Unleserliche
Texte, falsche Stifthaltung, verkrampfte Hände: Das Schreiben von Hand ist für
viele Schüler in Deutschland ein Problem. Bei einer Umfrage des deutschen
Lehrerverbands gaben 79 Prozent der befragten Lehrer an weiterführenden Schulen
an, dass sich die Handschrift ihrer Schüler in den letzten Jahren
verschlechtert habe. Auf Primarschulstufe bescheinigten 83 Prozent ihren
Schützlingen eine ungenügende Handschrift. Als grösste Probleme führen die
Lehrer «unleserliche Texte» und «fehlende Schnelligkeit» an. Jürg Keller,
Schreibdidaktiker und Lehrer, beobachtet, dass auch Schweizer Schüler zunehmend
Mühe beim Schreiben bekunden: «Weil die Kinder heute schon in der Primarschule
fast nur noch über Smartphones oder PC kommunizieren, haben sie keine
Schreibroutine mehr – die Handschrift verkümmert.» Hinzu komme, dass viele
Schüler aufgrund der digitalen Angebote die Notwendigkeit der Handschrift gar
nicht mehr sähen. Für Keller ist das eine bedauernswerte Tendenz: «Der
Niedergang der Handschrift ist ein kultureller Verlust.»
Wer von
Hand schreibt, lernt besser, Bild: Gaetan Bally
Schüler können nicht mehr schreiben, 20 Minuten, 25.5. von Pascal Michel
Und diese
Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen. «Wer in der Primarschule keine richtige
Handschrift erlernt und entwickelt, wird auch später Mühe haben», sagt Bruno
Mock, Sprachdozent an der Pädagogischen Hochschule Thurgau. Dies könne der Fall
sein, wenn etwa die Schrift bei Prüfungen nicht lesbar sei. «Oder wenn ein
Schüler beim Schreiben eines Aufsatzes viel zu langsam ist und so die Grammatik
oder den Textaufbau vernachlässigt.»
Schreibdidaktiker
Keller betont die Wichtigkeit des Handschreibens: «Es unterstützt das Lernen
enorm, weil man sich durch die Schreibbewegung die Informationen besser
einprägen kann.» Dies zeigt auch eine amerikanische Studie: Studenten, die ihre
Notizen von Hand aufgeschrieben hatten, schnitten bei den Prüfungen besser ab
als jene, die mit dem Laptop arbeiteten.
Annemarie
Pierpaoli, ehemalige Lehrerin und Präsidentin der Schweizerischen
Graphologischen Gesellschaft, fordert aufgrund dieser Erkenntnisse ein Umdenken
im Schreibunterricht. «Während man früher noch mehrere Stunden pro Woche das
Fach ‹Schönschreiben› besuchte und lange Texte schrieb, besteht der Unterricht
heute vor allem daraus, Lückentexte zu ergänzen oder kurze Sätze in Sprechblasen
zu schreiben», kritisiert sie. So sei es für die Kinder schlicht nicht möglich,
eine flüssige Handschrift zu entwickeln.
Die
Entwicklung ist nicht aufzuhalten
Für Pierpaoli
ist klar: «Es braucht eine Verstärkung des Schreibunterrichts.» Die Kinder
müssten wieder längere Texte von Hand verfassen können. Laut Pierpaoli können
die Schüler dabei lernen, ihre Geduld zu trainieren. «Besonders in Zeiten, in
denen die Kinder ständig unter medialem Dauerfeuer stehen, fördert der
Schreibunterricht die Konzentrationsfähigkeit», sagt sie.
Das digitale
Schulzimmer sei nicht aufzuhalten, betont Jürg Keller. Jedoch müsse die Schule
die motorischen Fertigkeiten – auch wenn immer mehr auf dem PC geschrieben
werde – trotzdem vermitteln. «Das kann mit einer grundlegenden
Bewegungsschulung für die Feinmotorik geschehen, und zwar in allen Bereichen,
zum Beispiel auch mit dem Erlernen eines Musikinstrumentes», sagt er.
Dass es bei
Schweizer Schülern mit der Handschrift hapert, ist beim Schweizer Lehrerverband
bekannt. «Diese Entwicklung ist uns bewusst und wird sich wohl aufgrund der
Digitalisierung noch verstärken», sagt Präsident Beat W. Zemp. Gerade weil das
Schreiben von Hand ein wichtiger Bestandteil des Lernprozesses sei, enthalte
der Lehrplan 21 eine Schreibkompetenz. «Es gibt also weiterhin ein Fach, in dem
die Schüler Texte von Hand verfassen», sagt er. Es brauche in Zukunft beides:
Das Schreiben am Computer und das Schreiben von Hand.
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