Für Roca ist der Lehrplan nur ein weiteres Kapitel in einer andauernden Bildungsmisere, Bild: Basler Zeitung
Kritische Thesen zur Einführung des Lehrplans 21, Basler Zeitung, 16.12. von René Roca
Seit es in der Schweiz die Volksschule gibt, ist der Lehrplan 21
(LP 21) die umfassendste und grundlegendste Reform. Sie geht in eine völlig
falsche Richtung und will gemäss OECD-Vorgaben das humanistische Bildungsverständnis
ersetzen. Auch nach der Überarbeitung, die im Auftrag der Deutschschweizer
Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) stattfand, ändert sich nichts an diesen
Einschätzungen.
Nun
hat der Erziehungsrat (ER) von Basel-Stadt am 1. Dezember 2014 beschlossen, den
Lehrplan 21 ab dem 17. August 2015 in Kraft zu setzen. In einer
«Zusatzinformation» stellt der ER fest: «Er [der LP 21] stellt nicht alles auf
den Kopf (nur rund 5 bis 10 Prozent ist neu, Wissen ist immer noch wichtig).»
Zuerst reibt man sich ob einer solchen Aussage die Augen, dann wird aber bei
der Betrachtung der Schullandschaft klar: Vieles, was der neue Lehrplan
theoretisch und praktisch beinhaltet, ist schon eingeführt. Die Fokussierung
auf die Kompetenzen und der theoretische Ansatz des Konstruktivismus wurden
schleichend bereits umgesetzt. Seit 2006 sind die Lehrplanmacher am Werk und
kontinuierlich floss die Ideologie in die Schulen ein. Der ER schreibt selber
in seiner Medienmitteilung vom 4. Dezember 2014: «Die Lehrmittel in Deutsch,
Fremdsprachen und Mathematik passen schon zum neuen Lehrplan 21.» Auch die
gesamte Lehrerausbildung ist schon auf die «Kompetenzvermittlung» ausgerichtet,
und dies ohne Diskussion und an der Öffentlichkeit vorbei. Im folgenden drei
Thesen angesichts einer unhaltbaren Situation.
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These 1: Fehlende Vergangenheitsbewältigung
Die
letzte grosse Schulreform im Kanton Basel-Stadt ist bis heute nicht kritisch
und umfassend aufgearbeitet. Das Erziehungsdepartement (ED) und der
Erziehungsrat hängen der bisherigen Bildungsmisere mit der Einführung des neuen
Lehrplans lediglich ein neues Kapitel an. Das ED kann so bequem und ohne
selbstkritisches Hinterfragen den Scherbenhaufen der letzten Reform entsorgen.
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These 2: Fehlende Legitimation des Lehrplans 21
Das
Hauptargument der Befürworter des neuen Lehrplans ist die Abstimmung vom 26.
Mai 2006 über die neuen Bildungsartikel in der Bundesverfassung. Damit habe die
Deutschschweizer EDK einen klaren Auftrag erhalten, den sie nun mit dem LP 21
umgesetzt habe. Aus dem Harmonisierungsauftrag einen Paradigmawechsel, wie ihn
der neue Lehrplan darstellt, abzuleiten, ist aber nicht legitim. Zudem wird
besonders hervorgehoben, dass die Abstimmung über die neuen Bildungsartikel mit
85,6 Prozent Ja angenommen wurde. Nicht erwähnt wird jeweils, dass die
Stimmbeteiligung lediglich 27,8 Prozent betrug.
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These 3: Fehlende Diskussion und Mangel an demokratischer Kultur
Die
D-EDK antwortet in einem Papier auf die Frage «Was ist ein Lehrplan?» mit
folgender Aussage: «Im Lehrplan wird der bildungspolitisch legitimierte Auftrag
der Gesellschaft an die Volksschule erteilt.» Die Gesellschaft sind bekanntlich
wir alle. Die D-EDK verhinderte aber eine breite gesellschaftliche Diskussion.
Auf Kritik reagierten die Verantwortlichen jeweils dünnhäutig und vermieden mit
gezielten Kommunikationsstrategien eine öffentliche Debatte. Anlässlich einer
Veranstaltung zum LP 21 im Rahmen der Didacta in Basel herrschte eine
gespenstische Atmosphäre. Die Zuhörer durften sich die Schalmeien der EDK-Leute
und Anverwandter anhören, ohne Fragerunde und Diskussion. Es war schlicht eine
Art «Geisterstunde», wie sie Konrad Paul Liessmann in seinem gleichnamigen Buch
beschreibt.
Was
tun?
Nötig
wäre endlich eine vertiefte Diskussion der Bildungsreformen in der Lehrerschaft
und in der Bevölkerung. Um das einzuleiten, sind bereits Initiativen in
zahlreichen Kantonen in Angriff genommen worden. Im Bildungsraum
Nordwestschweiz laufen in den Kantonen Solothurn, Aargau und Baselland
kritische Diskussionen und kantonale Initiativen sind lanciert. Und in
Basel-Stadt? Die Stadtbasler Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht zur
Tagesordnung übergehen. Insbesondere die Eltern, die mit den Schulreformen
schon einschlägige Erfahrungen gesammelt haben, sollten eine kantonale Initiative
anstreben, die verhindert, dass der LP 21 eingeführt werden kann.
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