Ja, da sind sie wieder,
unsere zwei alten Freunde, von denen der eine allerdings eher wie eine Freundin
aussieht. Müssen die schon wieder in die Zeitung? Je länger man sie anschaut,
desto komischer blicken sie zurück. Bild: Roland Schmid
Galaktischer Sex - reicht es nicht, Basler Zeitung, 5.1. von Christine Richard
Die beiden Plüschteile
könnten geradewegs aus der Kantine der «Muppet Show» kommen. McBurger und ein
Schübling mit nicht weiter identifizierbarer Ess-Beilage. Irgendwie niedlich
und zugleich ekelhaft wirken sie; vielleicht gerade deswegen, weil sie Sex und
Esslust auf obszöne Weise verbinden und erst noch aussehen, als hätten Gevatter
Tod und ein Metzgermeister an ihnen gemeinsame Arbeit verrichtet, das eine Teil
abhacken, das andere Teil herausschälen, lecker einfärben und ...
Ja,
es reicht jetzt. Gruusig, das. Hier geht die Fantasie durch. Es ist genug. Ab
in die Mottenkiste. Nie wieder vorzeigen, die beiden Puschel. Völlig unnötig.
Die beiden Geschlechtsteile sind nicht mehr im Einsatz, zumindest nicht im
Schulunterricht.
Wo
denn sonst? Wo sind welche Geschlechtsteile im Einsatz?
So
ist das: Eine sexuelle Anspielung genügt, die Neugier springt an, die Fantasie
legt los. Die Neugier wächst, sie drängt, sie sucht, sie will die Leerstelle
finden und füllen, sie will eindringen in das ... egal. Gustave Courbet hat es
gemalt, «Der Ursprung der Welt».
Was
ich damit sagen will: Sprache ist eine Spielart von Sex. Auch in der Zeitung.
Erst recht erotisiert das Reden über Sex. Auch in der Schule. Sexuelle
Fantasien, einmal angeregt, sind schwer zu stoppen. Sie drängen auf
Entgrenzung. Auch in den Wissenschaften – und besonders in der
Sexualpädagogik.
Vergesst
die zwei Muppet-Puschel. Sie sind vergleichsweise harmlos. Eine Vorhut
deutscher Sexualpädagogen hat sich Sex-Aufklärungsspiele der härteren Art
ausgedacht.
Mach
den Kondomführerschein
Im
Bundesland Nordrhein-Westfalen können achtjährige Buben in der Schule den
«Kondomführerschein» machen. Ein Referent von ausserhalb verteilt
Silikon-Penis, Kondome, Augenbinde sowie Übungs- und Prüfungsbögen. Da werden
die Eltern stolz sein, wenn ihr Büblein den Führerschein heimbringt!
In
Berliner Kindergärten und Grundschulen lernten Kinder ab 5 Jahren von den
beiden Hauptfiguren eines Buchs: «Wenn es so schön ist, dass es schöner nicht
mehr werden kann, haben Lisa und Lars einen Orgasmus. Das ist schön kribbelig
und warm in der Scheide und am Penis. Aus Lars’ Penis spritzt ...» Und so
weiter.
In
Niedersachsen wehren sich Elternräte gegen ein neues Mathe-Buch. Hierin ist ein
Haus abgebildet, in dem zwei bisexuelle Frauen leben, die ein Kind adoptiert
haben. Gibt es. Sollte ins Schulbuch. Aber als Ausnahme. In diesem Mathe-Buch
jedoch ist die Normalfamilie ausgestorben.
Am
weitesten hat es die Kasseler Soziologie-Professorin Elisabeth Tuider, 43,
gebracht. In ihrem gleichnamigen Standardwerk plädiert sie für eine «Sexualpädagogik
der Vielfalt». Nichts gegen Akzeptanz sexueller Vielfalt. Aber ihre Autoren
empfehlen Übungen, die sämtliche Normen aufweichen.
