Schulhunde sind
selten, doch die bisherigen Erfahrungen sprechen für den Einsatz der Vierbeiner
im Unterricht. Hunde gelten als Sympathieträger, sie wirken
beruhigend und motivieren. Einzelne Primar- und Sonderschulen machen sich diese
Eigenschaften zunutze: Sie setzen auf einen Schulhund.
Kinder lernen Verantwortung zu übernehmen, Bild: Schulen Regensburg
Der beste Freund im Klassenzimmer, NZZ, 14.4. von Robin Schwarzenbach
Ein Singsaal einer Primarschule in Rain im
Kanton Luzern. Eine 6. Klasse steht vor folgender Aufgabe: Was kann man mit
einem Schemel, einer Matte und einer Fliegenklatsche alles tun - und vor allem:
Was kann man damit zusammen mit Balou machen? Die Schüler stecken kurz die
Köpfe zusammen, dann schreiten sie und der Grosspudel zur Tat. «Sitz auf der
Matte!» ist für den Hund mit den schwarzen Locken kein Problem. Auf Kommando
stellt er sich auch mit den Vorderläufen auf den Schemel. Balou kann das
Plasticteil auch umdrehen mit der Schnauze. (Er weiss: Darunter steckt ein
Guetsli.) Einzig die Fliegenklatsche will er nicht apportieren. Lieber kaut er
darauf herum. Die Kinder freut's trotzdem.
«Jetzt auch
noch Hunde!»
Was sich anhört wie eine nette Unterhaltung zur
Pause, gehört hier zum Unterricht dazu. Es ist ein Freitag um kurz vor halb
zwölf. Die letzte Stunde des Vormittags ist noch nicht vorbei. Und so müssen
die Buben und Mädchen noch einmal zurück ins Klassenzimmer. Für sich oder zu
zweit arbeiten die Schüler dort an ihren Unterlagen zu Kantonen und Städten der
Schweiz weiter. Sie machen es konzentriert und ziemlich still. Sarah Fuchs, die
Klassenlehrerin, hält fest: «Jetzt haben sie sich endlich beruhigt.» Und: «Das
könnte mit dem Hund zu tun haben.»
Seit Sommer ist der Vierbeiner regelmässig in
der Klasse dabei. Gleiches gilt für eine 3. und zwei 5. Klassen in dem
Primarschulhaus. Begleitet wird der Schulhund jeweils von seiner Besitzerin:
Kerstin Cattin arbeitet als Heilpädagogin. Die 35-Jährige hat sich im
vergangenen Jahr mit ihrem «Partner» beworben in Rain. Das war neu für die
Gemeinde im Luzerner Seetal. Und auch sonst sind Hunde im Schulunterricht eine
seltene Erscheinung. Im Verein Schulhunde Schweiz, dem auch Cattin angehört,
sind rund vierzig Kindergärtner, Lehrer und Heilpädagogen organisiert, die
ihren Beruf zusammen mit einem Hund ausüben. Den Verein gibt es erst seit
eineinhalb Jahren.
Benno Schnarwiler, der Rainer Schulleiter,
spricht denn auch von einem Experiment, das man damals eingegangen sei. Es habe
bestimmte Regeln gegeben: Nicht die Schule, sondern Cattin musste Lehrer- und
Elternschaft über ihr Vorhaben informieren, in welches auch die Hauswarte
einzuweihen waren. Ausserdem wurde den betreffenden Schülern, Eltern und
Lehrern ein Vetorecht eingeräumt. Kritik gab es prompt, wenn auch aus dem
Umfeld einer anderen Klasse. «Eine Mutter empörte sich ziemlich direkt mit den
Worten: <Jetzt auch noch Hunde in der Schule!>», so erinnert sich
Schnarwiler. Er habe versucht, mit den bereits von Cattin dargelegten Punkten
dagegenzuhalten, was ihm jedoch kaum gelungen sei. Schnarwiler weiss: Debatten
über neue Ansätze im Unterricht sind selten frei von Ideologie. Argumente
allein reichen nicht. Was zählt, sind vor allem Erfahrungswerte.
Und die sind offenbar positiv. Übungen mit
dem vierbeinigen Kameraden, wie sie die Sechstklässler an jenem Freitag in Rain
gemacht haben, sind dafür nur ein Beispiel. Schulhunde wirken aber auch auf
einer subtileren Ebene. Lorena Bettin, die Präsidentin von Schulhunde Schweiz,
sagt: «Die aktiven Elemente mit dem Hund im Unterricht werden überschätzt.»
Wichtig für die Kinder sei bereits die Tatsache, dass ein Hund dabei sei im
Klassenzimmer. Die Schüler seien motiviert; die Klasse habe ein gemeinsames,
spezielles Thema - den Hund. Gleichzeitig lernten die Kinder, Verantwortung für
das Tier zu übernehmen sowie entsprechende Regeln zu befolgen.
