb eine hohe Maturitätsquote zu mehr Studienabbrüchen führt.

BaZ: Frau Diem, der Kanton Basel-Stadt weist die höchste gymnasiale Maturitätsquote der Schweiz aus. Sind Basler Schülerinnen und Schüler so viel klüger als der Rest der Schweiz?
Andrea Diem: Es spricht wenig dafür, dass die Schüler in Basel so viel intelligenter sind als in der übrigen Schweiz. Die tiefen Quoten bei den Berufsmaturitäten sprechen denn auch ein anderes Bild. Mit den Pisa-Daten lässt sich zudem zeigen, dass in Kantonen mit einer hohen Maturitätsquote mehr Schüler mit nur mittleren Kompetenzen ans Gymnasium übertreten als in Kantonen mit tieferen Maturitätsquoten. Eine Untersuchung zu Fachkompetenzen an Maturitätsschulen weist ebenfalls darauf hin, dass diese in Kantonen mit hohen Quoten geringer ausfallen.

Weshalb sind die Maturitätsquoten insbesondere in Städten höher als auf dem Land?
Hier sind zwei Gründe entscheidend. Einerseits führt in städtischen Gebieten die kürzere Distanz zu den Universitäten dazu, dass mehr Jugend­liche den allgemeinbildenden Weg einschlagen. Andererseits ist in Städten die Bevölkerung generell höher gebildet. Dies führt dazu, dass die Kinder im Durchschnitt mehr gefördert werden und sich die Eltern vermehrt wünschen, dass ihre Kinder das Gymnasium besuchen und später studieren.

Der Anteil an Maturanden, welche die eidgenössische Matur ablegen, ist im Gegensatz zu denen, die die kantonale Matur abschliessen, verhältnismässig gering. Welche Rolle spielt hier der Föderalismus?
Bekanntlich liegt die Schulhoheit bei den allgemeinbildenden Schulen, zu denen auch die Gymnasien gehören, bei den Kantonen. Dies führt dazu, dass jeder Kanton sein eigenes Bildungssystem hat. Die Maturitätsquoten sind Ausfluss dieses föderalistischen Systems und sind entsprechend historisch unterschiedlich gewachsen. In einzelnen Kantonen ist die Quote tief, in anderen, wie in Basel-Stadt, ist sie traditionell höher.

Im Vergleich zum Ausland weist die Schweiz dennoch eine vergleichsweise tiefe Maturitätsquote auf. Woran liegt das?
Die Schweiz sowie die weiteren deutschsprachigen Länder haben ein gut ausgebautes Berufsbildungssystem. Bei uns machen knapp zwei Drittel aller Jugendlichen eine duale Berufslehre, ein Drittel absolviert eine allgemeinbildende Schule. Die tiefen Maturitätsquoten in der Schweiz kommen daher, dass der Zugang an die Maturitätsschulen beschränkt ist, um im Gegenzug eine freie Studienwahl zu gewährleisten. Dies ist einzigartig. In andern Ländern sind Jugendliche in der Wahl des Studiums beziehungsweise der Universität häufig eingeschränkt aufgrund von Zulassungsbeschränkungen. Andererseits bestehen für Personen mit einem beruflichen Fähigkeitszeugnis auch verschiedene Möglichkeiten zur Weiterqualifikation im Rahmen der höheren Berufsbildung oder – mit einer Berufsmaturität – an Fachhochschulen.

Gefährdet eine hohe Maturitätsquote nicht zwangsläufig das duale Bildungssystem der Schweiz?
Natürlich besteht die Gefahr, dass gewisse Berufslehren, die sehr anspruchsvoll sind, nicht mehr angeboten werden. Denn Firmen, die keine Bewerber mit den nötigen Kompetenzen mehr finden, da sie alle ins Gymnasium gehen, werden lieber niemanden ausbilden als jemanden, der die Anforderungen nicht erfüllt.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen hohen Maturitätsquoten und der Anzahl an Studienabbrüchen an der Universität?
Unsere Forschungsresultate zeigen, dass das Risiko eines Studienabbruchs höher ist bei Studierenden, die aus Kantonen kommen, in denen die Maturitätsquote hoch ist. Konkret führte eine zu einem Prozentpunkt höhere Maturitätsquote zu einem Anstieg der Studienabbruchsquote von ebenfalls rund einem Prozentpunkt. Das heisst, eine hohe Maturitätsquote führt zu signifikant mehr Studienabbrüchen.

Wie viele Studienanfänger brechen im Schnitt ein Studium ab?
In den früheren Lizenziats- und Diplomstudiengängen belief sich die Zahl der Studienabbrecher auf rund 30 Prozent. Für die kürzeren Bachelorstudiengänge zeigen die neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik, dass drei Viertel aller Universitätsstudierenden das Studium innert sieben Jahren abschliessen. Das heisst, ein Viertel erlangt keinen universitären Abschluss. Rund fünf Prozent der Studienanfänger wechseln jedoch an eine Fachhochschule oder pädagogische Hochschule und machen dort noch einen Abschluss.

Können Sie die volkswirtschaftlichen Kosten von Studienabbrüchen beziffern?
Eine Kostenberechnung gestaltet sich schwierig, einerseits weil gewisse Studierende ihr Universitätsstudium gerade deshalb abbrechen, da sie eine gute Arbeitsstelle gefunden haben. Andererseits ist schwierig zu überprüfen, inwieweit jemand, der beispielsweise nach zwei Jahren sein Studium abbricht, die erworbenen Kompetenzen in der Berufswelt doch noch verwerten kann.

In Basel-Stadt sind Vorstösse im Parlament hängig, welche etwa die Aufnahmekriterien für die Gymnasien verschärfen wollen, um die Maturitätsquote zu senken. Ein richtiger Ansatz?

Generell ist es schwierig, eine Aussage darüber zu machen, wie hoch die «richtige» Maturitätsquote sein soll. Im Fall des Kantons Basel-Stadt, der mit 30,5 Prozent die schweizweit höchste Maturitätsquote ausweist, kann jedoch vermutet werden, dass der Anteil an Jugendlichen, die an eine Maturitätsschule zugelassen werden, am oberen Limit liegt.

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