21. Mai 2015

Von Beruf Jammeri?

Ein Artikel im Tages Anzeiger stellt die Frage, "Sind Lehrer ewige Jammeri?". Zu Wort kommen ein Bereichsleiter Berufsbiografie der PH Bern, die Leiterin der Abteilung Schulpsychologie eines kantonalen Volksschulamts und eine Lehrpersonenberaterin.





Fehlende Wertschätzung macht manchen Lehrkräften zu schaffen, Bild: Keystone

Sind Lehrer ewige Jammeri? Tages Anzeiger, 21.5. von Simone Rau



Die Liste der Vorurteile gegenüber Lehrern ist lang. Sie wählten den Beruf, weil lange Ferien lockten. Weil sie sich in der Privatwirtschaft nie zu behaupten wüssten. Und sie insgeheim gern den Chef spielten. Ein Klischee hält sich besonders hartnäckig: Lehrer jammerten zu viel – über zu tiefen Lohn, nervige Eltern und Klassen mit zu vielen Kindern.
Was ist dran an diesem Vorurteil? Jammern Lehrer tatsächlich zu viel? Warum? Und falls dem so ist: Wäre das schlimm? Für Urs Gfeller, Bereichsleiter Berufsbiografie, Beratung und Unterstützung an der Pädagogischen Hochschule (PH) Bern, ist klar: «Ja, gewisse Lehrpersonen jammern zu viel. Es sind vor allem diese, die dann in der Öffentlichkeit gehört werden.» Von den rund 80 Prozent, die zufrieden seien, lese man wenig. Das sei insofern schlimm, als dass das Bild des Lehrers darunter leide und für Junge wenig attraktiv erscheine. «Zudem schicken Eltern ihre Kinder nicht gerne zu Pädagogen, die ständig jammern», sagt Gfeller.
Der Beruf des Lehrers sei anspruchsvoll, der Erwartungsdruck von verschiedensten Seiten gestiegen. Doch man könne lernen, mit Druck umzugehen, wie das in anderen Berufen auch gefordert werde. Für Lehrer gebe es ein breites Angebot zu Themen des Selbstmanagements. «Oft wird jedoch lieber gejammert, als dass man sich weiterbildet und weiterentwickelt», sagt Gfeller.
«Schlicht am falschen Ort»
Gfellers Abteilung an der PH Bern bietet unter anderem personenzentrierte Beratungen, Intensivweiterbildungen sowie Angebote zum Berufseinstieg an. Es werde nicht primär Fachwissen vermittelt, stattdessen liege der Fokus auf dem Lehrer sowie persönlichkeitsbildenden Aspekten: «Wir versuchen, den Blick zu schärfen für all das Schöne, Lebenswerte in diesem Beruf», sagt er.
Die Nachfrage ist laut Gfeller seit Jahren konstant hoch. Zum Teil kämen auch Lehrer, die «schlicht am falschen Ort» seien. Sie hätten «den Beruf als Verlegenheitslösung gewählt». Er frage sich dann, wieso sie den Beruf nicht längst gewechselt hätten, sagt Gfeller.
In der Tendenz erlebt er die älteren Lehrer jammernder als die jüngeren. Die Jüngeren würden das Schulhaus wechseln, wenn sie vor unlösbaren Probleme stünden – oder aber sie wechselten den Beruf. Sie hätten noch Perspektiven, die sich Älteren oft nicht mehr böten.
Auf Nachfrage räumt Gfeller ein, dass ein Berufswechsel nicht die ideale Lösung sei. Und dass gewisse Klagen von Lehrern durchaus gerechtfertigt seien. Etwa dort, wo «schwache Schulleitungspersönlichkeiten am Werk sind» oder Eltern gleich mit dem Anwalt drohten, wenn ihr Kind die Mittelschule nicht schaffe. Eine besondere Herausforderung ist für Gfeller ausserdem, dass Lehrer mit dem Gefühl leben müssten, «nie fertig zu sein, nie allen gerecht zu werden, es immer noch besser machen zu können». Wer darunter leide, gar ausbrenne, solle Hilfe holen.
Wichtige Rolle der Schulleitungen
