25. April 2015

Kritik an Pulver

Die Bildungsstrategie 2016 ist die Reinform jener Politik, die der bernische Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) in den vergangenen Jahren propagiert hat: die Lehrer stärken und keine neuen Reformen anreissen. «Nicht Reformen und Projekte stehen im Vordergrund, sondern die Menschen, die im Bildungswesen tätig sind», sagte ­Pulver im Januar, als er das Papier vorstellte. Bei den Lehrern geniesst Pulver deswegen grosse Sympathien – und auch der Grosse Rat hat diese «Politik der ­ruhigen Hand» bisher mitgetragen.


Ist Pulver mutlos? Bild: Bund
Erste Kritik an Pulvers "Politik der ruhigen Hand", Bund, 25.4. von Adrian M. Moser

Nun erheben sich kritische Stimmen. Mehrere Parteien kritisieren in ihren Stellungnahmen die neue Bildungsstrategie. Die SP und die Grünliberalen etwa haben Widersprüche ausgemacht zwischen der Bildungsstrategie und der neuen Lektionentafel, die Pulver Anfang März präsentiert hatte.
GLP will unverplante Lektionen
Die Lektionentafel sieht vor, dass die Berner Schülerinnen und Schüler künftig mehr Schule haben als heute – vor allem in den Fächern Deutsch und Mathematik. Ein Teil des Mathematik-, Deutsch- und Fremdsprachenunterrichts soll im neuen Unterrichtsgefäss IVE (Individuelle Vertiefung und Erweiterung) abgehalten werden – zugeschnitten auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder. Davon abgesehen gibt die Lektionentafel aber weiterhin vor, von welchem Fach wie viele Lektionen pro ­Woche unterrichtet werden müssen.
Den Grünliberalen geht das zu wenig weit. Sie wünschen sich «teilautonome Schulen, die sich ein eigenes Profil geben können». Dazu brauchten sie «Lektionen, die nicht schon von vornherein fix verplant sind». Thomas Brönnimann, GLP-Grossrat und Bildungsdirektor in Köniz, möchte, dass die Schulen die IVE-Lektionen absolut frei nutzen können. Er sagt: «Eine Schule auf dem Land, wo die meisten Jugendlichen eine handwerkliche Lehre machen, muss ihren Unterricht anders gestalten können als eine in der Stadt.» Brönnimann ist der Meinung, Bildungsstrategie und Lektionentafel widersprächen sich. «Die Strategie ermutigt die Schulen, eigenständig zu sein. Die Lektionentafel bietet ihnen aber nicht die Möglichkeit dazu.»
SP will Schule ohne Selektion
Auch der SP-Grossrat und Schulleiter Roland Näf findet, die Lektionentafel biete nicht den Raum für die Innovationen, zu der die Bildungsstrategie die Schulen ermutige. Allerdings geht seine Vision über den Wirkungsbereich der Lektionentafel hinaus. Die Innovation, die ihm vorschwebt, ist das, was seine Partei seit längerem fordert: die ­Abschaffung der Selektion.
Näf ist der Ansicht, die Schulen müssten die Möglichkeit haben, «ganz eigene Wege zu gehen». Pulver wisse genau, was die Forschung sage, nämlich dass die Selektion falsch sei. «Dass er das ­Problem erkennt, sieht man an der Bildungsstrategie», sagt Näf. «Aber er ist nicht konsequent genug, den Schulen die notwendigen Freiheiten zu geben.» Näf wirft Pulver vor, er habe zu wenig Mut. «Ich würde von einem Erziehungsdirektor erwarten, dass er hinsteht und es wagt, zu scheitern.» Auch Brönnimann ist der Meinung, der Erziehungsdirektor agiere mutlos.
Pulver weist Vorwürfe zurück
Pulver weist diesen Vorwurf zurück: «Es braucht ziemlich viel Mut, zu sagen: Beim Schulegeben geht es um Beziehungen und Menschen, es braucht jetzt keine weitere Reform.» Für jedes Problem das passende Projekt zu präsentieren, sei viel einfacher. Zum Einwand, Strategie und Lektionentafel widersprächen sich, sagt er: «Die Freiräume liegen nicht vor allem in der Lektionentafel selbst, sondern darin, wie man sie umsetzt.» Die neue Lektionentafel definiere, ausgehend vom Lehrplan 21, welches Fach wie viel Gewicht erhalten solle. Das sei ein politischer Entscheid, der die Vorstellungen der Gesellschaft abbilde. «Ich hielte es nicht für richtig, diese Gewichtung den Schulen zu überlassen.» Die Schulen hätten viele andere Freiheiten, sagt Pulver. «Sie können etwa Mehrjahrgangsklassen bilden, die Fächer blockweise unterrichten oder Projektwochen durchführen.»
Die Debatte über eine Schule ohne Selektion möchte Pulver lieber noch nicht führen – zu emotional, zu ideologisch wäre sie ihm. «Entscheidender als solche Strukturfragen ist die Motivation der Lehrerinnen und Lehrer.» Er glaube nicht, dass sich die Schule durch Reformen von oben weiterentwickeln lasse. «Das hat sich in der Vergangenheit ­immer wieder gezeigt.» 

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