20. November 2014

Herabstufung der Fachausbildung problematisch

Die Forschungsabteilung der FHNW erarbeitete die Studie "Ressourcen und Belastungen von Schweizer Lehrpersonen". Darin kommt zum Ausdruck, dass kompetente Lehrkräfte weniger Burn-out-anfällig sind. In der Öffentlichkeit sind bisher auscshliesslich die negativen Aspekte der Studie diskutiert worden ("Jeder dritte Lehrer steht vor dem Burn-out"). 





Sowohl in der Ausbildung wie auch bei den Reformen sind die warnenden Stimmen ernst zu nehmen, Bild: kommunikaze.ch


Kompetenz schützt vor dem Burn-out, Basler Zeitung, 20.11. von Thomas Dähler


87,2 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer des fünften bis neunten Schuljahrs in der Schweiz macht der Beruf Spass. Dies geht aus der Studie «Ressourcen und Belastungen von Schweizer Lehrper­sonen» hervor, welche die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) im Auftrag des Nationalfonds erstellt hat. Diese hohe Zufriedenheit steht im ­Kontrast zu den Schlagzeilen, die diese Studie bisher in den Medien ausgelöst hat. «Jeder dritte Lehrer steht vor dem Burn-out», hat die Sonntagszeitung auf ihrer Titelseite vermeldet. Wirklichkeit wird dies ganz bestimmt nicht. Die Schulbehörden haben sich denn auch nicht aufgemacht, für jede dritte Lehrkraft eine Ersatzperson zu suchen. Hingegen gibt es Erkenntnisse aus der Studie, die auch für die politischen Behörden, die die Lehrkräfte anstellen, von Bedeutung sind: Entscheidend für den beruflichen Erfolg der Lehrkräfte sind die erworbenen Kompetenzen und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Lehrerkollegium. Kompetente Lehrkräfte riskieren kein Burn-out.
714 Schulklassen befragt
Die Studie «Ressourcen und Belastungen von Schweizer Lehrpersonen» wurde in Zusammenarbeit mit der Westschweizer Stiftung für Sucht­prävention und -forschung erstellt und basiert auf einer repräsentativen Befragung von 714 Schulklassen und deren Lehrpersonen aus allen Regionen der Schweiz. Bei den Lehrerinnen und Lehrern war der Rücklauf der Antworten hoch: 82,1 Prozent. Der Hauptzweck der Umfrage war eine Erhebung zum Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen für eine entsprechende Studie, subventioniert vom Bundesamt für Gesundheit und von den Kantonen. Die Fachhochschule der Kantone Baselland, Basel-Stadt, Aargau und Solothurn profitiert für ihre separate Lehrer-Studie quasi als Trittbrettfahrerin von den Antworten der Klassenlehrerinnen und -lehrer, die gleichzeitig mit ihren Schülern befragt werden konnten. Die Ergebnisse der Studie wurden von der FHNW in drei wissenschaftlichen Artikeln publiziert. Verfasst wurden die Beiträge von den Professoren Doris Kunz Heim und Andreas Krause sowie von Dr. Anita Sandmeier, wissenschaftliche ­Mi­­tarbeiterin, und Sophie Baeriswyl, ­Master of Science.
Für Aufregung gesorgt haben bisher in der Öffentlichkeit ausschliesslich die negativen Aspekte der Studie: Jede fünfte Lehrkraft fühlt sich vom Arbeitsumfang, von der Elternzusammenarbeit und vom Umgang mit renitenten Schülern überfordert. In der Tat haben 21,5 Prozent der Lehrkräfte auf die ­entsprechende Frage mit «trifft überwiegend zu» oder «trifft völlig zu», auch wenn der Mittelwert der Antworten nur auf eine «schwache bis mittelmässige» Ausprägung der Unzufriedenheit schliessen lässt.
«Der Stress am Arbeitsplatz hat in den letzten Jahren fast überall stark zugenommen», meinte Lehrerverbands-Präsident Beat W. Zemp zu diesem Ergebnis gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Die Forderung des Lehrerverbands folgte auf dem Fuss: Die Zahl der Lektionen pro Woche müsse auf 26 Stunden reduziert und die Anzahl Schüler auf 22 pro Klasse reduziert werden. Diese gewerkschaftliche Forderung ist jedoch in der Studie nicht abgestützt. Im Gegenteil: «Er­­holungsmöglichkeiten» und «Pausen» haben gemäss der Studie keinen ­entscheidenden Effekt auf das Arbeitsengagement.
