24. April 2015

Frankreich streitet über Fremdsprachen

Feierliche Versprechen von Politikern verpflichten nur denjenigen, der so dumm ist, an sie zu glauben, so lautet eine alte französische Weisheit. Eine herausragende Rolle im Konzert der nie eingehaltenen, aber stets pompös verlautbarten Vorsätze nehmen die rituellen Beteuerungen der deutsch-französischen Freundschaft ein. Seit der Unterzeichnung der Elysée-Verträge durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle nimmt man sich diesseits und jenseits des Rheins ganz fest und ganz ehrlich vor, endlich etwas für die Sprache des Nachbarn zu tun. Dazu haben sich beide Länder in diesem berühmten Vertragswerk verpflichtet. Geleistet haben sie in dieser Hinsicht wenig, bewirkt haben sie oftmals das Gegenteil.
Da verschlägt's einem die Sprachen, NZZ, 23.4. von Jürgen Ritte



So offenbar auch jetzt, da französische Germanisten und Deutschlehrer sowie Teile des deutschen Feuilletons gegen die geplante Reform des «Collège», der schulischen Mittelstufe, Sturm laufen. Dabei hatte die französische Erziehungsministerin Najat Vallaud-Belkacem nicht einmal den Deutschunterricht im Visier, als sie ihr Reformprojekt vorstellte, in dem, wie sie treuherzig versichert, nicht weniger, sondern sogar mehr für die an französischen Schulen notorisch vernachlässigten Fremdsprachen getan werden solle. Und nimmt man den Rechenschieber zur Hand, kann man ihr kaum widersprechen: Es akkumulieren sich künftig, auf eine ganze Schülerkarriere gerechnet, mehr Stunden für den Fremdsprachenunterricht als bisher. Prominente Deutschlehrer wie den früheren Premierminister Jean-Marc Ayrault und die inzwischen 25 000 Unterzeichner einer Petition gegen die «réforme du collège» hat das nicht beruhigt.
Aus guten Gründen, wie zu befürchten ist: Das Projekt sieht vor, dass neben der bereits auf Grundschulniveau eingeführten ersten Fremdsprache (in aller Regel Englisch) bereits ab dem 7. Schuljahr (und nicht wie bisher erst ab dem 8.) eine zweite Fremdsprache erlernt werden soll. Abgeschafft werden hingegen die sehr erfolgreichen, im Prinzip allen offenstehenden, aber de facto nicht von jeder Schule angebotenen «classes bilangues», in denen bereits ab dem 6. Schuljahr zwei Fremdsprachen gleichzeitig erlernt werden können und die eigens zur Stärkung der «kleineren» Sprachen wie Deutsch, Italienisch oder etwa, für Frankreich auch nicht unwichtig, Arabisch eingerichtet worden sind. Der zu Beginn des Jahrhunderts in Agonie gefallene Deutschunterricht hatte gerade durch diese Wahlmöglichkeit (und die im spätern Verlauf der Schulzeit angebotenen «classes européennes») wieder deutlich an Zulauf gewonnen.
10,9 Prozent der Collège-Schüler hatten in den letzten Jahren von der Möglichkeit, eine Schule mit «classes bilangues» zu besuchen, Gebrauch gemacht. Zu wenig, findet die Ministerin. Und unter dem in vielen Ohren einigermassen windig klingenden Vorwand der sakrosankten republikanischen Egalité, des so hehren, aber für jeden Unfug bemühten Gleichheitsprinzips, schafft sie diese Klassen kurzerhand ab - anstatt allen Schülern die Möglichkeit eines gründlichen, mit anderen europäischen Ländern kompatiblen Fremdsprachenerwerbs zu eröffnen. Zu bieten hat sie lediglich eine Aufhübschung der chronischen linguistischen Unterernährung: Für die zweite Fremdsprache - sie wird dann, befürchten die Germanisten, stets das als leichter reputierte Spanisch sein - stehen bloss zweieinhalb Wochenstunden zur Verfügung. Wenn man sieht, was an fremdsprachlicher «Kompetenz» in französischen Schulen bei vergleichbarem Aufwand bis anhin erreicht worden ist, kann man in der Tat nur den Kopf schütteln.
Es sind dies zweieinhalb Stunden, auf die dann zwar, in Anwendung eines egalitären Giesskannenprinzips, ein jeder Anspruch hat, die auch Geld kosten, die man sich aber auch - bei der nachweisbaren Ineffizienz - getrost sparen könnte. Die erst im vergangenen August ernannte Najat Vallaud-Belkacem hat ihr Metier als Erziehungsministerin leider sehr schnell erlernt: Statt zu differenzieren und auszubalancieren, zerstört sie, was funktioniert. Hauptsache Reform.


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