Ersteigere
Dildos und Aktfotos
Hier
ein Beispiel, gedacht als Aufgabe für Vierzehnjährige. Und los geht es: In
einem Mietshaus leben eine alleinerziehende Mutter, eine Einwanderin aus
Kasachstan, zwei Lesben mit Kindern, ein schwules Paar, drei Menschen mit
Behinderungen. Die Aufgabe lautet sinngemäss: Erwerbe in einer virtuellen
Versteigerung einen Dildo, Kondome, Potenzmittel, Windeln, Vaginalkugeln,
Latex, Aktfotos und Handschellen. Ordne die Gegenstände den unterschiedlichen
Mietern zu. Lange Denkpause.
Da
kommt man auch als Erwachsener ins Grübeln. Kondome für die Alleinerziehende?
Handschellen für die Immigrantin? Aktfotos für die Kinder oder von ihnen?
Schlimm, solche entfesselten Fantasien. Aber nur Ergebnis dieser Übung: Weil
sie die Möglichkeit schafft, alles frei zu kombinieren, erregt sie eine Lust,
die zuvor niemand hatte. Am besten Handschellen für Frau Tuider, damit sie
nicht mehr zum Schreiben kommt? Für eine Entfesselungskünstlerin kein
ernsthaftes Problem.
Problematisch
ist es für die Schülerinnen und Schüler. 13-Jährige sollen über ihr «erstes
Mal» berichten. Echt? Echt. Spielerisch natürlich. Die Kinder dürfen ihr
«erstes Mal» in Kunst verpacken, in einen Sketch, ein Bild.
Tolle
Idee. Aber «erstes Mal» – wie jetzt? Was mag unsere Lehrerin damit meinen?
Mein «erstes Mal»? Um den Kindern auf die Sprünge zu helfen, dürfen sie ein
Kärtchen ziehen: «Das erste Mal ein Kondom überziehen, das erste Mal ein Tampon
einführen, das erste Mal Analverkehr». Brrrr.
Vervielfältigte
Sexualitäten
Man
möchte der guten alten Aufklärung, wie sie mit Oswald Kolle und Bravo begann,
geradezu hinterherweinen. Summerhill, Christopher Street Day,
Swingerclub – reicht das nicht? Nicht den sogenannten de-
konstruktivistischen Sexualkundlern. Die neueste Mode emanzipatorischer
Sexualpädagogik zielt auf «Vervielfältigung von Sexualitäten, Identitäten und
Körpern».
Das
hört sich an wie Sex mit Tausendfüsslern. Gewiss ist so eine «Vervielfältigung
von Sexualitäten» lieb und nett gemeint. Im Sinne von Toleranz gegenüber
Minderheiten und Offenheit gegenüber kapriziösen Sexualpraktiken. Aber müssen
deshalb 14-jährige Kinder im Unterricht Handschellen und Aktfotos ersteigern?
Ich
weiss nicht, was die Muslime unter uns (unter uns?) zu dieser ebenso entfesselten
wie entfesselnden Sexualpädagogik sagen. Ob sie ihre «Sexualitäten» auch
«vervielfältigen» wollen? Ob sie überhaupt von den Emanzipationspädagogen
gefragt worden sind?
Schön
wärs. Andererseits ist es ein rechtes Armutszeugnis, wenn man als emanzipierte
Westlerin beginnt, auf erzkonservative Muslime zu hoffen, nur weil die eigene
Herkunftsgesellschaft es mit Anstand, Sitte und Familienzusammenhalt nicht mehr
schafft.
Die
Losung postmoderner Sexualpädagogik hört sich an wie postdramatisches Theater:
«Verstörung von Selbstverständlichkeiten». Aber sind wir nicht alle verstört
genug?
Sexboxen-Springen
in Zürich
Ginge
es nach Frau Truider und ihren Glaubensgenossen, müssten die Schulklassen
«galaktische Sex-Praktiken» mit passendem Spielzeug erfinden. Dabei komme ich
mir jetzt schon vor, als wohne ich auf einem anderen Stern. Ich sage nur
Verrichtungsboxen. Was ist das für eine Gesellschaft, die es ungerührt und
ungestraft hinnimmt, dass Liebe in Sexboxen verrichtet wird?