Aus- und Weiterbildung nötig
Die Ergebnisse der Studie sind kein einseitig negatives Lamento. Untersucht wurden insbesondere die Auswirkungen der vorhandenen Ressourcen auf das Arbeitsengagement der Lehrkräfte und auf deren Engagement für die Schulentwicklung. Dabei wird aufgezeigt, welche Faktoren dafür sorgen, dass keine negativen gesundheitlichen Folgen auftreten. Das Resultat: Fachwissen, pädagogisches Wissen und Können sowie die unterstützende Kooperation mit Kolleginnen und ­Kollegen sind die Schlüssel zu einer erfolgreichen Lehrtätigkeit.
«Für die Aufrechterhaltung und die Förderung des Arbeitsengagements und des Engagements für Schulentwicklung bei Lehrpersonen empfiehlt es sich erstens, deren Kompetenz-Selbstkonzept zu stärken und zweitens eine unterstützende Kooperation zu fördern», fassen die Wissenschaftler die Schlussfolgerungen aus den Studien-ergebnissen zusammen. Unter Kompetenzen verstehen die Autoren das Fachwissen sowie das fachdidaktische und pädagogische Wissen und Können. Bei der unterstützenden Kooperation im Lehrerkollegium sei zudem die Unterstützung durch die Schulleitenden ­zentral. Demnach sind in erster Linie Aus- und Weiterbildung für den beruf­lichen Erfolg der Lehrerinnen und Lehrer nötig. Und im beruflichen Alltag braucht es im Schulhaus in erster Linie ein Team, das gut zusammenarbeiten kann.
Zu diesem Schluss kommt die Studie nach einer umfangreichen Auswertung der Antworten der befragten Lehrerinnen und Lehrer sowie den Korrelationen der einzelnen Antworten. Untersucht wurde, welche Ressourcen wie grosse Auswirkungen auf das Arbeitsengagement und das Engagement für die Schulentwicklung haben. Dabei zeigte sich, dass die persönlichen Ressourcen – das eigene Wissen und Können – die positivsten Auswirkungen haben. Von den arbeitsbezogenen Ressourcen trifft dies auch auf die Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen zu, nicht aber auf Erholungsmöglichkeiten und Pausen.
Hohe Arbeitszufriedenheit
Der Umstand, dass 87,2 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer angeben, ihr Beruf mache ihnen Spass, weist darauf hin, dass die entscheidenden Faktoren dafür in der Schweiz nicht so schlecht sind. Der Zufriedenheitswert ist sehr hoch. Gemäss dem Umkehrschluss können sich demnach die meisten Lehrkräfte auf eine gute Ausbildung abstützen. Und offensichtlich ist es auch der Normalfall, dass die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen eine gute Zusammenarbeit pflegen. Unterstützt wird die hohe Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte auch durch zwei weitere Ergebnisse der Befragung. So sagen 66,4 Prozent der Befragten, sie könnten in ihrem Beruf ihre Fähigkeiten voll einsetzen. 65 Prozent geben auch an, sie hielten sich gerne an ihrem Arbeitsplatz auf.
Erstaunlich ist dabei, dass sich je nach Alter kein unterschiedliches Ergebnis herauslesen lässt. Sowohl altgediente als auch junge Lehrkräfte sind gleichermassen fähig, die Herausforderungen der Schule erfolgreich zu bewältigen. Es gibt demnach weder einen Grund, die Lehrerausbildung neu zu erfinden, noch einen, die heutigen Primar- und Sekundarschulen einem einschneidenden Erneuerungsprozess zu unterziehen. Im Gegenteil: Die Kantone haben eher überbordet, als sie die Lehrerausbildung vollkommen neu gestalteten. Und die Kantone sind auch daran, mit Reformen zu übertreiben. Sowohl bei der Ausbildung als auch bei den Reformen müssen die warnenden Stimmen ernst genommen werden.
