14. April 2014

Positive Erfahrungen mit Schulhunden

Schulhunde sind selten, doch die bisherigen Erfahrungen sprechen für den Einsatz der Vierbeiner im Unterricht. Hunde gelten als Sympathieträger, sie wirken beruhigend und motivieren. Einzelne Primar- und Sonderschulen machen sich diese Eigenschaften zunutze: Sie setzen auf einen Schulhund.




Kinder lernen Verantwortung zu übernehmen, Bild: Schulen Regensburg

Der beste Freund im Klassenzimmer, NZZ, 14.4. von Robin Schwarzenbach

Ein Singsaal einer Primarschule in Rain im Kanton Luzern. Eine 6. Klasse steht vor folgender Aufgabe: Was kann man mit einem Schemel, einer Matte und einer Fliegenklatsche alles tun - und vor allem: Was kann man damit zusammen mit Balou machen? Die Schüler stecken kurz die Köpfe zusammen, dann schreiten sie und der Grosspudel zur Tat. «Sitz auf der Matte!» ist für den Hund mit den schwarzen Locken kein Problem. Auf Kommando stellt er sich auch mit den Vorderläufen auf den Schemel. Balou kann das Plasticteil auch umdrehen mit der Schnauze. (Er weiss: Darunter steckt ein Guetsli.) Einzig die Fliegenklatsche will er nicht apportieren. Lieber kaut er darauf herum. Die Kinder freut's trotzdem.
«Jetzt auch noch Hunde!»
Was sich anhört wie eine nette Unterhaltung zur Pause, gehört hier zum Unterricht dazu. Es ist ein Freitag um kurz vor halb zwölf. Die letzte Stunde des Vormittags ist noch nicht vorbei. Und so müssen die Buben und Mädchen noch einmal zurück ins Klassenzimmer. Für sich oder zu zweit arbeiten die Schüler dort an ihren Unterlagen zu Kantonen und Städten der Schweiz weiter. Sie machen es konzentriert und ziemlich still. Sarah Fuchs, die Klassenlehrerin, hält fest: «Jetzt haben sie sich endlich beruhigt.» Und: «Das könnte mit dem Hund zu tun haben.»
Seit Sommer ist der Vierbeiner regelmässig in der Klasse dabei. Gleiches gilt für eine 3. und zwei 5. Klassen in dem Primarschulhaus. Begleitet wird der Schulhund jeweils von seiner Besitzerin: Kerstin Cattin arbeitet als Heilpädagogin. Die 35-Jährige hat sich im vergangenen Jahr mit ihrem «Partner» beworben in Rain. Das war neu für die Gemeinde im Luzerner Seetal. Und auch sonst sind Hunde im Schulunterricht eine seltene Erscheinung. Im Verein Schulhunde Schweiz, dem auch Cattin angehört, sind rund vierzig Kindergärtner, Lehrer und Heilpädagogen organisiert, die ihren Beruf zusammen mit einem Hund ausüben. Den Verein gibt es erst seit eineinhalb Jahren.
Benno Schnarwiler, der Rainer Schulleiter, spricht denn auch von einem Experiment, das man damals eingegangen sei. Es habe bestimmte Regeln gegeben: Nicht die Schule, sondern Cattin musste Lehrer- und Elternschaft über ihr Vorhaben informieren, in welches auch die Hauswarte einzuweihen waren. Ausserdem wurde den betreffenden Schülern, Eltern und Lehrern ein Vetorecht eingeräumt. Kritik gab es prompt, wenn auch aus dem Umfeld einer anderen Klasse. «Eine Mutter empörte sich ziemlich direkt mit den Worten: <Jetzt auch noch Hunde in der Schule!>», so erinnert sich Schnarwiler. Er habe versucht, mit den bereits von Cattin dargelegten Punkten dagegenzuhalten, was ihm jedoch kaum gelungen sei. Schnarwiler weiss: Debatten über neue Ansätze im Unterricht sind selten frei von Ideologie. Argumente allein reichen nicht. Was zählt, sind vor allem Erfahrungswerte.
Und die sind offenbar positiv. Übungen mit dem vierbeinigen Kameraden, wie sie die Sechstklässler an jenem Freitag in Rain gemacht haben, sind dafür nur ein Beispiel. Schulhunde wirken aber auch auf einer subtileren Ebene. Lorena Bettin, die Präsidentin von Schulhunde Schweiz, sagt: «Die aktiven Elemente mit dem Hund im Unterricht werden überschätzt.» Wichtig für die Kinder sei bereits die Tatsache, dass ein Hund dabei sei im Klassenzimmer. Die Schüler seien motiviert; die Klasse habe ein gemeinsames, spezielles Thema - den Hund. Gleichzeitig lernten die Kinder, Verantwortung für das Tier zu übernehmen sowie entsprechende Regeln zu befolgen.