Genau dieses Gefühl, nie genügen zu können, mache den Lehrern das Leben schwer, sagt Judith Rieser Müller, Leiterin der Abteilung Schulpsychologie und Schulberatung im Thurgauer Volksschulamt. Viele Lehrer hätten an sich selber hohe Ansprüche. In Kombination mit hohen Ansprüchen, die von aussen an sie herangetragen würden, könne das Druck aufbauen und als Belastung wahrgenommen werden.
Rieser Müller empfindet die Lehrer dennoch nicht als jammernd: «Sie üben einen anspruchsvollen Job aus, und es ist legitim, dass sie die Probleme beim Namen nennen.» Allerdings würden Konflikte, die zum Schulalltag dazugehörten, oft negativ bewertet. Wichtig sei, dass es Lehrern gelinge, für Konflikte konstruktive Lösungen zu finden. Dabei komme den Schulleitungen eine wichtige Rolle zu.
Laut Rieser Müller sind für Lehrer nicht die einzelnen Faktoren belastend, sondern deren Menge. Auch sei oft nicht absehbar, wie und bis wann sich belastende Situationen entschärfen könnten. Eine allgemeingültige Regel, wer besonders unter Druck gerate, gebe es nicht: «Auch im Alltag einer bisher unbelasteten Lehrerin können sich plötzlich Dinge ändern, die in der Summe zum Gefühl der Überlastung führen – eine grössere Klasse etwa, eine andere Teamzusammensetzung, ein Wechsel vom Ein- zum Mehrklassensystem», sagt sie. Laut einer letzten Herbst veröffentlichten schweizweiten Studie ist mehr als ein Drittel der Volksschullehrer Burn-out-gefährdet.
Fehlende Wertschätzung
Für Barbara Leu, die die Lehrpersonenberatung der Ask! – Beratungsdienste für Ausbildung und Beruf Aargau leitet, gibt es das Phänomen des jammernden Lehrers tatsächlich. «Manche jammern zu Recht, andere zu Unrecht, wie in allen Berufen», sagt sie. Der Unterschied sei, dass die Lehrer von der Öffentlichkeit besser gehört und strenger beurteilt würden als andere. «Viele haben das Gefühl, genau zu wissen, wie man es als Lehrer machen müsste», sagt Leu. In Wirklichkeit würden diese Kritiker aber nie selber vor einer Klasse stehen wollen.
Am meisten mache Lehrern «die fehlende Wertschätzung von Eltern, Schulleitern und der Gesellschaft an sich» zu schaffen, glaubt Leu: «Oft engagieren sich Lehrpersonen bis an ihre Grenze, die meisten von ihnen sind extrem motiviert und engagiert. Für diesen Einsatz erhalten sie oft nur wenig oder gar kein Lob.» Um sich Gehör zu verschaffen, ­sähen sie keine andere Möglichkeit, als zu jammern, sagt Leu – «etwa über die Löhne, die so tief gar nicht sind». Wenn man sich am Jammern der Lehrer störe, habe das viel mit sich selber zu tun. Kritiker müssten wissen: «Der Beruf ist in erster Linie eines: anspruchsvoll.» Manche würden ausbrennen, obwohl sie ihren Job liebten. Oder gerade deswegen.


1 Kommentar:

  1. «Ja, gewisse Lehrpersonen jammern zu viel. Es sind vor allem diese, die dann in der Öffentlichkeit gehört werden.» Dies sagt Urs Gfeller. Wenn ich in meinem Blog die veröffentlichten Beiträge der letzten Jahre anschaue, dann fällt auf, dass ausgesprochen wenig gejammert wird. Dass sich ein Lehrerverband für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt, ist legitim und in allen Berufen normal. Bei den Lehrern erst recht. Gfeller findet, man könne lernen, mit Druck umzugehen. Das tönt zynisch aus dem Mund eines PH-Angestellten, der vielleicht selbst einmal Lehrer war. «Oft wird jedoch lieber gejammert, als dass man sich weiterbildet und weiterentwickelt», sagt Gfeller. Am liebsten wohl in seinem Institut bei "persönlichkeitsbildenden Aspekten".

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