Sowohl in der Ausbildung wie auch bei den Reformen sind die warnenden Stimmen ernst zu nehmen, Bild: kommunikaze.ch
Kompetenz schützt vor dem Burn-out, Basler Zeitung, 20.11. von Thomas Dähler
87,2 Prozent
der Lehrerinnen und Lehrer des fünften bis neunten Schuljahrs in der Schweiz
macht der Beruf Spass. Dies geht aus der Studie «Ressourcen und Belastungen von
Schweizer Lehrpersonen» hervor, welche die Fachhochschule Nordwestschweiz
(FHNW) im Auftrag des Nationalfonds erstellt hat. Diese hohe Zufriedenheit
steht im Kontrast zu den Schlagzeilen, die diese Studie bisher in den Medien
ausgelöst hat. «Jeder dritte Lehrer steht vor dem Burn-out», hat die
Sonntagszeitung auf ihrer Titelseite vermeldet. Wirklichkeit wird dies ganz
bestimmt nicht. Die Schulbehörden haben sich denn auch nicht aufgemacht, für
jede dritte Lehrkraft eine Ersatzperson zu suchen. Hingegen gibt es
Erkenntnisse aus der Studie, die auch für die politischen Behörden, die die
Lehrkräfte anstellen, von Bedeutung sind: Entscheidend für den beruflichen
Erfolg der Lehrkräfte sind die erworbenen Kompetenzen und die Fähigkeit zur
Zusammenarbeit im Lehrerkollegium. Kompetente Lehrkräfte riskieren kein
Burn-out.
714 Schulklassen befragt
Die Studie
«Ressourcen und Belastungen von Schweizer Lehrpersonen» wurde in Zusammenarbeit
mit der Westschweizer Stiftung für Suchtprävention und -forschung erstellt und
basiert auf einer repräsentativen Befragung von 714 Schulklassen und deren
Lehrpersonen aus allen Regionen der Schweiz. Bei den Lehrerinnen und Lehrern
war der Rücklauf der Antworten hoch: 82,1 Prozent. Der Hauptzweck der Umfrage
war eine Erhebung zum Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen für
eine entsprechende Studie, subventioniert vom Bundesamt für Gesundheit und von
den Kantonen. Die Fachhochschule der Kantone Baselland, Basel-Stadt, Aargau und
Solothurn profitiert für ihre separate Lehrer-Studie quasi als
Trittbrettfahrerin von den Antworten der Klassenlehrerinnen und -lehrer, die
gleichzeitig mit ihren Schülern befragt werden konnten. Die Ergebnisse der
Studie wurden von der FHNW in drei wissenschaftlichen Artikeln publiziert.
Verfasst wurden die Beiträge von den Professoren Doris Kunz Heim und Andreas
Krause sowie von Dr. Anita Sandmeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin, und
Sophie Baeriswyl, Master of Science.
Für Aufregung
gesorgt haben bisher in der Öffentlichkeit ausschliesslich die negativen
Aspekte der Studie: Jede fünfte Lehrkraft fühlt sich vom Arbeitsumfang, von der
Elternzusammenarbeit und vom Umgang mit renitenten Schülern überfordert. In der
Tat haben 21,5 Prozent der Lehrkräfte auf die entsprechende Frage mit «trifft
überwiegend zu» oder «trifft völlig zu», auch wenn der Mittelwert der Antworten
nur auf eine «schwache bis mittelmässige» Ausprägung der Unzufriedenheit
schliessen lässt.
«Der Stress
am Arbeitsplatz hat in den letzten Jahren fast überall stark zugenommen»,
meinte Lehrerverbands-Präsident Beat W. Zemp zu diesem Ergebnis gegenüber der
Nachrichtenagentur SDA. Die Forderung des Lehrerverbands folgte auf dem Fuss:
Die Zahl der Lektionen pro Woche müsse auf 26 Stunden reduziert und die Anzahl
Schüler auf 22 pro Klasse reduziert werden. Diese gewerkschaftliche Forderung
ist jedoch in der Studie nicht abgestützt. Im Gegenteil: «Erholungsmöglichkeiten»
und «Pausen» haben gemäss der Studie keinen entscheidenden Effekt auf das
Arbeitsengagement.
