Aktueller hätte das Thema des
Wissenschaftscafés Chur am Donnerstagabend kaum sein können: «Zweitsprachen in
der Volksschule – Chance oder Überforderung?» . Vier Experten diskutierten
darüber im Café «B12».
vlnr: Vincenzo Todisco, Henriette Dausend, Simone Pfenninger, Urs Kalberer, Bild: Yanik Bürkli
Fremdsprachenunterricht - gefragt ist Qualität, Bündner Tagblatt, 14.5.
«Früher oder später?», diese Frage stand im Zentrum der
Diskussionsrunde, die vom Rektor der PH Graubünden, Gian-Paolo Curcio, geführt
wurde. Simone Pfenninger, Oberassistentin am Englischen Seminar der Universität
Zürich, legte ihre Forschungsergebnisse zum Erwerb von Zweitsprachen dar und
betonte, dass das Alter – anders als beim natürlichen Spracherwerb – im
Schulkontext eine «untergeordnete Rolle» spiele. Wichtiger als der frühe Beginn
sei etwa das intensivere Lernen über einen kurzen Zeitraum hinweg. Neben
Intensität gehören gemäss Pfenninger auch die Lehrperson oder die Klassengrösse
zu den zentralen Faktoren, die den Spracherwerb beeinflussen.
Urs Kalberer, Sprachdidaktiker und Sekundarlehrer, sprach sich
klar für einen späten Fremdsprachenunterricht aus. «Ältere Lerner sind in ihrer
kognitiven Entwicklung weiter», erklärte er und ergänzte, die Motivation in der
Oberstufe, besonders im Fach Englisch, sei anders und zumeist «sehr hoch».
Diese Meinung teilte Vincenzo Todisco nicht. Der Dozent für Didaktik der
Mehrsprachigkeit an der PH Graubünden sagte, er glaube nicht, dass älter per se
besser sei. «Es hängt davon ab, was man misst». Beim Übertritt von der Primar-
in die Oberstufe fände ein Paradigmenwechsel statt und plötzlich heisse es:
«Die Schülerinnen und Schüler können nichts.» Todisco selbst möchte den Hebel
bei der Qualität des Unterrichts ansetzen, weshalb er an der PH Modelle und
Strategien erprobe, um Fremdsprachen in der Primarschule «erfolgreich und
gewinnbringend» zu unterrichten. «Wir dürfen Kindern die Freunde an Sprachen
nicht durch eine falsche Didaktik nehmen», betonte er.
Erwartungen klar definieren
Dass junge Schülerinnen und Schüler grundsätzlich motivierte
Lerner sind, darüber waren sich die Experten einig. Wichtig sei es, sich über
die Erwartungen an den Fremdsprachenunterricht im Klaren zu sein, erklärte
Henriette Dausend, Juniorprofessorin für Grundschuldidaktik Englisch an der
Technischen Universität Chemnitz. «Geht es darum, auf Primarstufe für Sprache
zu sensibilisieren oder geht es um handfeste Kompetenzen?», fragte die
Professorin, die eine Fremdsprache ab der dritten Klasse prinzipiell
befürwortet. Letztlich brauche es für einen guten Unterricht überzeugte
Lehrpersonen und eine Gesellschaft, «die dazu steht». Und Todisco ergänzte,
dass Sprache bereits in der Primarschule erlebbar gemacht werden müsse. «Wenn
wir das schaffen, haben wir schon viel erreicht», meinte der Dozent.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen