31. Oktober 2014

Modell hat sich bewährt

Im Streit ums Frühfranzösisch geht leicht vergessen, dass die Kantone Appenzell Innerrhoden, Aargau und Uri in der Primarschule längst kein Französisch mehr unterrichten. Und sie machen gute Erfahrungen damit. 





Innerrhoden ist Pionierkanton unter den Abweichlern und will nicht zurück, Bild: www.ai.ch

"Dann machen wir das so", NZZ, 31.10. von Jörg Krummenacher und Erich Aschwanden


In Appenzell geht die Rede, dass Carlo Schmid, der frühere Landammann, Ende des vorigen Jahrhunderts seinen Schulamtsleiter gefragt habe, wie es denn mit dem Französischunterricht in der Primarschule so laufe. «Es ist zäch», antwortete dieser sinngemäss, worauf Schmid fragte: «Wäre es vielleicht mit Englisch besser?» Er habe das Gefühl, das wäre wohl besser, entgegnete der Schulamtsleiter. «Dann machen wir das so», entschied Schmid. Er schickte die Lehrerschaft der Primarstufe zum vertieften Englischlernen, und seit 2001 lehrt diese die Innerrhoder Kinder ab der 3. Klasse Englisch. Der Französischunterricht folgt erst in der Sekundarschule. So läuft das im Kleinstkanton Innerrhoden mit seinen derzeit 1686 Volksschülern und seinen zwei Sekundarschulen in Appenzell und Oberegg.
Separates Lehrmittel
Im Schulzimmer der Sekundarklasse 2b in Appenzell stehen die Worte «médecin» und «patient» an der Wandtafel. Die Lektion handelt davon, Körperteile zu benennen, im Gespräch einen Arzttermin zu simulieren, zu sagen, wo was weh tut. Der Lehrer spricht ausschliesslich französisch und vermittelt den Stoff in spielerischer Form, die Klasse arbeitet konzentriert mit. Noch kommen manche Antworten stockend, noch fällt Einzelnen die korrekte Aussprache schwer, doch das Niveau ist passabel. Das Lehrmittel stammt von der interkantonalen Lehrmittelzentrale in Zürich, es ist dasselbe wie in andern Kantonen. Speziell für Appenzell Innerrhoden hat die Lehrmittelzentrale aber eine Separatausgabe konzipiert, eine an die Altersstufe angepasste Zusammenfassung des Stoffs, wie er andernorts ab der 5. Klasse vermittelt wird.
«Unser Modell hat sich in der Praxis bewährt», sagt Roland Inauen, der Carlo Schmid 2013 als Landammann und Erziehungsdirektor abgelöst hat. Niemand wolle in Innerrhoden zum Frühfranzösisch zurück. Inauen betont aber auch, dass er im Sprachenstreit keinesfalls provozieren, das Innerrhoder Modell nicht gegen ein anderes ausspielen möchte.
«Das Französisch liegt uns am Herzen», ergänzt Norbert Senn, der heutige Amtsleiter der Innerrhoder Volksschule. Er glaubt, dass sich Sprach- und Schulreisen von Deutschschweizer Schülern in die Westschweiz nachhaltiger auf den nationalen Austausch und Zusammenhalt auswirken als die Frage, ob Französisch auf Primar- oder Sekundarstufe gelehrt werde. Senn ist in doppelter Rolle mit dem Thema konfrontiert: Er arbeitet in Innerrhoden, wohnt aber im Thurgau und sitzt dort für die CVP im Kantonsrat. Er hat sich mit dessen Mehrheit für eine Motion ausgesprochen, die den Französischunterricht neu in die Sekundarschule verschieben will. Der noch nicht umgesetzte Thurgauer Entscheid hat zu einem nationalen Aufschrei geführt. Dass Appenzell Innerrhoden wie auch der Aargau und Uri längst auf Frühfranzösisch verzichten, scheint den wenigsten bewusst zu sein.
Dieselbe Sprachkompetenz
In Innerrhoden hält man es für wenig zielführend, die Frage des Französischunterrichts zur Nagelprobe für den föderalistischen Zusammenhalt zu machen. Sosehr das Französische in den Innerrhoder Primarschulen zur Quantité négligeable wurde, so sehr achtet der Kanton darauf, es in der Sekundarschule mit hoher Kadenz zu unterrichten: mit fünf Lektionen in der ersten und je vier in der zweiten und dritten Klasse. «Unsere Jugendlichen erreichen zweifellos die Sprachkompetenzen, wie sie das Sprachengesetz für das Ende der obligatorischen Schulzeit verlangt», sagt Roland Inauen. Auf die Qualität des Französischunterrichts auf Sekundarstufe wirke sich positiv aus, dass er durch bestens ausgebildete Fachlehrerinnen und -lehrer erfolge.
Einen Makel allerdings gibt es: In der Realschule ist das Französische Freifach - ein Widerspruch zum Sprachengesetz. «Das müssen wir anschauen, und allenfalls müssen wir über die Bücher gehen», räumt Inauen ein, verweist aber darauf, dass das wesentliche Ziel in der Realschule darin bestehe, die Jugendlichen auf gute Art für das Berufsleben fit zu machen. Manche Realschüler seien mit zwei Fremdsprachen überfordert.
Sonderzüglein
Auch der Kanton Aargau kennt kein Frühfranzösisch auf der Primarschulstufe. Anders als seine Nordwestschweizer Partner Basel-Stadt, Baselland und Solothurn, aber wie Zürich wählte der Aargau ab dem Schuljahr 2008/09 Englisch zur ersten Fremdsprache. Französisch hingegen wird erst auf der Oberstufe unterrichtet. Dies soll auch noch eine Weile so bleiben. Im Sommer hat der Aargauer Regierungsrat nämlich entschieden, den Lehrplan 21 erst auf das Schuljahr 2020/21 einzuführen - drei Jahre später, als dies ursprünglich geplant war. Auf diesen Zeitpunkt soll auch die Einführung von Frühfranzösisch erfolgen.

Ein anderes Sonderzüglein in der an Sprachmodellen nicht armen Schweizer Schullandschaft fährt der Kanton Uri. Im Gotthardkanton setzt man auf die Sprache der südlichen Nachbarn. Ab der 5. Klasse lernen die Primarschüler Italienisch, Frühfranzösisch gibt es nicht. Beim sogenannten Urner Modell wird die zweite Landessprache zudem nur als Wahlpflichtfach gelehrt - eine Lösung, die man sich in anderen Zentralschweizer Kantonen auch für Frühfranzösisch vorstellen könnte. Auf Anfang dieses Schuljahres hat Uri das Angebot ausgebaut. Nun wird Italienisch - neben dem Pflichtfach Französisch - auch auf der Oberstufe weitergeführt. Die Stärkung des Italienischunterrichts sieht die Urner Regierung als deutliches Zeiten zugunsten des Nachbarkantons Tessin.

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