Impulse beim Lernen
Die wichtigsten dieser Regeln zeigen sich sowohl beim Besuch in Rain als auch im Schulhaus Frohalp, einer Einrichtung für Schwerhörige und Gehörlose in Zürich, an der Bettin in Begleitung ihrer Labradorhündin Diandra als Klassenassistentin arbeitet. In beiden Schulzimmern haben die Hunde ihr eigenes Plätzchen in einer Ecke, wo sie sich ausruhen können - Ruhe im Klassenzimmer ist dafür eine Grundvoraussetzung. Die Schulhunde dürfen sich aber auch frei im Raum bewegen. Da und dort werden sie bei dieser Gelegenheit auch gestreichelt unter der Schulbank. Doch in Aktion treten sie nur, wenn ihre Besitzerin ihnen einen Befehl erteilt oder wenn spezielle Aufgaben anstehen. Von sich aus dürfen die Schüler die Hunde nicht zu sich rufen.
Unbestritten scheint zudem, dass Kameraden wie Balou und Diandra in der Lage sind, Impulse zu geben. Die hörbehinderten Jugendlichen in Bettins Klasse etwa müssen den Namen des Labradors besonders deutlich artikulieren, wenn sie im Unterricht direkt mit dem Hund kommunizieren sollen. Dass sie sich dabei mitunter mehr Mühe geben als bei anderen Wörtern, scheint naheliegend: Ein ergebener Blick, ein Wedeln, ein paar aufmunternde Regungen am ganzen Körper - ein Schulhund ist immer ehrlich, er tadelt nicht und belohnt die Kinder dafür sofort. Das wissen auch die Schüler von Kerstin Cattin zu schätzen. 2011, als die Heilpädagogin noch an einer anderen Primarschule arbeitete, hat ihr Hund zu Weihnachten mehrere Karten erhalten. Auf einer steht geschrieben: «Ich danke dir Balou, dass du mich immer aufheitern kannst, wenn ich nicht so gut drauf bin. [. . .] Du gibst mir die Kraft, mit Freude am Unterricht teilzunehmen.»
Segen in Österreich
Die Kinder der 6. Klasse in Rain äussern sich ähnlich. Mit dem Hund seien die Lektionen wieder spannend geworden; dank ihm erzähle man zu Hause gerne von der Schule. Sarah Fuchs nimmt die Komplimente für den Grosspudel nicht persönlich. Die Lehrerin findet es gut, dass die 12-Jährigen einen neuen Sympathieträger gefunden haben - in einem Alter, in dem die Lehrpersonen für die Schüler erfahrungsgemäss an Bedeutung verlören, sagt Fuchs.
Somit bleiben kaum Zweifel: Schulhunde gelten als Bereicherung. Punktuell zumindest wird das auch von der Forschung gestützt (siehe Interview). In Österreich hat das damalige Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur vor zwei Jahren einen Leitfaden zum Thema erarbeitet. Die Pädagogische Hochschule Burgenland lancierte daraufhin einen Lehrgang, ohne den Hunde an österreichischen Schulen gar nicht eingesetzt werden dürfen. Weitere Kurse in anderen Bundesländern folgten. Die Kosten dafür trägt der Staat.
Kritische Stimmen warnen indes davor, den Ansatz zu einem simplen Allheilmittel zu verklären. Nicht zuletzt sind es die Schulhunde-Vertreter selbst, die sich um differenzierte Botschaften bemühen. Schulhunde Schweiz gibt sich betont sachlich. Guter Gehorsam des Tieres wird vorausgesetzt in dem Verein. Die Hunde müssen über einen ruhigen, gesetzten Charakter verfügen. Die Mitglieder sind verpflichtet, ihr Wissen auf dem Gebiet der tiergestützten Pädagogik regelmässig zu erweitern. Derzeit ist der Verein dabei, eine eigene Weiterbildung auf die Beine zu stellen, in der es darum gehen soll, die Signale des Hundes besser deuten zu können im Unterricht. Man darf gespannt sein, ob sich damit auch jene Schulleiter gewinnen lassen, die von Schulhunden noch nie gehört haben und das Ganze für eine Schnapsidee halten.

1 Kommentar:

  1. Kann man es noch deutlicher zeigen, wo die Schule gelandet ist? Sie ist "auf den Hund gekommen"! Schüler, die sich das Lernen nicht zutrauen, können sich nun stattdessen mit dem Hund beschäftigen. Später werden dann wohl alle Tierpfleger.

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