18. September 2014

Zwei Primarfremdsprachen auch in Luzern auf der Kippe

Im Kanton Luzern kann das Stimmvolk darüber entscheiden, ob an Primarschulen künftig nur noch eine statt zwei Fremdsprachen unterrichtet werden. Ein überparteiliches Komitee hat eine entsprechende Initiative eingereicht. Die Initianten haben gemäss Mitteilung 7144 Unterschriften gesammelt. Nötig für das Zustandekommen einer Gesetzesinitiative sind im Kanton Luzern 4000 Unterschriften.




Die Initiative lässt offen, welche Sprache an der Primarschule gestrichen werden soll, Bild: Keystone

Luzern: Zweite Fremdsprache in Primarschule steht auf der Kippe, Tages Anzeiger, 17.9.


Die Initiative verlangt, dass an den Primarschulen nur noch eine Fremdsprache unterrichtet wird. Welche Sprache das sein soll, lässt das Begehren offen. Mit einer Reduktion auf der Primarstufe wollen die Initianten die einzelnen Sprachkenntnisse der Schüler verbessern und der deutschen Sprache mehr Priorität geben. Die frei werdenden Lektionen sollen mit naturwissenschaftlichen Fächern belegt werden.
Eine Fremdsprache an der Primarschule reiche aus, schreibt das Initiativkomitee. Mit der Aufhebung einer Sprache sollen die Schüler in den übrigen Fächern ausgewogener gefördert werden. Damit solle auch der hausgemachte Fachkräftemangel bekämpft werden.
Anliegen von Lehrern und Berufsbildungsleuten
Dem Initiativkomitee gehören neben der Präsidentin des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands auch Vertreter aller Kantonsratsfraktionen sowie der Berufsbildung an. In Luzern wird derzeit Englisch ab der 3. und Französisch ab der 5. Primarstufe unterrichtet. Dieser Rhythmus zur Einführung von Fremdsprachen gilt gemäss Angaben der Erziehungsdirektoren-Konferenz in rund der Hälfte aller Kantone.
Die erste Fremdsprache ist in der Zentralschweiz und der Ostschweiz Englisch, in der übrigen Deutschschweiz sowie im Tessin Französisch und in der Westschweiz Deutsch. In Graubünden ist die erste Fremdsprache je nach Region Deutsch, Italienisch oder Romanisch.
Damit die beiden Fremdsprachen in der Primarstufe hätten eingeführt werden können, seien Lektionen bei anderen Fächern wie Mathematik, Musik sowie Mensch und Umwelt abgebaut worden, schreibt das Luzerner Initiativkomitee. Der frühe Fremdsprachenunterricht habe grosse Erwartungen geweckt. Viele Studien würden nun aber zeigen, dass ein früherer Beginn nicht zu besseren Resultaten führen würde, schreibt das Komitee weiter.
Bereits 2006 Initiative eingereicht
Bereits 2006 ist in Luzern vom Lehrerinnen- und Lehrerverband (LLV) eine Initiative für nur eine Fremdsprache auf der Primarstufe eingereicht worden. Der Verband zog diese ein Jahr später wieder zurück. Der Rückzug habe aus staatspolitischer Verantwortung erfolgt, denn ein Alleingang des Kantons Luzern sei vor dem Hintergrund der Schulharmonisierung (HarmoS) und des Deutschschweizer Lehrplans nicht sinnvoll, teilte der Verband damals mit.
Vor einer Woche sprachen sich die kantonalen Lehrerverbände mit einer Gegenstimme für nur noch eine obligatorische Fremdsprache in der Primarschule aus, und zwar eine Landessprache. Zwei Frühfremdsprachen unter den heutigen Voraussetzungen brächten zu wenig Erfolge, lautete der Tenor. Viele Kantone sparten im Bildungsbereich, bessere Bedingungen würden sich nicht abzeichnen. Definitiv ist die Haltung der Lehrerverbände noch nicht. Die Westschweizer und die Deutschschweizer Lehrervertreter werden je an ihren Präsidentenkonferenzen im November eine Abstimmung durchführen.
In mehreren Kantonen ist jüngst die Diskussion über Frühfremdsprachen erneut entbrannt. Im Kanton Thurgau hatte Mitte August das Kantonsparlament entschieden, Französisch erst ab der Sekundarstufe zu unterrichten. Die Nidwaldner Regierung stimmte kurz darauf einer SVP-Initiative mit gleicher Forderung zu. Im Kanton Graubünden ist eine ähnlich lautende Volksinitiative im vergangenen November zustande gekommen.
Bundesrat will zwei Fremdsprachen
Alain Berset will nicht tolerieren, dass Deutschschweizer Schüler erst in der Oberstufe eine zweite Landessprache lernen. Streichen Kantone das Frühfranzösisch oder -italienisch aus dem Stundenplan, werde er eingreifen, hat er angekündigt. Möglichkeiten hat er verschiedene - vermutlich hätte aber am Ende das Volk das letzte Wort.
Die Verfassung gibt dem Bund das Recht, ins Schulwesen einzugreifen. Können sich die Kantone nicht auf eine Harmonisierung im Schulbereich einigen, so erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften, heisst es da. Das Volk hat den entsprechenden Verfassungsartikel im Mai 2006 mit einer grossen Mehrheit von 85,6 Prozent angenommen. Im Vordergrund stehen zwei Handlungsmöglichkeiten, schreibt der Bundesrat in der Antwort auf einen Vorstoss zum Thema. Erstens könnte er sich auf Artikel 48a der Bundesverfassung berufen.
Gemäss diesem kann der Bundesrat einzelne oder alle Bestimmungen im HarmoS-Konkordat für alle Kantone verbindlich erklären. Somit wären alle Kantone verpflichtet, bereits auf der Primarstufe zwei Fremdsprachen zu unterrichten - eine davon müsste eine Landessprache sein.
Allerdings kann der Bund nicht von sich aus aktiv werden. Er darf nur «auf Antrag interessierter Kantone» handeln. Die Verbindlichkeitserklärung hat in Form eines referendumsfähigen Bundesbeschlusses des Parlaments zu erfolgen. Sprich: Gegen den Beschluss des Parlaments könnte das Referendum ergriffen werden. Es käme zur Volksabstimmung.
Sprachengesetz verschärfen
Die zweite Variante sieht vor, dass unabhängig vom HarmoS-Konkordat das Sprachengesetz verschärft wird. Doch auch in diesem Fall wiederholt sich das gleiche Spiel: Das revidierte Gesetz müsste durchs Parlament, Referendum und anschliessende Volksabstimmung wären wohl vorprogrammiert.
Vorerst will der Bundesrat aber ohnehin nicht in den Sprachenstreit eingreifen. Bis Mitte 2015 sollen die Kantone eine einvernehmliche Lösung finden. Der Bundesrat warte die Resultate ab, schreibt er. Er werde «zu gegebener Zeit prüfen, ob und auf welchen Rechtsgrundlagen er handeln werde».

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