Fehlende Wertschätzung macht manchen Lehrkräften zu schaffen, Bild: Keystone
Sind Lehrer ewige Jammeri? Tages Anzeiger, 21.5. von Simone Rau
Die Liste der
Vorurteile gegenüber Lehrern ist lang. Sie wählten den Beruf, weil lange Ferien
lockten. Weil sie sich in der Privatwirtschaft nie zu behaupten wüssten. Und
sie insgeheim gern den Chef spielten. Ein Klischee hält sich besonders
hartnäckig: Lehrer jammerten zu viel – über zu tiefen Lohn, nervige Eltern und
Klassen mit zu vielen Kindern.
Was ist dran an diesem
Vorurteil? Jammern Lehrer tatsächlich zu viel? Warum? Und falls dem so ist:
Wäre das schlimm? Für Urs Gfeller, Bereichsleiter Berufsbiografie, Beratung und
Unterstützung an der Pädagogischen Hochschule (PH) Bern, ist klar: «Ja, gewisse
Lehrpersonen jammern zu viel. Es sind vor allem diese, die dann in der
Öffentlichkeit gehört werden.» Von den rund 80 Prozent, die zufrieden
seien, lese man wenig. Das sei insofern schlimm, als dass das Bild des Lehrers
darunter leide und für Junge wenig attraktiv erscheine. «Zudem schicken Eltern
ihre Kinder nicht gerne zu Pädagogen, die ständig jammern», sagt Gfeller.
Der Beruf des Lehrers
sei anspruchsvoll, der Erwartungsdruck von verschiedensten Seiten gestiegen.
Doch man könne lernen, mit Druck umzugehen, wie das in anderen Berufen auch
gefordert werde. Für Lehrer gebe es ein breites Angebot zu Themen des
Selbstmanagements. «Oft wird jedoch lieber gejammert, als dass man sich
weiterbildet und weiterentwickelt», sagt Gfeller.
«Schlicht
am falschen Ort»
Gfellers Abteilung an
der PH Bern bietet unter anderem personenzentrierte Beratungen,
Intensivweiterbildungen sowie Angebote zum Berufseinstieg an. Es werde nicht
primär Fachwissen vermittelt, stattdessen liege der Fokus auf dem Lehrer sowie
persönlichkeitsbildenden Aspekten: «Wir versuchen, den Blick zu schärfen für
all das Schöne, Lebenswerte in diesem Beruf», sagt er.
Die Nachfrage ist laut
Gfeller seit Jahren konstant hoch. Zum Teil kämen auch Lehrer, die «schlicht am
falschen Ort» seien. Sie hätten «den Beruf als Verlegenheitslösung gewählt». Er
frage sich dann, wieso sie den Beruf nicht längst gewechselt hätten, sagt
Gfeller.
In der Tendenz erlebt er
die älteren Lehrer jammernder als die jüngeren. Die Jüngeren würden das Schulhaus
wechseln, wenn sie vor unlösbaren Probleme stünden – oder aber sie wechselten
den Beruf. Sie hätten noch Perspektiven, die sich Älteren oft nicht mehr böten.
Auf Nachfrage räumt
Gfeller ein, dass ein Berufswechsel nicht die ideale Lösung sei. Und dass
gewisse Klagen von Lehrern durchaus gerechtfertigt seien. Etwa dort, wo
«schwache Schulleitungspersönlichkeiten am Werk sind» oder Eltern gleich mit
dem Anwalt drohten, wenn ihr Kind die Mittelschule nicht schaffe. Eine
besondere Herausforderung ist für Gfeller ausserdem, dass Lehrer mit dem Gefühl
leben müssten, «nie fertig zu sein, nie allen gerecht zu werden, es immer noch
besser machen zu können». Wer darunter leide, gar ausbrenne, solle Hilfe holen.
