25. Juni 2015

All-inclusive Klassenlager

Die Schweizer Hotellerie befindet sich in einer äusserst schwierigen wirtschaftlichen Situation. Der starke Franken hat ihre Krise zusätzlich verschärft. Nun kommt die Hoffnung auf Rettung aus einer überraschenden Ecke: Offenbar wählen Lehrer für ihre Schullager immer häufiger eine Unterkunft mit Halb- oder sogar Vollpension. «Heute füllen mehr und mehr Klassen die Hotels und sorgen so für eine gute Auslastung in schwierigen Zeiten» (bz, 22.6.15). Die Zeitung stützt sich auf eine Auswertung der Vermittlungsplattform für Gruppenunterkünfte, groups.ch.






Roland Stark ist ehemaliger SP-Grossratspräsident von Basel-Stadt, Bild: Basler Zeitung


Klassenlager all-included, Basler Zeitung, 25.6. von Roland Stark







Mit der Erfahrung von einigen Dutzend ­Sommer- und Winterlagern auf verschiedenen Schulstufen kann ich sagen: Diese Entwicklung geht in eine total falsche Richtung. Klassenlager «haben einen hohen pädagogischen und sozialen Stellenwert: Sie fördern den Zusammenhalt der Klasse, vertiefen die Beziehung zwischen Kind und Lehrperson und erleichtern die Integration von fremdsprachigen Kindern.» Dieser Charakterisierung auf der Homepage des Basler Erziehungsdepartements ist wenig beizufügen. Von der Absicht, dem Not leidenden Tourismusgewerbe unter die Arme zu greifen, ist dort erfreulicherweise nichts zu lesen. Im Vordergrund steht ­vielmehr die ­Erziehung zur Gemeinschaft, zu Hilfsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein.
Die Organisation und Durchführung eines Lagers bedeuten eine Riesenbelastung. Der Zeitaufwand ist enorm und der Druck der Verantwortung lastet schwer auf den Schultern der Lehrerschaft. Auch sind der Anteil der Bürokratie und der Sicherheitswahn stetig angewachsen, anderseits ist die Unterstützung, auch die finanzielle, durch die öffentliche Hand spürbar gesunken.
Der Kanton Baselland zum Beispiel hat die Beiträge an Schullager auf der Sekundarstufe von ehemals vier Millionen auf 2,5 Millionen Franken gekürzt. Der Stadtkanton gefährdet mit der Streichung der läppischen 60 000-Franken-Subvention an die Basler Stiftung für Ferienkolonien den ­Weiterbestand des traditionsreichen Lagerhauses in Prêles. Schon zuvor hatte Basel-Stadt ­unverständlicherweise eine Reihe seiner eigenen Lagerhäuser abgestossen. Dazu kommen noch, im Rahmen des Sparpakets, die Kürzung der Beiträge an die Sportlager und die unsinnige Aufhebung des Materialverleihs auf dem Sportamt.
Schon vor Jahrzehnten waren in den Klassenlagern Schülerinnen und Schüler anzutreffen (ohne Migrationshintergrund), die noch nie einen Putzlumpen oder einen Kochlöffel in den Händen gehalten hatten. Stand auf dem Menüplan Pizza Prosciutto, steuerte die Einkaufstruppe im Supermarkt entschlossen die Tiefkühltruhe an. An der selbst gemachten Spaghettisauce wurde herum­gemäkelt, weil die Fertigbrühe aus der Büchse bei Mama angeblich besser schmecken würde.
Der Trend zu All-included-Klassenlagern, in denen auf die Mitarbeit der Schüler (treffender wohl Kundschaft genannt) verzichtet wird, zusammen mit der schleichenden Auflösung des praktischen Kochunterrichts an den Volksschulen lässt jedenfalls nichts Gutes ahnen. Statt Sozialverhalten wird mit dem angebotenen Service de- luxe Konsumverhalten eingeübt. Eine ­verhängnisvolle Fehlentwicklung.
Die Schulbehörden können sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich weit über den Physik- oder ­Matheunterricht hinaus. Klassenlager mit VIP-Verwöhnungsangeboten sollten schlicht und einfach nicht bewilligt werden. Für pädagogischen Unfug sind Steuergelder nicht gedacht.


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