Kinder bringen einem Roboter das Schreiben bei, Bild: EPFL
Wenn der schwächste Schüler eine Maschine ist, SRF, 2.4. von Christian Bachmann
Nao, der weiss-orange, 60 Zentimeter grosse,
humanoide Roboter, schreibt auf einem Tablet Buchstaben und Wörter. Und eine
Horde Kinder schart sich um ihn. Der Roboter soll diesen Kindern helfen, ihre
eigene Schrift zu festigen. Aber nicht, indem er es ihnen einfach vormacht.
Ganz im Gegenteil. Er gibt vor, selbst nicht gut schreiben zu können, damit die
Kinder ihn korrigieren können. Der Effekt: Während sie mit dem Roboter
interagieren, festigen die Kinder das eigene Schrift-Wissen.
Getestet wurde der kleine Roboter mit
Schreibschwäche unter anderem bei 6- bis 8-jährigen Schülern in der
Internationalen Schule Genf. Conrad Hughes ist verantwortlich für Ausbildung
und Innovation an dieser Schule und hat das Experiment begleitet.
«Einstein»: Herr
Hughes, Kinder werden zu Lehrern. Hat das Experiment mit dem Roboter in Ihren
Augen funktioniert?
Conrad Hughes: Absolut.
Es ist verblüffend, wie positiv die Kinder auf den Roboter reagiert haben;
nicht zuletzt, weil er menschliche Züge hat, Arme, Beine und irgendwie niedlich
ist. Um etwas richtig weiterzugeben, also zu unterrichten, muss man sich
auskennen. Und indem man den Kindern die Verantwortung überträgt, dem Roboter
zu sagen, dass dieser oder jener Strich beim Buchstaben eher anders geschrieben
werden muss, geben wir ihnen die Chance das selbst Gelernte anzuwenden. Es ist
also das Lernen selbst, das sie antreibt. Kinder als Lehrer, ein Roboter als
Schüler – das war für sie ein grosses Lernabenteuer.
Können oder sollen Roboter wirklich Lehr-Aufgaben
übernehmen?
Wir müssen unterscheiden, welche Art von Inhalt wer
vermitteln soll. Die einfachen, statischen und mechanischen Arbeiten bei der
Wissensvermittlung könnte man tatsächlich dereinst an Roboter auslagern. Für das
Aufzeigen und Hinterfragen komplizierter Zusammenhänge sind aber Menschen
unverzichtbar. Die komplexeren, interaktiven Aufgaben verlangen
Fingerspitzengefühl. Nur ein Mensch kann auf ein Kind eingehen. Würde man für
mechanische Arbeiten mehr Maschinen einsetzen, dann hätte man als Lehrer mehr
Raum und Zeit für die anspruchsvolleren Aufgaben, das sehe ich absolut so.
Können Maschinen hier vielleicht sogar eine Lücke
füllen?
Für Lehrer wird es immer schwieriger, sich bei 25
Kindern dem Wissensstand jedes Einzelnen so detailliert anzunehmen, wie es
nötig wäre. Wenn die Lehrer aber künftig auch schlaue Software einsetzen
könnten, welche ihnen ermöglicht zu sehen, wo genau die Schwächen und Stärken
eines Kindes liegen, dann brächte das ganz neue Möglichkeiten für die
individuelle Betreuung. Doch Computer können die Kinder auch schnell isolieren.
Was wir sicher nicht wollen, ist dass sich jedes Kind mit einem technischen
Gerät in einer Ecke des Schulzimmers verkriecht. Aber sehr wohl sehe ich
Gruppen à vier Schülern, die gezielt ein Problem mittels Maschinen oder
Robotern thematisieren und hinterfragen. Und in diesem sozialen Austausch von
einander lernen.
Bedrohen solche Roboter nicht den Beruf des Lehrers
fundamental?
Tatsächlich gibt es grosse Ängste unter den
Lehrern, dass Maschinen sie einst verdrängen könnten. Aber diese halte ich für
unbegründet. Ich glaube, es wird immer Leute geben, die die Technik weit von
sich weisen und andere, die darin eine Chance sehen. Spannend dabei ist, dass
gerade die Jüngsten, die Kinder, diese Chancen zuerst sehen. Es ist – wie
überall – so auch an unserer Schule ein grosses Thema, ob man Facebook zulassen
soll oder nicht. Aber wenn man mit den Kindern spricht, ist Facebook eh schon
veraltet, sie wenden sich bereits ganz neuen Medien zu, die bei uns noch gar
nicht auf dem Radar sind. Die Generation «Digital Native» hat hier bereits ein
ganz eigenes Tempo.
Gibt es für Sie eine Schlüssel-Erkenntnis aus
diesem Roboter-Experiment?
Heutzutage ist es wichtig, an Schulen vor allem
Kompetenzen zu vermitteln. Viele Informationen findet man heute über jedes
Handy, das muss man nicht auswendig können. Warum lernen wir so viel über
geometrische Formen oder Trigonometrie? Wenn doch das meiste an Mathematik, das
wir später benutzen – wenn wir nicht in einem mathematischen Beruf arbeiten –
am ehesten Statistik ist. Statistik hingegen wird kaum gelehrt. Wir müssen uns
also tatsächlich der Frage stellen: Was muss man heute wirklich noch lernen und
was nicht? Und das ist eine furchtbar beängstigende Frage, aber sie ist
wichtig.
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