Wichtige
Rolle der Schulleitungen
Genau dieses Gefühl, nie
genügen zu können, mache den Lehrern das Leben schwer, sagt Judith Rieser
Müller, Leiterin der Abteilung Schulpsychologie und Schulberatung im Thurgauer
Volksschulamt. Viele Lehrer hätten an sich selber hohe Ansprüche. In
Kombination mit hohen Ansprüchen, die von aussen an sie herangetragen würden,
könne das Druck aufbauen und als Belastung wahrgenommen werden.
Rieser Müller empfindet
die Lehrer dennoch nicht als jammernd: «Sie üben einen anspruchsvollen Job aus,
und es ist legitim, dass sie die Probleme beim Namen nennen.» Allerdings würden
Konflikte, die zum Schulalltag dazugehörten, oft negativ bewertet. Wichtig sei,
dass es Lehrern gelinge, für Konflikte konstruktive Lösungen zu finden. Dabei
komme den Schulleitungen eine wichtige Rolle zu.
Laut Rieser Müller sind
für Lehrer nicht die einzelnen Faktoren belastend, sondern deren Menge. Auch
sei oft nicht absehbar, wie und bis wann sich belastende Situationen
entschärfen könnten. Eine allgemeingültige Regel, wer besonders unter Druck
gerate, gebe es nicht: «Auch im Alltag einer bisher unbelasteten Lehrerin
können sich plötzlich Dinge ändern, die in der Summe zum Gefühl der Überlastung
führen – eine grössere Klasse etwa, eine andere Teamzusammensetzung, ein
Wechsel vom Ein- zum Mehrklassensystem», sagt sie. Laut einer letzten Herbst
veröffentlichten schweizweiten Studie ist mehr als ein Drittel der
Volksschullehrer Burn-out-gefährdet.
Fehlende
Wertschätzung
Für Barbara Leu, die die
Lehrpersonenberatung der Ask! – Beratungsdienste für Ausbildung und Beruf
Aargau leitet, gibt es das Phänomen des jammernden Lehrers tatsächlich. «Manche
jammern zu Recht, andere zu Unrecht, wie in allen Berufen», sagt sie. Der
Unterschied sei, dass die Lehrer von der Öffentlichkeit besser gehört und
strenger beurteilt würden als andere. «Viele haben das Gefühl, genau zu wissen,
wie man es als Lehrer machen müsste», sagt Leu. In Wirklichkeit würden diese
Kritiker aber nie selber vor einer Klasse stehen wollen.
Am meisten mache Lehrern
«die fehlende Wertschätzung von Eltern, Schulleitern und der Gesellschaft an
sich» zu schaffen, glaubt Leu: «Oft engagieren sich Lehrpersonen bis an ihre
Grenze, die meisten von ihnen sind extrem motiviert und engagiert. Für diesen
Einsatz erhalten sie oft nur wenig oder gar kein Lob.» Um sich Gehör zu
verschaffen, sähen sie keine andere Möglichkeit, als zu jammern, sagt Leu –
«etwa über die Löhne, die so tief gar nicht sind». Wenn man sich am Jammern der
Lehrer störe, habe das viel mit sich selber zu tun. Kritiker müssten wissen:
«Der Beruf ist in erster Linie eines: anspruchsvoll.» Manche würden ausbrennen,
obwohl sie ihren Job liebten. Oder gerade deswegen.
«Ja, gewisse Lehrpersonen jammern zu viel. Es sind vor allem diese, die dann in der Öffentlichkeit gehört werden.» Dies sagt Urs Gfeller. Wenn ich in meinem Blog die veröffentlichten Beiträge der letzten Jahre anschaue, dann fällt auf, dass ausgesprochen wenig gejammert wird. Dass sich ein Lehrerverband für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt, ist legitim und in allen Berufen normal. Bei den Lehrern erst recht. Gfeller findet, man könne lernen, mit Druck umzugehen. Das tönt zynisch aus dem Mund eines PH-Angestellten, der vielleicht selbst einmal Lehrer war. «Oft wird jedoch lieber gejammert, als dass man sich weiterbildet und weiterentwickelt», sagt Gfeller. Am liebsten wohl in seinem Institut bei "persönlichkeitsbildenden Aspekten".
AntwortenLöschen