Reformen und Ressourcen müssen ein Tandem bilden, NZZ, 10.12. von Michael Schoenenberger
Unter den Faktoren, die wirksamen Unterricht
ausmachen, steht die intrinsische Motivation von Lehrpersonen ganz oben auf der
Liste. Wie leidenschaftlich und mit wie viel Herzblut Lehrerinnen und Lehrer
vor die Klasse treten, ist entscheidend - nicht nur für den Lernerfolg der
Sprösslinge, sondern auch dafür, welche Einstellung diese ganz grundsätzlich zu
ihrem späteren Berufsalltag entwickeln. Der Eruierung der Berufszufriedenheit
kommt in diesem Kontext hohe Bedeutung zu. Der Dachverband der Lehrpersonen
(LCH) hat diese Frage zum vierten Mal seit 1990 untersuchen lassen und die Resultate
am Dienstag in Zürich präsentiert. Auf einer Skala von 1 bis 6 liegt die
Gesamtzufriedenheit bei einem tiefen, knapp genügenden Wert: bei 4,3.
Zunächst zum Positiven. Die Möglichkeit, das
Arbeitspensum entsprechend den eigenen Wünschen festzulegen, wird allgemein
geschätzt. Eine überdurchschnittliche Zufriedenheit machte der Sozialforscher
Charles Landert, der über 15 000 Online-Fragebögen ausgewertet hat, sodann in
jenen Teilbereichen aus, die sich auf den direkten Umgang mit Kindern oder
Menschen beziehen (vgl. Grafik). Keine schlechte Zufriedenheit herrscht beim
Kerngeschäft, dem Unterrichten. Auch nicht so schlecht bestellt ist es bei dem
von Schülern entgegengebrachten Respekt, der Vermittlung von Werten und der
Sicherstellung der Disziplin. Dazu passt, dass 82 Prozent der Befragten ihren
Beruf wieder ergreifen würden. Landert streicht aber heraus, dass nur in 7 von
68 Aspekten eine Zufriedenheit von 5 oder mehr erzielt wurde.
Alarmzeichen
Unzufrieden ist der Lehrerstand mit dem Lohn, den
Perspektiven und vor allem mit Inhalt und Umsetzung von Reformen. Es gibt hier
zwar kantonale Unterschiede, aber die Durchschnittswerte sprechen eine überaus klare
Sprache. Bei den Reformen resultieren ungenügende Noten sowohl für die
inhaltliche Ausrichtung, die seriöse Umsetzung im Schulwesen, für die Steuerung
durch die Kantone wie für die zuerkannten Ressourcen, etwa Personal, Zeit,
Know-how und Finanzen. Beim Lohn liegt der Zufriedenheitswert bei einer 4. Die
Altersvorsorge, die Lohnentwicklung und die Abgeltung von besonderen Funktionen
werden indes als ungenügend bewertet. «Als Bildungsdirektor», sagte
LCH-Zentralsekretärin Franziska Peterhans, «würde ich solche Werte als
Alarmzeichen nehmen.»
Auch wenn es den Anschein macht, dass die
Lehrpersonen von Reformen die Nase gestrichen voll haben, bewerten sie einzelne
zurückliegende Neuerungen durchaus positiv. Beispielsweise ist die
Zufriedenheit mit den eingeführten Schulleitungen insgesamt genügend bis gut.
Das sei nur scheinbar ein Widerspruch, hiess es an der Medienkonferenz.
LCH-Zentralpräsident Beat W. Zemp fokussierte auf die Ressourcen und sagte:
«Als Bergführer können sie im Winter nicht mit Turnschuhen aufs Matterhorn und
eine Gruppe mitnehmen, in der Spitzensportler und behinderte Menschen
gleichzeitig mitlaufen.» So müssen Reformen und Ressourcen aus Sicht des
Verbands zwingend ein Tandem bilden, was auch für die nächste grosse Reform,
den Lehrplan 21, zu gelten habe.
Auswege aus Überlastung
In der Mehrheit sind die Lehrpersonen mit der
Balance zwischen Arbeits- und Erholungszeit unzufrieden. Sie sind überlastet.
Laut dem LCH reduzieren viele Lehrpersonen ihr Arbeitspensum freiwillig, um den
Anforderungen des Berufs überhaupt gerecht werden zu können. Die zahlreichen
Teilzeitpensen rühren folglich nicht nur daher, dass viele Frauen den Beruf
ausüben, die gleichzeitig Verpflichtungen in der eigenen Familie übernehmen.
Sie sind auch sichtbares Zeichen individueller Strategien, wie der Beruf
bewältigt werden kann. So werde verschleiert, schreibt der LCH, dass ein
Vollpensum in der Schule dauerhaft oft nicht mehr zu leisten sei.
Handlungsbedarf sieht der LCH deshalb beim Pflichtpensum, das für Lehrer auf 26,
für Klassenlehrer auf 24 Lektionen reduziert werden solle. Das sei im
internationalen Vergleich noch immer viel, betonte Zemp.
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