10. Dezember 2014

Teils hohe Unzufriedenheit bei Deutschschweizer Lehrpersonen

Sind die Lehrer zufrieden mit ihrem Beruf? Zum vierten Mal hat der Lehrerverband LCH seinen Mitgliedern diese Frage gestellt. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus.

Reformen und Ressourcen müssen ein Tandem bilden, NZZ, 10.12. von Michael Schoenenberger


Unter den Faktoren, die wirksamen Unterricht ausmachen, steht die intrinsische Motivation von Lehrpersonen ganz oben auf der Liste. Wie leidenschaftlich und mit wie viel Herzblut Lehrerinnen und Lehrer vor die Klasse treten, ist entscheidend - nicht nur für den Lernerfolg der Sprösslinge, sondern auch dafür, welche Einstellung diese ganz grundsätzlich zu ihrem späteren Berufsalltag entwickeln. Der Eruierung der Berufszufriedenheit kommt in diesem Kontext hohe Bedeutung zu. Der Dachverband der Lehrpersonen (LCH) hat diese Frage zum vierten Mal seit 1990 untersuchen lassen und die Resultate am Dienstag in Zürich präsentiert. Auf einer Skala von 1 bis 6 liegt die Gesamtzufriedenheit bei einem tiefen, knapp genügenden Wert: bei 4,3.
Zunächst zum Positiven. Die Möglichkeit, das Arbeitspensum entsprechend den eigenen Wünschen festzulegen, wird allgemein geschätzt. Eine überdurchschnittliche Zufriedenheit machte der Sozialforscher Charles Landert, der über 15 000 Online-Fragebögen ausgewertet hat, sodann in jenen Teilbereichen aus, die sich auf den direkten Umgang mit Kindern oder Menschen beziehen (vgl. Grafik). Keine schlechte Zufriedenheit herrscht beim Kerngeschäft, dem Unterrichten. Auch nicht so schlecht bestellt ist es bei dem von Schülern entgegengebrachten Respekt, der Vermittlung von Werten und der Sicherstellung der Disziplin. Dazu passt, dass 82 Prozent der Befragten ihren Beruf wieder ergreifen würden. Landert streicht aber heraus, dass nur in 7 von 68 Aspekten eine Zufriedenheit von 5 oder mehr erzielt wurde.
Alarmzeichen
Unzufrieden ist der Lehrerstand mit dem Lohn, den Perspektiven und vor allem mit Inhalt und Umsetzung von Reformen. Es gibt hier zwar kantonale Unterschiede, aber die Durchschnittswerte sprechen eine überaus klare Sprache. Bei den Reformen resultieren ungenügende Noten sowohl für die inhaltliche Ausrichtung, die seriöse Umsetzung im Schulwesen, für die Steuerung durch die Kantone wie für die zuerkannten Ressourcen, etwa Personal, Zeit, Know-how und Finanzen. Beim Lohn liegt der Zufriedenheitswert bei einer 4. Die Altersvorsorge, die Lohnentwicklung und die Abgeltung von besonderen Funktionen werden indes als ungenügend bewertet. «Als Bildungsdirektor», sagte LCH-Zentralsekretärin Franziska Peterhans, «würde ich solche Werte als Alarmzeichen nehmen.»
Auch wenn es den Anschein macht, dass die Lehrpersonen von Reformen die Nase gestrichen voll haben, bewerten sie einzelne zurückliegende Neuerungen durchaus positiv. Beispielsweise ist die Zufriedenheit mit den eingeführten Schulleitungen insgesamt genügend bis gut. Das sei nur scheinbar ein Widerspruch, hiess es an der Medienkonferenz. LCH-Zentralpräsident Beat W. Zemp fokussierte auf die Ressourcen und sagte: «Als Bergführer können sie im Winter nicht mit Turnschuhen aufs Matterhorn und eine Gruppe mitnehmen, in der Spitzensportler und behinderte Menschen gleichzeitig mitlaufen.» So müssen Reformen und Ressourcen aus Sicht des Verbands zwingend ein Tandem bilden, was auch für die nächste grosse Reform, den Lehrplan 21, zu gelten habe.
Auswege aus Überlastung

In der Mehrheit sind die Lehrpersonen mit der Balance zwischen Arbeits- und Erholungszeit unzufrieden. Sie sind überlastet. Laut dem LCH reduzieren viele Lehrpersonen ihr Arbeitspensum freiwillig, um den Anforderungen des Berufs überhaupt gerecht werden zu können. Die zahlreichen Teilzeitpensen rühren folglich nicht nur daher, dass viele Frauen den Beruf ausüben, die gleichzeitig Verpflichtungen in der eigenen Familie übernehmen. Sie sind auch sichtbares Zeichen individueller Strategien, wie der Beruf bewältigt werden kann. So werde verschleiert, schreibt der LCH, dass ein Vollpensum in der Schule dauerhaft oft nicht mehr zu leisten sei. Handlungsbedarf sieht der LCH deshalb beim Pflichtpensum, das für Lehrer auf 26, für Klassenlehrer auf 24 Lektionen reduziert werden solle. Das sei im internationalen Vergleich noch immer viel, betonte Zemp.

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