Der
mit Steuergeldern errichtete «Prostitutionspark» in Zürich ist das
Erbärmlichste, was in Sachen Sex derzeit zu besichtigen ist. Er ist ein
Rückschritt in eine Barbarei, die es nie gegeben hat. Sex wurde in Holzställen
und Scheunen getrieben; Sex wurde mehr oder weniger still und leise in der
Kammer neben den Kindern erledigt. Aber nie als Seriennummer, Box neben Box,
Mann neben Mann, mitten auf der Strasse.
In
den meisten Ländern werden die Freier und/oder die Prostituierten bestraft.
Sexkauf gibt es gleichwohl, auf dem schwarzen Markt. Im illegalen Raum geht es
oft brutaler zu, kriminell. Aber deshalb im öffentlichen Raum Holzboxen
hinbrettern, gegen die öffentliche WCs Design-Oasen sind? Die Schweiz (Top of
the World) sollte wenigstens eine Bordell-Kultur hinbekommen wie Frankreich vor
100 Jahren.
Das
Boxen-Springen von Zürich ist, mal vulgär ausgedrückt, «unterm Tier». Jeder
Hirsch muss sich mehr Mühe geben, jeder Vogel setzt Schönheit ein. Wollte der
als zu offen kritisierte Sexualkundeunterricht mit dem öffentlichen
Boxen-Springen mithalten, müsste er schon Tierfilme zeigen. Sarkastisch? Schutz
vor Resignation.
Erfinde
das «neue Puff für alle»
Es
geht auch zynisch. Also: Falls du wissen willst, wie das Bordell der Zukunft
sein soll, frag Frau Tuider. Eine ihrer praxisnahen Übungen für Schüler ab 15
Jahren heisst «Der neue Puff für alle». Der Grundriss wird als Arbeitsblatt
vorgegeben. Die Schüler und wohl auch die Schülerinnen sollen sich Gedanken
über vier Aspekte machen: das inhaltliche Angebot im Bordell, die
Innenraumgestaltung, das Personal, Werbung und Preisgestaltung.
Es
darf losfantasiert werden. Lieber eine weisse Frau oder eine schwarze? Von
vorne oder von hinten? Seidenkissen, Spermaschlucken? Hier werden nicht nur
Schamgrenzen von Jugendlichen aufgebrochen, die zu hüten Aufgabe von Schule und
Gesellschaft ist. Hier werden halbe Kinder nicht nur zu Erwachsenen-Fantasien
verführt, sondern durch die Aufgabenstellung geradezu gezwungen.
Die
Regelschule gibt die Regeln vor. Wenn Sexualerziehung auf diese tief ins
Fantasieleben eingreifende Weise ein Bordell zum Unterrichtsgegenstand macht,
macht Schule die Prostitution zum Normalzustand.
Probleme
durch Erwachsene
Dies
ist ein Pamphlet gegen Hypersexualisierung von Heranwachsenden; ein Plädoyer
gegen Sexualerziehung ist es nicht. Verhütungsmittel, Geschlechtskrankheiten,
sexueller Missbrauch, Gewalt in der Familie, Transgender, Pornografie im
Internet: Es gibt genügend brisante Probleme, die meisten erzeugt von
Erwachsenen.
Und
es gibt die Unschuld: Laut einer Studie der deutschen Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung hatte 2005 ein Viertel der 17-jährigen Mädchen noch
keinen Geschlechtsverkehr, im Jahr 2010 war es ein Drittel.
Sexualerziehung
ist das schwierigste Fach, das man sich denken kann. Regel Nummer eins:
Vergesst die Scham und die Unschuld nicht; sie sind das Beste, was wir haben.
Regel
Nummer zwei: Reden über Sex erotisiert. Lehrer, Schüler, Eltern. Das mag man
abtun, aber damit muss man rechnen. Die Aufklärung muss eine doppelte sein:
Reden über Sex und darüber reden, was dieses Reden anrichten kann. Sex will
Entgrenzung, immer mehr.
Regel
Nummer drei: Wer der Sexualität ihr Geheimnis nimmt, vernichtet sie. Das kann
niemand wollen.
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