Aus- und Weiterbildung nötig
Die
Ergebnisse der Studie sind kein einseitig negatives Lamento. Untersucht wurden
insbesondere die Auswirkungen der vorhandenen Ressourcen auf das
Arbeitsengagement der Lehrkräfte und auf deren Engagement für die
Schulentwicklung. Dabei wird aufgezeigt, welche Faktoren dafür sorgen, dass
keine negativen gesundheitlichen Folgen auftreten. Das Resultat: Fachwissen,
pädagogisches Wissen und Können sowie die unterstützende Kooperation mit
Kolleginnen und Kollegen sind die Schlüssel zu einer erfolgreichen
Lehrtätigkeit.
«Für die
Aufrechterhaltung und die Förderung des Arbeitsengagements und des Engagements
für Schulentwicklung bei Lehrpersonen empfiehlt es sich erstens, deren
Kompetenz-Selbstkonzept zu stärken und zweitens eine unterstützende Kooperation
zu fördern», fassen die Wissenschaftler die Schlussfolgerungen aus den
Studien-ergebnissen zusammen. Unter Kompetenzen verstehen die Autoren das
Fachwissen sowie das fachdidaktische und pädagogische Wissen und Können. Bei
der unterstützenden Kooperation im Lehrerkollegium sei zudem die Unterstützung
durch die Schulleitenden zentral. Demnach sind in erster Linie Aus- und
Weiterbildung für den beruflichen Erfolg der Lehrerinnen und Lehrer nötig. Und
im beruflichen Alltag braucht es im Schulhaus in erster Linie ein Team, das gut
zusammenarbeiten kann.
Zu diesem
Schluss kommt die Studie nach einer umfangreichen Auswertung der Antworten der
befragten Lehrerinnen und Lehrer sowie den Korrelationen der einzelnen
Antworten. Untersucht wurde, welche Ressourcen wie grosse Auswirkungen auf das
Arbeitsengagement und das Engagement für die Schulentwicklung haben. Dabei
zeigte sich, dass die persönlichen Ressourcen – das eigene Wissen und Können –
die positivsten Auswirkungen haben. Von den arbeitsbezogenen Ressourcen trifft
dies auch auf die Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen zu, nicht aber
auf Erholungsmöglichkeiten und Pausen.
Hohe Arbeitszufriedenheit
Der Umstand,
dass 87,2 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer angeben, ihr Beruf mache
ihnen Spass, weist darauf hin, dass die entscheidenden Faktoren dafür in der
Schweiz nicht so schlecht sind. Der Zufriedenheitswert ist sehr hoch. Gemäss
dem Umkehrschluss können sich demnach die meisten Lehrkräfte auf eine gute
Ausbildung abstützen. Und offensichtlich ist es auch der Normalfall, dass die
Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen eine gute Zusammenarbeit pflegen. Unterstützt
wird die hohe Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte auch durch zwei weitere
Ergebnisse der Befragung. So sagen 66,4 Prozent der Befragten, sie könnten in
ihrem Beruf ihre Fähigkeiten voll einsetzen. 65 Prozent geben auch an, sie
hielten sich gerne an ihrem Arbeitsplatz auf.
Erstaunlich
ist dabei, dass sich je nach Alter kein unterschiedliches Ergebnis herauslesen
lässt. Sowohl altgediente als auch junge Lehrkräfte sind gleichermassen fähig,
die Herausforderungen der Schule erfolgreich zu bewältigen. Es gibt demnach
weder einen Grund, die Lehrerausbildung neu zu erfinden, noch einen, die
heutigen Primar- und Sekundarschulen einem einschneidenden Erneuerungsprozess
zu unterziehen. Im Gegenteil: Die Kantone haben eher überbordet, als sie die
Lehrerausbildung vollkommen neu gestalteten. Und die Kantone sind auch daran,
mit Reformen zu übertreiben. Sowohl bei der Ausbildung als auch bei den
Reformen müssen die warnenden Stimmen ernst genommen werden.
Hinter die
Herabstufung der Fachausbildung an den Fachhochschulen muss deshalb ein grosses
Fragezeichen gesetzt werden. Ebenso falsch wäre es aber, die Fachausbildung
einseitig zulasten der didaktisch-pädagogischen Ausbildung aufzuwerten. Beides
sollte möglichst optimal geschehen, um der Bedeutung der Kompetenzen für eine
erfolgreiche Lehrtätigkeit gerecht zu werden. Beim positiven Effekt, den die
gegenseitige Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen hat, zeigt die Studie
auch auf, dass sich dies sowohl auf das persönliche Arbeitsengagement positiv
auswirkt, als auch auf die Schulentwicklung.
