Wie können die Möglichkeit am besten ausgeschöpft werden? Bild: Netzwoche
Wie mobiles Lernen Schulen verändert, Netzwoche, 17.6. von Christoph Grau
Digitalisierung erfasst alle gesellschaftlichen Bereiche in der Schweiz.
Nicht nur Unternehmen, auch Schulen müssen sich den fünf Megatrends: Social,
Security, Big Data, Cloud und Mobile stellen. Für Schulen ist das Thema Mobile
eine der grössten Herausforderungen. Laptops, Tablets und Smartphones sind
immer häufiger auch im Schulalltag anzutreffen. Der Einsatz mobiler Geräte wird
von der Basis vorangetrieben. Denn nicht nur die Schüler, sondern auch die
Lehrer nutzen diese Geräte täglich in ihrem privaten Umfeld, wie Claudia
Balocco, Bildungsverantwortliche Microsoft Schweiz, in einem Gespräch sagt.
In der Schweiz steckt das mobile Lernen an den Schulen aber im Vergleich
zu anderen Ländern noch in den Kinderschuhen. Doch der Druck von unten wächst,
sodass die "Bremser immer mehr ausgebremst werden", bringt es Balocco
auf den Punkt.
BYOD auch an Schulen ein heisses Thema
Da die Anschaffung von mobilen Geräten für Schulen sehr kostspielig ist,
sehen viele von ihnen den Trend zu Bring your own Device (BYOD) als Lösung. Das
Potenzial in diesem Bereich ist enorm, wie die James-Studie (Jugend,
Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz) zeigt. Im Rahmen dieser Studie befragt
das Institut für angewandte Psychologie der ZHAW alle zwei Jahre 1000
Jugendliche im Alter zwischen 12 bis 19 Jahren zu ihrem Medienverhalten. In der
aktuellen Ausgabe aus dem Jahr 2014 gaben 97 Prozent aller befragten
Jugendlichen an, ein Smartphone zu besitzen. Daher bietet sich dieses für den
aktiven Einsatz an Schulen geradezu an. Gleichzeitig tun sich hier mehrere
Problemfelder auf. Die grösste Schwierigkeit liegt in der Vielzahl der Geräte,
Betriebssysteme und dazu noch deren unterschiedliche Versionen. Im Unterricht
müsste der Lehrer für alle Varianten Problembewältigung und Unterstützung
leisten können, damit alle ihr Gerät jederzeit produktiv nutzen könnten, sagt
Balocco. Hinzu komme, dass bei BYOD nicht jeder Schüler auf seinem Gerät die
gleiche Software habe oder die Geräte nicht die Voraussetzungen erfüllten, um
Lernprogramme oder spezifische Apps darauf installieren zu können. Deswegen
bestünde die Gefahr, dass in solchen Settings das, was im Browser gemacht
werden könne, der kleinste gemeinsame Nenner sei und das Potenzial der Geräte
für das Lernen nicht ausgeschöpft werde, hält Balocco fest.
"Die
Schwierigkeiten bei privaten Geräten sind, dass man wohl nur gerade das
Internet nutzen kann, was noch nicht gerade einen grossen Mehrwert
ergibt", belegt Andres Steiff diese Einschätzung. Er spricht aus seiner
Erfahrung als Lehrer an der Oberstufe Weesen-Amden, er ist zudem Ausbildner für
Ausbildende AdA ICT an den Pädagogischen Hochschulen FHNW/PHZH.
Ein
Kulturwandel ist gefordert
Für Martin
Kathriner, Public Affairs & Citizenship Manager Samsung Electronics
Schweiz, ist es eine kulturelle Frage. Für ihn steckt die Schweiz noch in der
analogen Zeit fest. Häufig würden zwar Geräte wie Laptops oder Tablets
angeschafft, jedoch ohne deren Einsatz didaktisch zu begleiten. Wie auch in
Unternehmen brauche es einen Kulturwandel. Altbewährte Arbeitsabläufe und
Prozesse müssten an die neuen Technologien und Möglichkeiten angepasst werden,
zeigt sich Kathriner überzeugt.
Diese
Auffassung vertritt auch Balocco. Das Tablet werde häufig nur als
Consumer-Gerät gesehen, diene also zum Anschauen von Videos und zum Surfen im
Web. Ein weiteres Problem sei, dass die Lernprozesse nicht an die Möglichkeiten
der digitalen Welt angepasst würden. So könnten etwa die gleichen
Arbeitsblätter nicht mehr auf dem Papier, sondern auf dem Tablet ausgefüllt
werden. "Mobiles Lernen sollte aber viel mehr bringen", ist Balocco
der Meinung. Mobile Geräte sollten "Lernbegleiter" sein, wie Balocco
Tablets und Smartphones nennt. Der Einsatz mobiler Endgeräte sei ohne eine
umfassende Digitalisierung auch nur eine halbe Sache. Wo Unternehmen ihre Akten
und die damit verbundenen Prozesse digitalisieren müssen, seien es an den
Schulen die Lehrmaterialien.
