«Man
muss etwas machen, aber doch nicht so!» Diesen Satz verwendete Alain Pichard in
seinem Referat
bei der Staatsbürgerlichen Gesellschaft Thun zum Thema «Die heutige
Bildungspolitik aus der Sicht eines Praktikers» mehr als nur einmal. Der
Bieler, der seit 34 Jahren als Lehrer tätig ist, kritisierte den Lehrplan 21,
da dieser viel mehr sei als nur eine Reform des alten Lehrplans. «Dieser Lehrplan
führt in eine völlig andere Schule. Es ist ein gross angelegter
Steuerungsversuch der Volksschule»,
meinte der streitbare Pädagoge und Kolumnist.
"Ein teures Projekt, das nichts bringt", Thuner Tagblatt, 4.12. von Damaris Oesch
Alain
Pichard kritisierte auch die Entstehung des neuen Lehrplans: «Der Lehrplan 21
entstand in einem hermetisch abgeschlossenen Labor.» Praktiker wie er seien
dabei ausgeschlossen worden, da die Lehrer im hiesigen Bildungssystem nur noch
als Erfüllungsgehilfen gebraucht würden, sie aber kaum in
schul- und bildungspolitischen Fragen zu Wort kämen. Der Initiant des
lehrplankritischen Memorandums
«550 gegen 550» hat gemeinsam mit den tausend Lehrkräften, welche dieses unterzeichnet
haben, die dritte und letzte Version des neuen Lehrplans analysiert und ist
auch mit der überarbeiteten Fassung nur bedingt zufrieden. Die endgültige
Version, die am 7.November der Öffentlichkeit präsentiert wurde, wurde um 20
Prozent gekürzt. Dabei sei nicht die Länge der Kritikpunkt gewesen, so Pichard.
«Das Problem ist die Kompetenzorientierung des Lehrplans.» Der Lehrplan bestehe
komplett aus der Theorie von Franz Weinert und sei deshalb auf dem
Konstruktivismus aufgebaut. «Das bedeutet, dass es keine gemeinsame Wahrheit
gibt. Das Kind muss seine Lerninhalte selbst festlegen», erklärte Pichard, der
dasPublikum im Hotel Freienhof immer wieder mit seinen pointierten Aussagen
überraschte. «Es ist eine Standardisierung auf Kosten der Imagination», sagte
er weiter. Er zeigte sich überzeugt davon, dass sich der Lehrplan 21 nahtlos in die
Reihe gescheiterter Bildungsreformen einfügen wird. «Am Ende ist es eine
Selbsttäuschung: ein teures Projekt, das nichts bringt.»
Weisheit
der Praktiker
Alain
Pichard rundete sein Referat vor den über hundert Anwesenden mit seiner Vision
der perfekten Schule
ab. Diese hängt sehr stark mit den Ergebnissen des Bildungsforschers John
Hattie zusammen. Hattie fand heraus, dass erfolgreiches Lernen nicht
massgeblich durch offenen Unterricht oder individuelles Lernen gesteigert wird,
sondern vielmehr durch offene Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern und
direkte Instruktionen. «Lernen bedeutet für mich, Probleme zu lösen. Ein guter
Lehrer muss den Schülern den Sinn des Lernens vermitteln können und sie dazu
ermutigen», erklärte Alain Pichard. «Die Geschichte der grossen Reformen ist
gescheitert. Praktische Vorbilder sind
gefragt», sagte er zum Schluss seines Referats, bevor er die hauptsächlich
älteren Zuhörer mit dem Appell entliess, die Gedanken weiterzutragen und in die
Tat umzusetzen.
Angeregte
Diskussionsrunde
Bei der
anschliessenden Austausch- und Fragerunde wurde darüber diskutiert, wie man die
nach Ansicht Pichards negative Entwicklung in der Bildungspolitik stoppen
könnte. «Da man mit Bildung sehr viel Geld verdienen kann, wird es schwierig,
diesen Lehrplan noch zu stoppen», meinte der Referent dazu. Hinter dem Projekt
stecke viel mehr als nur ein banaler Lehrplan. Im Publikum wurden Begriffe wie
«Sauerei» oder «Horrorszenario» dazu verwendet, den Lehrplan zu beschreiben.
Einige berichteten von eigenen Erlebnissen, welche sie schockiert hatten.
Andere führten die Tatsache an, dass 16
bis 20 Prozent der Schulabgänger in der Schweiz funktionale Analphabethen sind.
«Für das
teuerste Schulsystem der Welt ist das eine Schande. Wir sollten dort ansetzen
und nicht beim Frühfranzösisch», sagte Alain Pichard bestimmt.
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