Zürich will nur noch Lehrer mit Master-Abschluss, Bild: Thinkstock Kollektion
Schule: Zurück zum Start! Beobachter, 30.4. von Susanne Loacker
Ende März 2015 haben Markus Fuchs, Marco Fassler
und rund 3000 andere Fachlehrer im Kanton Zürich ein Kündigungsschreiben
erhalten. Fuchs ist seit
23 Jahren Sportlehrer, Fassler seit 14. Beide haben in Magglingen
studiert und dürfen seither schweizweit Sport unterrichten – eine gute
Ausbildung, könnte man meinen. Die Eidgenössische Hochschule für Sport oberhalb
des Bielersees ist schliesslich die einzige Hochschule im Land, die sich nur
mit Sport befasst.
Doch offenbar genügt das Magglinger Diplom im
Kanton Zürich nicht mehr. Und das nur deshalb, weil Fachlehrer neu direkt beim
Kanton und nicht mehr bei der Gemeinde angestellt sind. Fachlehrer – also
Turn-, Schwimm- und Werklehrer – werden den Primar- und Sekundarlehrern
gleichgestellt, die Sprachen oder Naturwissenschaften unterrichten. Darum haben
alle das Kündigungsschreiben erhalten.
Doch das war kein harmloser arbeitsrechtlicher Akt; die
Kantonalisierung der Fachlehrer hat es in sich. Sie müssen plötzlich neue
Bedingungen erfüllen. Allerdings kann noch niemand genau sagen, wie diese
Bedingungen überhaupt aussehen.
Alles bloss Arbeitsbeschaffung?
Als die Fachlehrpersonen aufgefordert wurden, ihrer
Kantonalisierung zuzustimmen, hiess es, sie müssten den Master-Abschluss
nachholen. Rund 300 Sportlehrer verwehrten die Zustimmung, unter ihnen auch
Marco Fassler und Markus Fuchs. Fassler, dreifacher Familienvater: «Ich kann
mich doch nicht einfach so verpflichten, neben meinem Vollzeitjob drei Jahre
lang eine Ausbildung zu absolvieren, die 60 Prozent in Anspruch nehmen wird.»
Die betroffenen Lehrer argwöhnen, der Kanton
betreibe Arbeitsbeschaffung für seine Pädagogische Hochschule (PH). Das ist
nicht abwegig, denn die PH soll sowohl die Diplome und die Ausbildung der
betroffenen Lehrer überprüfen als auch die geforderten Kurse anbieten.
Absurderweise ist Marco Fassler Übungslehrer an der PH – angehende Sekundarlehrer
absolvieren bei ihm Sport-Lernpraktika.
Beschlossen wurden die neuen Auflagen von einer Kommission des
Volksschulamtes. Die Anwältin Susanne Raess, die einige der 300 betroffenen
Sportlehrer vertritt, bedauert, dass bisher keine Gespräche mit dem
Volksschulamt möglich waren. «Es ist für mich im Moment nicht nachvollziehbar,
auf welcher Basis die Kommission ihre Entscheide gefällt hat, die viele
existenziell treffen.» Raess vermutet, dass politische Gründe mitgespielt
haben: «Im Kanton Zürich möchte man möglichst wenig Lehrpersonen pro Klasse.»
Das sei bei einer Neuanstellung bestimmt sinnvoll, nicht aber bei der
Überführung langjährig Angestellter in ein neues Arbeitsverhältnis.
52 unterschiedliche Systeme
Walter Mengisen, der Rektor der Eidgenössischen
Hochschule für Sport Magglingen, sagt: «Wir haben für 26 Kantone 52
unterschiedliche Systeme. Es geht nicht, dass Zürich beschliesst, den Lohn
langjährig tätiger Lehrpersonen von
einem Bachelor- oder Master-Abschluss abhängig zu machen, weil es dieses
System ja erst seit Ende der neunziger Jahre gibt.» Man könne Lehrer doch nicht
dafür bestrafen, dass sie früher abgeschlossen haben. «Ausserdem gibt es an den
PH noch gar keine entsprechenden Angebote für die Lehrer mit älteren Zertifikaten.»
Einige Sportlehrer wollen juristisch vorgehen und haben den Dachverband
Lehrerinnen und Lehrer Schweiz um Unterstützung gebeten. Dessen Präsident Beat
W. Zemp sagt, es sei nicht nachvollziehbar, warum man erfahrenen Lehrern, die
jahrelang zur Zufriedenheit der Schulgemeinden unterrichtet haben, nicht mehr
entgegenkomme als Quereinsteigern.
Anwältin Susanne Raess kritisiert auch die
Bevorteilung der Primarlehrer, deren Diplome bisher niemand überprüft hat:
«Primarlehrer erteilen ja auch Sportunterricht. Aber keiner fragt, ob sie die
entsprechenden Kompetenzen haben.» Markus Fuchs sagt ausserdem: «Es ist nicht
so, dass wir zu viele Sportlehrer hätten. Es gibt immer mehr Primar- und
Sekundarlehrer und vor allem -lehrerinnen, die froh sind, wenn jemand anderes
für sie die Turnstunden übernimmt. Zudem will der Kanton ja noch Sportförderung
betreiben.»
Inzwischen ist das Volksschulamt
Zürich etwas zurückgekrebst. Statt von Auflagen
spricht es von «Assessments» – man will keine allgemeinen Vorschriften machen,
sondern die Einzelfälle prüfen.
Martin Wendelspiess, Direktor des Zürcher Volksschulamtes, sagt: «Der
Umfang einer allfälligen Weiterbildung wird sich zwischen einem und 10
ECTS-Punkten, im Einzelfall um bis zu 15 Punkte bewegen.»
Will heissen: Die Kantonalisierung kann für
einzelne Lehrer einen Aufwand von 30 bis maximal 450 Stunden bedeuten, damit
sie dieselbe Arbeit, die sie seit Jahren oder Jahrzehnten ausführen, weiterhin
verrichten dürfen.
Dem Kantonsrat liegt inzwischen eine dringliche Anfrage zum Thema vor.
Sie soll in Kürze behandelt werden.
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