Als der
französische Präsident François Hollande die Schweiz besuchte, wollte er von
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wissen, in welcher Sprache sich der
Bundesrat unterhalte. Sommarugas Schilderungin der Radiosendung «Focus» nach war
Hollande offenbar ganz schön erstaunt, dass an den Sitzungen jedes
Regierungsmitglied seine Muttersprache spricht – und ihn die anderen verstehen
müssen. Letzteres sei Voraussetzung, um Bundesrätin zu werden, erklärte ihm
Sommaruga.
Die polyglotten Helvetier beeindrucken ausländische Gäste, Bild: Keystone
Französisch für Fortgeschrittene, Politblog Tages Anzeiger, 24.4. von Martin Wilhelm
Es ist
das ideale Bild von der mehrsprachigen Schweiz, das der Bundesrat da abgibt. In
der Debatte um den Fremdsprachenunterricht herrscht derweil aber ähnlich grosse
Verwirrung wie in der durchschnittlichen Französischstunde. Schuld daran trägt
die Politik, die drei ganz verschiedene Fragen unglücklich miteinander
verknüpft hat:
1. Ab
wann lernen Schüler eine erste Fremdsprache? Lange begann der
Französischunterricht in den Deutschschweizer Kantonen in der fünften oder
sechsten Klasse, später kam der Englischunterricht dazu. Heute wird die erste
Fremdsprache ab dem 3. Schuljahr, die zweite spätestens ab dem 5. Schuljahr
unterrichtet. Wer Studien zum Thema liest und mit Lehrern spricht, kommt zum
Schluss, dass der frühe Fremdsprachenunterricht keine Vorteile bietet. Wenn
Christoph Eymann, Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, Bestrebungen zur
Abschaffung des Frühfranzösisch mit der Begründung ablehnt,
es gehe «um den Zusammenhalt unseres viersprachigen Landes», dann geht es ihm
offensichtlich nicht um das für das Erlernen einer Fremdsprache ideale Alter,
sondern um die folgende Frage.
2. Welche Fremdsprache lernen die Schüler zuerst? Dies ist die Mutter aller Sprachenstreitfragen. Als einige Deutschschweizer Kantone Ende der 90er-Jahre Frühenglisch einführen wollten, um den Nachwuchs besser auf die globalisierte Welt vorzubereiten, war der Aufschrei in der nationalen Politik gross. Damals wie heute bleibt die angeführte staatspolitische Bedeutung aber vage. Geht man davon aus, dass der Beitrag des Fremdsprachenunterrichts an den Zusammenhalt unseres Landes darin liegt, dass sich die Menschen über die Sprachgrenzen hinweg verständigen können, ist die tatsächliche Sprachbeherrschung am Ende der Schule das Entscheidende. Lässt sich der gewünschte Stand mit einem späteren Beginn erreichen, ist die Rolle der ersten Fremdsprache nur ein symbolische.
3. Wer
entscheidet darüber? Zu einem kaum entwirrbaren Knäuel wurde die Sprachenfrage durch
die Reform der Bildungsverfassung von 2006. Weil man die Schulsysteme
harmonisieren, vordergründig aber nicht an der Bildungshoheit der Kantone
rütteln wollte, verpflichteten Parlament und Volk die Kantone zur
Harmonisierung und ermächtigten den Bund, diese wenn nötig zu erzwingen. Die
ganze Bestimmung ist allerdings so offen gehalten, dass es heute eine Frage für
Rechtsprofessoren ist, ob die Kantone befugt sind, sich aus dem
Fremdsprachenkompromiss wieder zu verabschieden, oder ob ihnen der Bund
umgekehrt Frühfranzösisch vorschreiben dürfte, so wie das Bundesrat Alain Berset androhte. Während der St.
Galler Staatsrechtsprofessor Bernhard Ehrenzeller eine Harmonisierungspflicht sieht, kann
sein Freiburger Kollege Bernhard Waldmann eine solche nicht erkennen. Die Frage
dürfte früher oder später vor dem Bundesgericht landen – auch wenn Parlament
und Volk die Frage besser selber geklärt hätten.
Was ist
zu tun? Gesucht sind Vorschläge zur Entwirrung der
Debatte. Zu klären wäre zunächst, ob die Kantone gleichzeitig mit dem
Fremdsprachenunterricht in den gleichen Sprachen beginnen sollen. Wenn ja,
müsste man sich wohl darauf einigen, eine der Fremdsprachen auf die Oberstufe
zu verschieben – oder alternativ mit beiden Fremdsprachen in der fünften oder
in der sechsten Klasse gleichzeitig zu beginnen. Wenn man mit einer der beiden
Sprachen früher beginnen will, müsste man sorgfältig klären, ob es sinnvoller
ist, mit Englisch oder mit Französisch zu beginnen. Interessant wäre
schliesslich zu wissen: Begeistern sich die Schüler für Französisch eher, wenn
sie noch jünger sind?
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