In der Stadt Zürich
wird derzeit intensiv darüber debattiert, ob die öffentlichen Schulen in Tagesschulen umgewandelt werden sollen. Die
FDP verlangt im Gemeinderat sogenannte Halbtagesschulen oder Tagesschulen light
mit Präsenzzeiten von 8 Uhr bis 14 oder 15 Uhr inklusive Mittagessen. Die
Sozialdemokraten wollen für jeden der sieben Schulkreise zwei Tagesschulen.
Nun schaltet sich auch
der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) in die Debatte ein. Er hat
eine Online-Umfrage unter seinen Mitgliedern zu den Tagesschulen durchgeführt.
Das Resultat ist für die Befürworter ermutigend: Die grosse Mehrheit der
Lehrerschaft steht Tagesschulen positiv gegenüber. Mehr als die Hälfte der rund
900 Antwortenden würde gern an einer Tagesschule unterrichten. 40 Prozent
wären auch bereit, Betreuungsaufgaben über Mittag oder in der Aufgabenhilfe zu
übernehmen.
Es herrscht Unklarheit, was eine Tagesschule überhaupt ist, Bild: Felix Schaad
Zürcher Lehrer befürworten Tagesschule, Tages Anzeiger, 14.4. von Daniel Schneebeli
Überraschend am Resultat ist, dass ältere Lehrpersonen dem
Modell Tagesschule positiver gesinnt sind als die jüngeren. ZLV-Präsidentin und
Sekundarlehrerin Lilo Lätzsch ist erfreut, dass Tagesschulen am besten bei den
Sekundarlehrpersonen ankommen. Erstaunt ist sie darüber aber nicht: «Seklehrer
sehen wohl am besten, wie schlecht betreut ihre Schüler über Mittag teilweise
sind.» Häufig seien sie zu Hause allein. Dann würden sie eine Pizza in den Ofen
schieben oder gar nichts essen. Entsprechend unkonzentriert seien sie am
Nachmittag. «Darum macht es Sinn, wenn die Schüler in der Schule eine warme
Mahlzeit bekommen.»
Auf der Sekundarstufe
ist auch der Anteil jener Lehrpersonen am grössten, die Kinder und Jugendliche
neben dem Unterricht noch betreuen würden. Laut Lätzsch hängt das womöglich
damit zusammen, dass pubertierende Sekschüler im Unterricht nicht mehr so gut
zugänglich sind wie Primarschulkinder. Ein gemeinsames Mittagessen könne der
Beziehungspflege dienen und sich im Unterricht positiv auswirken.
Öffnungszeiten
sind umstritten
Offen ist hingegen,
was eine Tagesschule überhaupt ist. Eine offizielle Definition existiert
nämlich nicht. Entsprechend uneinig sind sich die Lehrerinnen und Lehrer über
die Öffnungszeiten einer Tagesschule. 32 Prozent der Befragten
befürworten das Light-Modell der FDP, in welchem die Türen spätestens um
15 Uhr schliessen. Der Rest möchte ein späteres Betriebsende,
35 Prozent würden 18 Uhr bevorzugen.
Auch beim Mittagessen
gehen die Meinungen auseinander. Die Mehrheit (53 Prozent) möchte, dass
die Kinder in der Schule essen müssen. Die restlichen sind für Freiwilligkeit.
Sie könnten sich vorstellen, dass die Kinder ihr Essen auch selber mitbringen.
Deutlich geht aus der
Umfrage hervor, dass die grosse Mehrheit keine flächendeckende Einführung von
Tagesschulen will. 66 Prozent wünschen sich, dass die beiden Modelle
nebeneinander laufen. 41 Prozent wünschen sich mehr Tagesschulen, nur
14 Prozent befürworten eine generelle Umstellung auf das Tagesschulmodell.
Der Zürcher
Lehrerinnen- und Lehrerverband hat die Umfrageergebnisse bereits ausgewertet
und Forderungen aufgestellt. Kurzen Mittagspausen mit mensaähnlichem Betrieb,
wie sie im FDP-Modell vorgesehen sind, steht der ZLV skeptisch gegenüber:
«Gerade kleine Kinder brauchen über Mittag genügend Ruhepausen», schreibt der
Verband in einer Stellungnahme. Zudem spricht er sich gegen ein Obligatorium
aus.
Ein
pädagogischer Gewinn
Martin Wendelspiess,
Chef des Volksschulamtes, hält eine flächendeckende Einführung von Tagesschulen
im ganzen Kanton für schwierig. So hat ein städtisches Gutachten im letzten
Herbst ergeben, dass ein obligatorisches Mittagessen kaum durchsetzbar wäre,
da dies dem Volksschulgesetz widerspricht. Schulvorsteher Gerold Lauber (CVP)
plant gleichwohl einen Schulversuch mit der Tagesschule light. Laut der
Sprecherin des Schulamtes, Regina Kesselring, sollen sechs städtische Schulen
am Versuch mitmachen, ein entsprechender Antrag soll im Frühsommer erfolgen.
Die Zustimmung muss der Regierungsrat geben. Dies sollte eine Formsache sein.
Allerdings wird der Regierungsrat den Schulversuch wahrscheinlich auf
Landschulen ausweiten, wie Wendelspiess sagt. Die Stadt plant einen
Versuchsbeginn im Jahr 2015.
Einig sind sich Stadt
und Kanton, dass Tagesschulen pädagogisch ein Gewinn sind. Bildungsdirektorin
Regine Aeppli (SP), deren Kinder selber eine Tagesschule besuchten, hält viel
vom Konzept. Zudem ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Tagesschulen
qualitativ hochstehend sind. Unter anderem hat Erziehungswissenschaftlerin Marianne
Schüpbach von der Uni Bern in einem Nationalfondsprojekt nachgewiesen, dass
Tagesschulkinder in der Sprache bessere Leistungen erbringen und auch stabilere
Freundschaften haben als Kinder aus gewöhnlichen Schulen.
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