Hinter die Herabstufung der Fachausbildung an den Fachhochschulen muss deshalb ein grosses Fragezeichen gesetzt werden. Ebenso falsch wäre es aber, die Fachausbildung einseitig zulasten der didaktisch-pädagogischen Ausbildung aufzuwerten. Beides sollte möglichst optimal geschehen, um der Bedeutung der Kompetenzen für eine erfolgreiche Lehrtätigkeit gerecht zu werden. Beim positiven Effekt, den die gegenseitige Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen hat, zeigt die Studie auch auf, dass sich dies sowohl auf das persönliche Arbeitsengagement positiv auswirkt, als auch auf die Schulentwicklung.
Negativ ist der Effekt, wenn den Lehrerinnen und Lehrern das nötige Wissen fehlt und auch eine gute Zusammenarbeit im Kollegium nicht möglich ist. Dieser Mangel an Ressourcen führt, so die Studie, zu Beanspruchungsfolgen mit beeinträchtigender Wirkung. Etwas stärker gefährdet sind Frauen und Lehrkräfte mit grossen Teilpensen. Weshalb dies so ist, kann nicht ganz leicht erklärt werden. Belegt ist, dass Frauen zwar innovativer auf Reformen reagieren, aber über weniger Erholungsmöglichkeiten im Alltag verfügen. Bei den Lehrpersonen mit hohen Teilpensen zeigt die Erhebung auf, dass sie den gleichen Herausforderungen ausgesetzt sind wie jene, die den Leh­rerberuf zu 100 Prozent ausüben.
Burn-out und Präsentismus
Gemäss der Selbstdeklaration kämpfen 21,5 Prozent der Befragten mit Arbeitsüberforderung. 35 Prozent haben mindestens einmal pro Monat depressive Beschwerden. Sie sind, wie die Studie nachweist, dem Arbeitsumfang, den Konflikten mit Eltern und den Störungen im Unterricht durch einzelne Schüler nicht gewachsen. Dies kann ein Burn-out auslösen. Es kann aber auch dazu führen, dies mit erhöhter Präsenz am Arbeitsplatz aufzuwiegen. Die Befragungsergebnisse stützen die These, dass auch der sogenannte Präsentismus als schlechtes Bewältigungsverhalten angesehen werden muss, weil es sich als selbstgefährdend erweist und sich ebenso negativ auf die Gesundheit auswirkt. Burn-out und Präsentismus führen zu somatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Rückenschmerzen. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist dabei jedoch, dass die Befragung Mängel aufweist. Es handelt sich um Selbsteinschätzungen, die im Rahmen einer medizinischen Umfrage gemacht wurden. Dies könnte auch den Widerspruch zwischen der hohen Zufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer und den dennoch relativ verbreiteten gesundheitlichen Problemen erklären. Auch die Wissenschaftler weisen auf das Bemühen der Befragten hin, konsistente Antworten zu geben.
Wenn insbesondere der Lehrerverband im Nachgang zu den Studien fast reflexartig nach einer Reduktion der Arbeitsstunden und der zu betreuenden Schülerinnen und Schüler ruft, ist dies befremdlich und zielt auf Symp­tom­bekämpfung ab. Angezeigter wäre es, auf den positiven Ergebnissen der Studie aufzubauen. Die hohe Zahl der zufriedenen Lehrkräfte zeigt, dass die Anforderungen zu bewältigen sind. Eine gute Aus- und Weiterbildung und klug zusammengesetzte Lehrerkollegien sind jedoch auch nicht gratis zu haben. Gefordert sind nicht nur die ­einzelnen Lehrkräfte. Gefordert sind auch die kantonalen Parlamente, die Schul­räte und die Schulleiterinnen und Schulleiter.
Quellen: Kunz Heim Doris, Sandmeier Anita und Krause Andreas: Effekte von arbeitsbedingten und personalen Ressourcen auf das Arbeitsengagement und das Engagement für die Schulentwicklung bei Lehrpersonen, in Empirische Pädagogik, 28 (2). Baeriswyl Sophie, Krause Andreas und Kunz Heim Doris: Arbeitsbelastungen, Selbstgefährdung und Gesundheit bei ­Lehrpersonen – eine Erweiterung des Job Demands-­Resources Modells, in Empirische Pädagogik, 28 (2). Kunz Heim Doris, Sandmeier Anita und Krause Andreas: Negative Beanspruchungsfolgen bei Schweizer Lehrpersonen. Beiträge zur Lehrerbildung, 32 (2).


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