4. Mai 2015

Lasst den Lehrern genug Freiheiten

Die vielen Schulsysteme in der Schweiz sind bizarr. Allerdings dürfen die Lehrer nicht bevormundet werden.
Kommentar von Anja Burri, Tages Anzeiger, 3.5.


Der Lehrplan 21 kommt immer stärker unter Druck. Bereits in jedem zweiten Deutschschweizer Kanton arbeiten Komitees daran, seine Einführung zu verhindern. Sind sie erfolgreich, gibt es in verschiedenen Kantonen keinen Lehrplan 21 oder eine derart umgeformte Version, dass das ursprüngliche Ziel verfehlt wird.
Leider wird dieses Ziel in den Debatten oft ausgeblendet. Dabei kann es nicht genug betont werden: Alle Schulkinder sollen nach den gleichen Lernzielen unterrichtet werden. Familien sollen endlich ohne Probleme von einem Kanton in den anderen ziehen können. In einem so kleinen Land wie der Schweiz muten die vielen verschiedenen Schulsysteme bizarr an. Deren Angleichung ist auch demokratisch legitimiert: 2006 sagte das Stimmvolk deutlich Ja zum ­entsprechenden Bildungsartikel in der Verfassung.
Trotzdem darf das Harmonisierungsziel nicht dazu führen, dass die Lehrer vom Staat bevormundet werden. Sie arbeiten jeden Tag mit den Schülern und wissen am besten, was für diese gut ist. Beim Sammelfach «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» droht der Lehrplan 21 dieses Prinzip auszuhebeln. Es wurde nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen geformt. Doch vor lauter neuen Bedürfnissen – etwa nach Wirtschaftskompetenzen – ging das unter, was sich seit Jahrzehnten bewährt: Das Arbeiten mit den Händen, das Kochen, ist nur noch ein Nebenthema.
Es ist beeindruckend, mit Hauswirtschaftslehrerinnen zu sprechen. Zu hören, wie Schüler beim Kochen mit Masseinheiten arbeiten, die sie in der Mathestunde nie begriffen; wie eine sonst schwierige Klasse mit Herzblut den extra eingeladenen Klassenlehrer bekocht. Die Umsetzung des Lehrplans 21 – etwa die Festlegung der Stundentafeln – liegt nun bei den Kantonen. Jeder ist selber dafür verantwortlich, dass das Projekt nicht an einer Volksinitiative scheitert.
Die Schlüsselpersonen sind die Lehrer. Sie müssen ihre pädagogischen Freiheiten behalten. Sie sollen mit den Schülern so oft ­kochen können, wie es für sie sinnvoll ist. Das Prinzip gilt für alle Fächer. Muss ein Kanton das Stimmvolk in einem Abstimmungskampf vom Lehrplan 21 über­zeugen, braucht er zufriedene Lehrer an seiner Seite.


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