Impulse beim
Lernen
Die wichtigsten dieser Regeln zeigen sich
sowohl beim Besuch in Rain als auch im Schulhaus Frohalp, einer Einrichtung für
Schwerhörige und Gehörlose in Zürich, an der Bettin in Begleitung ihrer
Labradorhündin Diandra als Klassenassistentin arbeitet. In beiden Schulzimmern
haben die Hunde ihr eigenes Plätzchen in einer Ecke, wo sie sich ausruhen
können - Ruhe im Klassenzimmer ist dafür eine Grundvoraussetzung. Die
Schulhunde dürfen sich aber auch frei im Raum bewegen. Da und dort werden sie
bei dieser Gelegenheit auch gestreichelt unter der Schulbank. Doch in Aktion
treten sie nur, wenn ihre Besitzerin ihnen einen Befehl erteilt oder wenn
spezielle Aufgaben anstehen. Von sich aus dürfen die Schüler die Hunde nicht zu
sich rufen.
Unbestritten scheint zudem, dass Kameraden
wie Balou und Diandra in der Lage sind, Impulse zu geben. Die hörbehinderten
Jugendlichen in Bettins Klasse etwa müssen den Namen des Labradors besonders
deutlich artikulieren, wenn sie im Unterricht direkt mit dem Hund kommunizieren
sollen. Dass sie sich dabei mitunter mehr Mühe geben als bei anderen Wörtern,
scheint naheliegend: Ein ergebener Blick, ein Wedeln, ein paar aufmunternde
Regungen am ganzen Körper - ein Schulhund ist immer ehrlich, er tadelt nicht
und belohnt die Kinder dafür sofort. Das wissen auch die Schüler von Kerstin
Cattin zu schätzen. 2011, als die Heilpädagogin noch an einer anderen Primarschule
arbeitete, hat ihr Hund zu Weihnachten mehrere Karten erhalten. Auf einer steht
geschrieben: «Ich danke dir Balou, dass du mich immer aufheitern kannst, wenn
ich nicht so gut drauf bin. [. . .] Du gibst mir die Kraft, mit Freude am
Unterricht teilzunehmen.»
Segen in
Österreich
Die Kinder der 6. Klasse in Rain äussern sich
ähnlich. Mit dem Hund seien die Lektionen wieder spannend geworden; dank ihm
erzähle man zu Hause gerne von der Schule. Sarah Fuchs nimmt die Komplimente
für den Grosspudel nicht persönlich. Die Lehrerin findet es gut, dass die
12-Jährigen einen neuen Sympathieträger gefunden haben - in einem Alter, in dem
die Lehrpersonen für die Schüler erfahrungsgemäss an Bedeutung verlören, sagt
Fuchs.
Somit bleiben kaum Zweifel: Schulhunde gelten
als Bereicherung. Punktuell zumindest wird das auch von der Forschung gestützt
(siehe Interview). In Österreich hat das damalige Bundesministerium für
Unterricht, Kunst und Kultur vor zwei Jahren einen Leitfaden zum Thema
erarbeitet. Die Pädagogische Hochschule Burgenland lancierte daraufhin einen
Lehrgang, ohne den Hunde an österreichischen Schulen gar nicht eingesetzt
werden dürfen. Weitere Kurse in anderen Bundesländern folgten. Die Kosten dafür
trägt der Staat.
Kritische Stimmen warnen indes davor, den
Ansatz zu einem simplen Allheilmittel zu verklären. Nicht zuletzt sind es die
Schulhunde-Vertreter selbst, die sich um differenzierte Botschaften bemühen.
Schulhunde Schweiz gibt sich betont sachlich. Guter Gehorsam des Tieres wird
vorausgesetzt in dem Verein. Die Hunde müssen über einen ruhigen, gesetzten
Charakter verfügen. Die Mitglieder sind verpflichtet, ihr Wissen auf dem Gebiet
der tiergestützten Pädagogik regelmässig zu erweitern. Derzeit ist der Verein
dabei, eine eigene Weiterbildung auf die Beine zu stellen, in der es darum
gehen soll, die Signale des Hundes besser deuten zu können im Unterricht. Man
darf gespannt sein, ob sich damit auch jene Schulleiter gewinnen lassen, die
von Schulhunden noch nie gehört haben und das Ganze für eine Schnapsidee
halten.
Kann man es noch deutlicher zeigen, wo die Schule gelandet ist? Sie ist "auf den Hund gekommen"! Schüler, die sich das Lernen nicht zutrauen, können sich nun stattdessen mit dem Hund beschäftigen. Später werden dann wohl alle Tierpfleger.
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