4. Dezember 2014

Skepsis gegenüber Schulversuch

In der Stadt Winterthur suchte man nach Lehrpersonen, die am Schulversuch "Fokus starke Lernbeziehungen" mitmachen. Doch das Echo blieb gering - auch weil das Modell mit der Lebensgestaltung vieler Lehrkräfte kollidiert.





Mit bloss zwei Lehrkräften pro Klasse soll die Beziehung zur Lehrperson gestärkt werden, Bild: Keystone

Schulen begegnen dem Zwei-Lehrer-Versuch mit grosser Skepsis, Landbote, 4.12. von Mirjam Fonti


Unterrichten weniger Lehrpersonen an einer Klasse, soll eine bessere Lehrer-Schüler-Beziehung möglich werden. Dies hoffen zumindest die Initianten des Schulversuchs «Fokus starke Lernbeziehungen». Der Versuch will, dass höchstens zwei Lehrpersonen pro Klasse unterrichten. Klassenlehrer finden in ihrem Pflichtenheft also zusätzlich integrative Förderung (IF), Deutsch als Zweitsprache oder Begabtenförderung. Dafür führen sie die Klasse zu zweit. 
Der Versuch wurde den Winterthurer Lehrerinnen der Kindergarten- und Primarschulstufe unter anderem im April 2013 vorgestellt. Stadtrat Stefan Fritschi (FDP) äusserte damals den Wunsch, dass ab August 2014 vier bis sieben Schulhäuser an dem Versuch mitmachen. Kantonsweit wollte man innert dreier Jahre mindestens 200 Klassen für den Versuch gewinnen. 
Kaum Freiwillige 
Da ein Versuch nur Sinn macht, wenn er vom Lehrerteam unterstützt wird, hat man gemäss Fritschi keine Klassen zum Mitmachen verknurrt. Die Teilnahme sollte freiwillig sein. Doch in Winterthur war das Interesse gering. In der ersten Staffel mit Start Sommer 2013 nahmen gar keine Klassen teil. Für die zweite Staffel meldete sich immerhin die Primarschule Lind (siehe Kasten). Und für die dritte Staffel mit Start im nächsten Sommer gab es wiederum keine Interessenten aus Winterthur. 
Kleinpensen unerwünscht 
Stadtrat Stefan Fritschi macht auf Anfrage keinen Hehl daraus, dass er enttäuscht ist über das geringe Interesse: «Ich bin vom Versuch überzeugt und sehe einen klaren pädagogischen Mehrwert. Es ist erwiesen, dass die Beziehung zur Lehrperson einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Kinder ist.» Auf der anderen Seite habe er Verständnis für die Schulen: «In vielen Teams ar­bei­ten Teilzeitangestellte mit Kleinpensen. Für diese ist im Versuchsmodell kein Platz mehr.» Es entstehe ein Interessenkonflikt zwischen der Lebensgestaltung der Lehrkräfte und den Bedürfnissen der Kinder. Auch viele Heilpädagogen zeigen sich vom Versuch wenig begeistert. Sie sind künftig nicht mehr in den Klassen, sondern übernehmen vor allem eine beratende Funktion für die Lehrpersonen. Oder sie werden trotz Spezialausbildung hauptsächlich als Lehrer eingesetzt. Fritschi bestreitet jedoch, dass es bei dem Versuch dar­um geht, zu sparen: «Es gibt wie bisher 130 bis 160 Stellenprozente pro Klasse, sie werden einfach auf weniger Köpfe verteilt.» 

Nicht nur in Winterthur ist das Interesse am Versuch kleiner als erhofft. Bei den ersten beiden Staffeln nahmen im Kanton Zürich bislang erst 109 Klassen teil. Ob das Ziel von 200 Klassen im dritten Jahr noch erreicht werden kann, ist fraglich. Die bereits abgelaufene Anmeldefrist wurde bis Mitte Januar verlängert. Gemäss Martin Wendelspiess, Chef des Volksschulamts, hätten vor allem die Städte Zürich und Winterthur mit einer höheren Beteiligung ihrer Schulen gerechnet. 

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