In aller Frühe sind die Schüler unterwegs in die Schule, Bild: Gaetan Bally
Schulbeginn erst um acht, St. Galler Tagblatt, 9.12. von Regula Weik
In der Pubertät verwandeln sind Jugendliche in Eulen: Sie gehen
abends spät ins Bett und kommen morgens kaum aus den Federn. Grund sei ihr
Biorhythmus, besagen wissenschaftliche Studien, und nicht (nur) ihr
ausschweifendes Partyleben. Ihr Biorhythmus verschiebe sich nach hinten.
«Jugendliche befinden sich in den frühen Morgenstunden im Tiefschlaf, aus dem
sie wegen des frühen Schulanfangs regelmässig herausgerissen werden», sagt
Richard Ammann. Die Folge davon: «Viele Jugendliche erscheinen müde,
unkonzentriert und unmotiviert in der Schule.»
Ammann weiss, wovon er
spricht. Er steht seit 32 Jahren als Lehrer in Klassenzimmern – und eigentlich
störe ihn dieser «Frühstart» seit Beginn seiner Lehrertätigkeit. Ist er selber
ein Morgenmuffel? Er verneint. Er sei morgens fast immer der erste im
Schulhaus.
«80 Prozent der Firmen
nehmen am Morgen vor acht Uhr kein externes Telefon ab», sagt Ammann. Studenten
an Universitäten würden frühestens um acht Uhr Vorlesungen zugemutet – als
«passive Zuhörer». Volksschüler dagegen müssten bereits kurz nach sieben Uhr
«aktiv» am Unterricht teilnehmen – «das ist paradox».
Dauerhaftes Schlafmanko
Ein regelmässiger
Schulstart zwischen 7 und 7.30 Uhr, wie ihn vor allem die Oberstufe kenne,
führe zu «systematischem Schlafentzug und dauerhaftem Schlafmanko». Die Folgen
tönen dramatisch. Chronische Übermüdung kann laut Ammann zu Interesselosigkeit,
Schulverdruss und depressiven Störungen führen. Der Abtwiler BDP-Kantonsrat und
Sekundarlehrer richtet sich deshalb an die Regierung. Er will von ihr wissen,
ob sie seine Einschätzung der Folgen des frühen Schulbeginns teilt. Und ob sie
bereit ist, kantonsweit einen späteren Schulstart zu prüfen. Ammann denkt an
Unterrichtsbeginn um acht Uhr.
Wie andere entscheiden
Der St. Galler Politiker
steht mit seinem Ansinnen nicht allein – jedenfalls nicht mit Blick auf andere
Kantone. Im Kanton Basel-Stadt startet der Unterricht an den Sekundarschulen
neu erst um acht Uhr. Schülerinnen und Schüler mehrerer Gymnasien hatten in
einer Petition für einen Unterrichtsbeginn um 8.30 Uhr plädiert.
In Zürich war der
Schulanfang bereits mehrmals ein Thema. Die SP hat ihn vor einem Jahr erneut
auf die politische Agenda gehievt. Die Partei glaubt, damit gleich auch die
Kapazitätsengpässe im öffentlichen Verkehr zu entschärfen. Wenn
Sekundarschüler, Gymnasiasten und Berufsschüler die Züge später in Beschlag
nehmen, bleibe morgens mehr Platz für die Berufspendler. Dem gleichen Ansinnen
hatte der Regierungsrat zwei Jahre früher eine klare Abfuhr erteilt. Auch im
Kanton Bern war die Idee damals auf Kritik gestossen.
Den Schulbeginn
verschieben, um den öffentlichen Verkehr zu entlasten – was hält Ammann von
dieser Argumentation? Die morgendliche Hektik auf Strassen und im öffentlichen
Verkehr könne dadurch tatsächlich entschärft werden – nicht nur für die
Schüler, auch für alle anderen Verkehrsteilnehmer. «Die heutige Situation ist
Unsinn», sagt Ammann, «auch aus Sicherheitsgründen». Ein späterer
Unterrichtsstart hätte den Vorteil, dass Kinder und Jugendliche sich nicht
länger zur morgendlichen Stosszeit auf den Schulweg begeben müssten.
Strukturen anpassen
Für Ammann ist klar:
«Mittelfristig sollten sich die örtlichen Strukturen den natürlichen
Bedürfnissen der Kinder anpassen – und nicht umgekehrt.» Er spricht von einer
«lieblosen Nichtberücksichtigung einer gesunden und altersgerechten Entwicklung
der Schulkinder».
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