Rückmeldung in Form von Zahlen oder Worten? Bild: Adrian Moser
Naht das Ende der Schulnoten, Bund, 29.11. von Adrian M. Moser
Je näher die Einführung des Lehrplans 21 rückt,
desto mehr ist klar. Nur eine gewichtige Frage ist nach wie vor unbeantwortet:
Wie sollen die Lehrer ihre Schüler beurteilen, nun wo diese nicht mehr büffeln,
sondern sich Kompetenzen aneignen müssen? Der bernische Erziehungsdirektor
Bernhard Pulver (Grüne) trat gestern vor die Medien, um über die Einführung des
neuen Lehrplans im Kanton Bern zu informieren. Zur Beurteilung sagte er aber
nur dies: «Wir sind intensiv daran, Beurteilungshilfen und -instrumente zu
erarbeiten. Ich gehe davon aus, dass wir diese im Jahr 2016 vorlegen können.»
Der Lehrplan 21 ist kompetenzorientiert aufgebaut.
Das heisst vereinfacht: Es geht nicht mehr vor allem darum, welcher Stoff im
Unterricht behandelt wird, sondern wie die Kinder das Gelernte anwenden können.
Für die Beurteilung bringt das Schwierigkeiten. Konnten die Lehrer früher
Französisch-Wörter abfragen und dafür Noten vergeben, müssen sie nun etwa
bewerten, welche Lernstrategien die Kinder anwenden.
Lebe will diskutieren
Franziska Schwab, Leiterin des Bereichs Pädagogik
beim bernischen Lehrerverband (Lebe), findet, es sei an der Zeit, «grundsätzlich
über die Noten zu diskutieren». «Das heutige Beurteilungssystem wird dem
förder- und kompetenzorientierten Unterricht nicht gerecht, weil Können wieder
auf Zahlen reduziert würde», sagt sie. Schwab will nicht so weit gehen, die
Abschaffung der Schulnoten zu fordern. Es brauche nun erst einmal eine
Auslegeordnung. «Denkbar wäre auch ein System, in dem es zwar weiterhin Noten
gibt, in dem diese aber weniger Gewicht haben als heute.»
Die SP will abschaffen
Noch weiter als Schwab geht die SP: «Aus pädagogischen
Gründen sind wir der Meinung, dass man in Zukunft auf die Noten verzichten
sollte», sagt Parteipräsidentin Ursula Marti. «Die Noten sagen wenig aus. Man
sollte die Kompetenzen stattdessen mit Worten beurteilen.»
Schwab und Marti nennen beide denselben
Lösungsansatz: das Europäische Sprachenportfolio, das die Lehrer im Kanton Bern
mit ihren Schülern in den Fremdsprachen bereits freiwillig anwenden können.
Dieses enthält einerseits Informationen über das Niveau eines Schülers in den
einzelnen Sprachkompetenzen (A1 bis C2). Andererseits dokumentiert es den
persönlichen Kontakt mit der Sprache, die eigene Auseinandersetzung damit,
enthält Checklisten und soll helfen, sich eigene Ziele zu setzen. Schwab gibt
aber zu bedenken: «Das ist sehr aufwendig. Das funktionierte nur, wenn die
Klassen massiv kleiner wären als heute.»
Pulver hat keine Freude
Erziehungsdirektor Pulver findet an der Forderung
nach einer Abschaffung der Schulnoten keinen Gefallen. «Im Gesetz steht, dass
die Schüler im Kanton Bern ab der dritten Klasse Noten bekommen sollen», sagt
er. «Ich glaube nicht, dass es uns weiterbringt, dieses Thema nun auf die
politische Agenda zu setzen.» Wichtig sei nun vielmehr, Instrumente zu
entwickeln, die die Noten ergänzten. Pulver begrüsst den Vorschlag, den Noten
künftig weniger Gewicht zu geben. Auch der Idee, sich am Fremdsprachenportfolio
zu orientieren, widerspricht er nicht. Dazu, wie die Lösung seiner Direktion
konkret aussehen könnte, kann er noch nichts sagen. «Es gibt verschiedene
Varianten.»
Widerspruch kommt auch von den Bürgerlichen:
«Zumindest am Ende des Schuljahres braucht es ein Zeugnis mit Noten», sagt
Käthi Wälchli (SVP). Die Einführung des neuen Lehrplans sei schon schwierig
genug. «Nun auch noch die Noten abschaffen zu wollen, würde das Fuder
überladen.» Corinne Schmidhauser (FDP) ist «dezidiert dagegen, die Beurteilung
abzuschaffen». Sie sagt: «Mir erscheinen wörtliche Beurteilungen nicht besser
als solche mit Noten.» Es sei besser, einem Schüler zu sagen: «Du hast eine 5.»
Es gehe darum, dem Kind zu sagen, wo es stehe. Relevant sei ohnehin der Umgang
der Eltern und Lehrkräfte mit der Beurteilung, unabhängig davon, wie sie
erfolge. Das Argument, eine Beurteilung mit Noten widerspreche dem Konzept des
Lehrplans 21, hält Schmidhauser für einen «billigen Vorwand».

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