Negativ ist
der Effekt, wenn den Lehrerinnen und Lehrern das nötige Wissen fehlt und auch
eine gute Zusammenarbeit im Kollegium nicht möglich ist. Dieser Mangel an
Ressourcen führt, so die Studie, zu Beanspruchungsfolgen mit beeinträchtigender
Wirkung. Etwas stärker gefährdet sind Frauen und Lehrkräfte mit grossen
Teilpensen. Weshalb dies so ist, kann nicht ganz leicht erklärt werden. Belegt
ist, dass Frauen zwar innovativer auf Reformen reagieren, aber über weniger
Erholungsmöglichkeiten im Alltag verfügen. Bei den Lehrpersonen mit hohen
Teilpensen zeigt die Erhebung auf, dass sie den gleichen Herausforderungen
ausgesetzt sind wie jene, die den Lehrerberuf zu 100 Prozent ausüben.
Burn-out und Präsentismus
Gemäss der
Selbstdeklaration kämpfen 21,5 Prozent der Befragten mit Arbeitsüberforderung.
35 Prozent haben mindestens einmal pro Monat depressive Beschwerden. Sie sind,
wie die Studie nachweist, dem Arbeitsumfang, den Konflikten mit Eltern und den
Störungen im Unterricht durch einzelne Schüler nicht gewachsen. Dies kann ein
Burn-out auslösen. Es kann aber auch dazu führen, dies mit erhöhter Präsenz am
Arbeitsplatz aufzuwiegen. Die Befragungsergebnisse stützen die These, dass auch
der sogenannte Präsentismus als schlechtes Bewältigungsverhalten angesehen
werden muss, weil es sich als selbstgefährdend erweist und sich ebenso negativ
auf die Gesundheit auswirkt. Burn-out und Präsentismus führen zu somatischen
Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Rückenschmerzen. Nicht ganz
von der Hand zu weisen ist dabei jedoch, dass die Befragung Mängel aufweist. Es
handelt sich um Selbsteinschätzungen, die im Rahmen einer medizinischen Umfrage
gemacht wurden. Dies könnte auch den Widerspruch zwischen der hohen
Zufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer und den dennoch relativ verbreiteten
gesundheitlichen Problemen erklären. Auch die Wissenschaftler weisen auf das
Bemühen der Befragten hin, konsistente Antworten zu geben.
Wenn
insbesondere der Lehrerverband im Nachgang zu den Studien fast reflexartig nach
einer Reduktion der Arbeitsstunden und der zu betreuenden Schülerinnen und
Schüler ruft, ist dies befremdlich und zielt auf Symptombekämpfung ab.
Angezeigter wäre es, auf den positiven Ergebnissen der Studie aufzubauen. Die
hohe Zahl der zufriedenen Lehrkräfte zeigt, dass die Anforderungen zu
bewältigen sind. Eine gute Aus- und Weiterbildung und klug zusammengesetzte
Lehrerkollegien sind jedoch auch nicht gratis zu haben. Gefordert sind nicht
nur die einzelnen Lehrkräfte. Gefordert sind auch die kantonalen Parlamente,
die Schulräte und die Schulleiterinnen und Schulleiter.
Quellen: Kunz Heim Doris, Sandmeier Anita
und Krause Andreas: Effekte von arbeitsbedingten und personalen Ressourcen auf
das Arbeitsengagement und das Engagement für die Schulentwicklung bei
Lehrpersonen, in Empirische Pädagogik, 28 (2). Baeriswyl Sophie, Krause Andreas
und Kunz Heim Doris: Arbeitsbelastungen, Selbstgefährdung und Gesundheit bei Lehrpersonen
– eine Erweiterung des Job Demands-Resources Modells, in Empirische Pädagogik,
28 (2). Kunz Heim Doris, Sandmeier Anita und Krause Andreas: Negative
Beanspruchungsfolgen bei Schweizer Lehrpersonen. Beiträge zur Lehrerbildung, 32
(2).
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