In der Schweiz
komme die Digitalisierung aber nur langsam voran. Da viele Schweizer
Bildungsverlage nur sehr klein seien und einen begrenzten Markt bedienten,
könnten sie sich die aufwändige elektronische Aufbereitung ihrer Lehrinhalte
nicht leisten. Auch Urheberrechtsfragen seien ein Problem. Um den Mehrwert der
Technologie gegenüber dem Buch auszunutzen, müssten Apps, Programme und Portale
entwickelt werden. In der Praxis zeige sich dies durch die Einbettung von
Videos, Links, Lernzielkontrollen und spielerische Elemente, erklärt Balocco.
Mit der Initiative und der Website Learnify.ch wolle Samsung dem
entgegenwirken, sagt Kathriner. Samsung startete das Portal kürzlich in der
Schweiz. Es soll helfen, Materialien zu digitalisieren und deren Austausch
unter den Lehrern zu erleichtern.
Da das
Angebot an Apps noch begrenzt ist, kommt es auf die Eigeninitiative von
Lehrkräften an. Ein Beispiel hierfür ist Mobile-Pionier Streiff. Er entwickelte
kurz nach Einführung des iPads mehrere Apps für seinen Unterricht, die er aber
auch anderen Lehrern zur Verfügung stellt. "Ich entwickle etwa solche Apps
zu einem in der Schweiz und in Deutschland weit verbreiteten
Mathematik-Lehrmittel. Da ich die Apps auf privater Basis produziere, darf ich
den Namen dieses Lehrmittels nicht nennen. Anhand dieser Apps kann man
spielerisch üben, was an den Prüfungen abgefragt wird", erklärt Streiff
seinen didaktischen Ansatz.
Umstellung
ist eine Führungsaufgabe
Balocco
betont, dass der Verband der Schulleiter Schweiz das mobile Thema zwar zu einem
Führungsthema erklärt habe. Dennoch hielten sich die Schulleiter häufig noch
zurück und nähmen sich des Themas nicht aktiv an. Wie eine technische
Angelegenheit würden sie es delegieren. Dabei seien "beim schulischen
ICT-Einsatz durchaus die Kernprozesse einer Schule betroffen, oder sie könnten
es sein". Das Thema würde dann häufig an "die eine Lehrkraft"
delegiert, die etwas mit mobilen Technologien probieren wolle. Solche
engagierten Personen gebe es viele, aber leider würden diese nicht ausreichend
gefördert und unterstützt. Manchmal komme es daher vor, dass sie nach einiger
Zeit der Schule enttäuscht den Rücken kehrten, berichtet Balocco.
Solothurn
zeigt, wie es gehen kann
Insgesamt
gesehen sei die Schweiz beim mobilen Lernen noch nicht sehr weit
fortgeschritten. Es gebe aber keinen Grund, den Teufel an die Wand zu malen,
findet Balocco. Einige Kantone und Schulen machten es vor, wie mobile
Technologien in den Schulalltag integriert werden können. Balocco, Streiff und
auch Kathriner heben dabei die Vorbildfunktion des Kantons Solothurn hervor.
Der Kanton
läutete das mobile Zeitalter mit dem Projekt "myPad" ein. Dieses lief
von 2012 bis 2014. Die Schüler mehrerer Projektklassen erhielten ein eigenes
iPad für den Schuleinsatz. Das Gerät konnten sie nach der Schule auch mit nach
Hause nehmen und privat nutzen. Im Mai dieses Jahres zogen das Departement für
Bildung und Kultur des Kantons Bilanz. In einer Mitteilung wertete die Behörde
das Projekt als vollen Erfolg. Der Solothuner Bildungs- und Kulturdirektor Remo
Ankli schlussfolgerte daraus, dass künftig alle Schüler ein eigenes mobiles
Gerät für den Schuleinsatz besitzen sollten. Denn: "Bildung und Schule
werden genauso digital durchdekliniert wie alle anderen Gesellschaftsbereiche.
Der lange Zeit als stabil geltende Bildungskanon wird durch diese
Digitalisierung der Welt herausgefordert. Dies zu erkennen und damit umgehen zu
können, darauf sollten wir unsere Schüler vorbereiten", lässt er sich in
einer Mitteilung zitieren.
Laut
Steiff hat Solothurn den Beweis erbracht, dass sich Tablets für den Einsatz an
Schulen eignen. Er vertritt daher die Auffassung, dass sie "definitiv an
die Volksschule gehören". Auch Beat Zemp, Zentralpräsident des
Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, hob die positiven Erfahrungen von
Schulen und Pilotklassen hervor. Seiner Meinung nach werde sich der Trend zum
Einsatz von mobilen Technologien in den kommenden Jahren verstärken. Schweizer
Schulen hätten auch in den vorangegangenen Jahrzehnten gelernt, Medien wie
Radio und Fernsehen für den Unterricht einzusetzen. Heute seien es eben
Whiteboards, Beamer, Laptops und Tablets. "Diese unterstützen nicht nur
das konventionelle schulische Lernen, sondern ermöglichen erstmals auch orts-
und zeitunabhängiges kollaboratives Lernen", diese Potenziale gilt es
seiner Meinung nach zu nutzen.
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