30. Oktober 2014

Reformitis macht krank

Ein Drittel aller Lehrer sei von Burnout bedroht, sagt eine neue Studie. Die Gründe lassen aufhorchen: Schuld sind fehlgeleitete Reformen. Sie verschleissen die Lehrer systematisch.




Abgehobene Bildungspolitik und fehlgeleitete Reformen treiben viele Lehrer in ein Burnout, Bild: Aargauer Zeitung

Reformitis macht krank, Weltwoche 44/2014 von Philipp Gut



Eine neue Nationalfondsstudie sorgt für Schlagzeilen – und für Alarmstimmung in Schul- und Amtsstuben. Ein Drittel aller Lehrer sei stark Burnout-gefährdet. Zwanzig Prozent seien «ständig überfordert», so der Befund. Die von der Fachhochschule Nordwest- schweiz durchgeführte Untersuchung fusst auf einer repräsentativen Umfrage bei 600 Lehrern von der 5.bis zur 9.Klasse.
«Burnout» ist zwar im strengen Sinn keine klinische Diagnose, und man mag im Boom des B-Worts durchaus auch eine Modeerscheinung sehen. Aber darum geht es hier nicht. Die Aussagen der Lehrer sind ernst zu nehmen, wie auch immer man dieses «Ausgebranntsein» medizinisch definiert.
Tatsache ist: Viele Lehrer leiden unter einer Belastung, die sie zunehmend als gesundheitsschädigend wahrnehmen. Beim Stresstest im Schulzimmer fallen immer mehr Lehrpersonen durch.
Laut den Studienautoren leiden Frauen und Teilzeitlehrer besonders unter Arbeitsbelastung und Stress. Das ist interessant und heisst im Umkehrschluss: Männern und Vollzeitlehrern geht es besser. Von beiden gibt es an den Volksschulen indes immer weniger. Die Feminisierung des Berufs und damit auch die Zersplitterung des Lehrkörpers in immer mehr Teilzeitlehrkräfte mit immer kleineren Pensen schreiten ungebremst voran. Die Folgen: Der Koordinationsaufwand steigt, die Vor- und Nachbereitung der Unterrichtsstunden wird zu einer organisatorischen und logistischen Herausforderung. Mehr Absprachen, mehr Sitzungen, ein ständiges Kommen und Gehen im Klassenzimmer, Schule als bürokratisches Ungeheuer.

Das Übel ist hausgemacht

Brisant sind die Ursachen des Phänomens: Die befragten Lehrer nennen in erster Linie die Störung durch schwierige Schüler, den gestiegenen administrativen Aufwand und neu­artige Lernformen. Hinzu kommt die Schul­organisation nach den Grundsätzen des New Public Management. Das Stichwort heisst ­«ge- führte Schulen». Das kann gutgehen, wenn der Schulleiter eine Persönlichkeit ist und mit Augenmass agiert. Lehrer klagen allerdings, ihr Spielraum werde unnötig eingeschränkt. So werde ihnen beispielsweise vorgeschrieben, an welchem Tag sie mit ihrer Klasse auf die Schulreise gehen dürften.
Brisant, auch politisch, sind die angeführten Stressfaktoren deshalb, weil sie grösstenteils hausgemacht sind. Schuld sind eine abge­ho­bene Bildungspolitik und fehlgeleitete Reformen. Sie treiben viele Lehrer an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Unfreiwillig legt die Studie offen, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist. Belastung durch schwierige Schüler? Die hat man gefördert durch die sogenannte Integration ver­haltensauffälliger Kinder in die Regelklassen. ­Administrativer Aufwand? Den hat man vervielfacht durch eine bewusste Bürokratisierung der Abläufe. Neue, aufwendige Lern­formen? Die hat man gepusht, während der Frontalunterricht, der als effizient, ruhig und stressarm gilt, von Bildungsexperten und Pädagogen für überholt erklärt und weitgehend aus den Schulzimmern verbannt wurde.
Fazit: Was die Lehrer krank macht, ist die ­Reformitis der vergangenen Jahre und Jahr­zehnte. Die Schulstube ist ein Lackmustest für die Realität. Hier zeigt sich, was Reformen wirklich taugen. Für die Zukunft kann das nur heissen: Bildungspolitiker und -bürokraten sollten besser auf die Lehrer hören.
Zum Beispiel beim Lehrplan 21. Praktiker ­sagen schon jetzt, dass er viel zu kompliziert ist und nicht funktionieren wird. Noch ist Zeit, die Übung abzublasen. Sonst darf man sich nicht wundern, wenn die Burnout-Rate bei der nächsten Studie noch höher liegt.


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