14. April 2014

Diskussion um Tagesschulen in Zürich

In der Stadt Zürich wird derzeit intensiv darüber debattiert, ob die öffentlichen Schulen in Tagesschulen umgewandelt werden sollen. Die FDP verlangt im Gemeinderat sogenannte Halbtagesschulen oder Tagesschulen light mit Präsenzzeiten von 8 Uhr bis 14 oder 15 Uhr inklusive Mittagessen. Die Sozialdemokraten wollen für jeden der sieben Schulkreise zwei Tagesschulen.

Nun schaltet sich auch der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) in die Debatte ein. Er hat eine Online-Umfrage unter seinen Mitgliedern zu den Tagesschulen durchgeführt. Das Resultat ist für die Befürworter ermutigend: Die grosse Mehrheit der Lehrerschaft steht Tagesschulen positiv gegenüber. Mehr als die Hälfte der rund 900 Antwortenden würde gern an einer Tagesschule unterrichten. 40 Prozent wären auch bereit, Betreuungsaufgaben über Mittag oder in der Aufgabenhilfe zu übernehmen.


Es herrscht Unklarheit, was eine Tagesschule überhaupt ist, Bild: Felix Schaad
Zürcher Lehrer befürworten Tagesschule, Tages Anzeiger, 14.4. von Daniel Schneebeli

Überraschend am Resultat ist, dass ältere Lehrpersonen dem Modell Tagesschule positiver gesinnt sind als die jüngeren. ZLV-Präsidentin und Sekundarlehrerin Lilo Lätzsch ist erfreut, dass Tagesschulen am besten bei den Sekundarlehrpersonen ankommen. Erstaunt ist sie darüber aber nicht: «Seklehrer sehen wohl am besten, wie schlecht betreut ihre Schüler über Mittag teilweise sind.» Häufig seien sie zu Hause allein. Dann würden sie eine Pizza in den Ofen schieben oder gar nichts essen. Entsprechend unkonzentriert seien sie am Nachmittag. «Darum macht es Sinn, wenn die Schüler in der Schule eine warme Mahlzeit bekommen.»
Auf der Sekundarstufe ist auch der Anteil jener Lehrpersonen am grössten, die Kinder und Jugendliche neben dem Unterricht noch betreuen würden. Laut Lätzsch hängt das womöglich damit zusammen, dass pubertierende Sekschüler im Unterricht nicht mehr so gut zugänglich sind wie Primarschulkinder. Ein gemeinsames Mittagessen könne der Beziehungspflege dienen und sich im Unterricht positiv auswirken.
Öffnungszeiten sind umstritten
Offen ist hingegen, was eine Tagesschule überhaupt ist. Eine offizielle Definition existiert nämlich nicht. Entsprechend uneinig sind sich die Lehrerinnen und Lehrer über die Öffnungszeiten einer Tages­schule. 32 Prozent der Befragten befürworten das Light-Modell der FDP, in welchem die Türen spätestens um 15 Uhr schliessen. Der Rest möchte ein späteres Betriebsende, 35 Prozent würden 18 Uhr bevorzugen.
Auch beim Mittagessen gehen die Meinungen auseinander. Die Mehrheit (53 Prozent) möchte, dass die Kinder in der Schule essen müssen. Die restlichen sind für Freiwilligkeit. Sie könnten sich vorstellen, dass die Kinder ihr Essen auch selber mitbringen.
Deutlich geht aus der Umfrage hervor, dass die grosse Mehrheit keine flächendeckende Einführung von Tagesschulen will. 66 Prozent wünschen sich, dass die beiden Modelle nebeneinander laufen. 41 Prozent wünschen sich mehr Tagesschulen, nur 14 Prozent befürworten eine generelle Umstellung auf das Tagesschulmodell.
Der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband hat die Umfrageergebnisse bereits ausgewertet und Forderungen aufgestellt. Kurzen Mittagspausen mit mensaähnlichem Betrieb, wie sie im FDP-Modell vorgesehen sind, steht der ZLV skeptisch gegenüber: «Gerade kleine Kinder brauchen über Mittag genügend Ruhepausen», schreibt der Verband in einer Stellungnahme. Zudem spricht er sich gegen ein Obligatorium aus.
Ein pädagogischer Gewinn
Martin Wendelspiess, Chef des Volksschulamtes, hält eine flächendeckende Einführung von Tagesschulen im ganzen Kanton für schwierig. So hat ein städtisches Gutachten im letzten Herbst er­geben, dass ein obligatorisches Mittag­essen kaum durchsetzbar wäre, da dies dem Volksschulgesetz widerspricht. Schulvorsteher Gerold Lauber (CVP) plant gleichwohl einen Schulversuch mit der Tagesschule light. Laut der Sprecherin des Schulamtes, Regina Kesselring, sollen sechs städtische Schulen am Versuch mitmachen, ein entsprechender Antrag soll im Frühsommer erfolgen. Die Zustimmung muss der Regierungsrat geben. Dies sollte eine Formsache sein. Allerdings wird der Regierungsrat den Schulversuch wahrscheinlich auf Landschulen ausweiten, wie Wendelspiess sagt. Die Stadt plant einen Versuchsbeginn im Jahr 2015.
Einig sind sich Stadt und Kanton, dass Tagesschulen pädagogisch ein Gewinn sind. Bildungsdirektorin Regine Aeppli (SP), deren Kinder selber eine Tages­schule besuchten, hält viel vom Konzept. Zudem ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Tagesschulen qualitativ hochstehend sind. Unter anderem hat Erziehungswissenschaftlerin Marianne Schüpbach von der Uni Bern in einem Nationalfondsprojekt nachgewiesen, dass Tagesschulkinder in der Sprache bessere Leistungen erbringen und auch stabilere Freundschaften haben als Kinder aus gewöhnlichen Schulen. 

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