30. Oktober 2014

Der Elfenbeinturm beginnt zu bröckeln

Lange war die schulpolitische Gefechtslage sehr übersichtlich. Links und rechts, gut und böse, fortschrittlich und reaktionär standen sich in sauber geordneten Formationen gegenüber. Gemessen an den leidenschaftlichen politischen Auseinandersetzungen in den 1960er- und 1970er-Jahren herrschte an der pädagogischen Front ein ruhiger, fast einschläfernder Diskussionston. Das Thema «Schule» rutschte in der Prioritätenliste aller Parteien weit nach hinten.
Der Elfenbeinturm beginnt zu bröckeln, Basler Zeitung, 30.10. von Roland Stark


Die Volksschule als Wahlkampfthema wurde – kaum überraschend – schliesslich von der SVP entdeckt. Ihr Chefstratege Christoph Blocher, assistiert von seiner Frau und dem «Experten», Nationalrat Ulrich Schlüer, orteten auf der Suche nach Brandbeschleunigern für die neue Opposi- tionspolitik die Schule als ideales Vehikel – zumal diese von den anderen Parteien sträflich vernachlässigt worden war. Eine unübersehbare Parallele zur Asyl- und Ausländerpolitik. Seit Jahren gehört nun der Kampf gegen den Lehrplan 21, gegen Harmos und die links-grüne Lehrerschaft zum eisernen Bestand der Munitionskiste rechtskonservativer Agitatoren. An den Plakatwänden tauchten plötzlich weinende, offensichtlich an ihrer Schulsituation leidende Kinder auf.
Die politische Konkurrenz und die Bildungsbürokratie reagierten – ebenso wenig überraschend – mit den ebenso traditionellen wie erfolglosen Rezepten: Leugnen oder Verniedlichen der Probleme, Diffamierung der Kritiker oder einfach Schweigen. Ein Erziehungsdirektor mit überragenden kommunikativen Fähigkeiten, desinteressierte Parteien, narkotisierte Medien und handzahme Gewerkschaften halfen mit, dass im Kanton Basel-Stadt selbst einschneidende bildungspolitische Veränderungen störungsfrei und ohne kontroverse Debatte beschlossen werden konnten. Die SP, zu deren Kerngeschäft einmal Erziehung, Bildung und Kultur gehörten, fiel als kritische Begleiterin der Reformprozesse praktisch aus, was nicht zuletzt mit Christoph Eymanns geschickter Personalpolitik erklärt werden kann. Ein Gewerkschaftskollege aus Baselland stellte kürzlich die zugespitzte These auf, dass sich «die tragfähigen SP-Seilschaften längst aus den Schulhäusern verabschiedet und in die Planungs-Forschungs-Evaluations-und-Weiterbildungs-Etagen hinauf verschoben hätten».
Nun scheint aber der Wind zu drehen, der Elfenbeinturm der Schulbürokratie bekommt erste Risse. In ihrer Kolumne in der Zeit – weit weg, in sicherer Distanz zum politischen Heimathafen Basel – bläst SP-Ständerätin Anita Fetz zum Angriff und zieht eine vernichtendeBilanz der beschlossenen und geplanten Reformen. Sie schreibt von einer «überambitionierten Bürokratenmaus», die einen «Dokumentenberg geboren» habe, den Lehrplan 21 nennt sie «gescheitert» und ein «Monsterwerk».
Wir lesen auch von «pseudopädagogischen Reformen», «neumodischen Torheiten» und übertriebener «Projektitis». Selbst an den teuren Schulhausum- und neubauten («Beton statt Bildung») mäkelt sie herum. Und zum Schluss serviert sie noch eine pure Selbstverständlichkeit: «Für das Leben lernen wir. Nicht für die Bildungsbürokratie.» (Die Zeit, 23. 10. 2014)

Vermutlich wird Anita Fetz umgehend die Etikette «Nestbeschmutzerin» angeklebt bekommen. Dabei ist es verdienstvoll und lobenswert, erziehungs- und bildungspolitische Themen auch wieder ins Zentrum linker Debatten zu rücken. Spät, sehr spät, aber vielleicht doch nicht zu spät.
Roland Stark ist ehemaliger Präsident der SP Basel-Stadt

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