4. April 2014

Buhrufe gegen Wüthrich

Der Baselbieter Bildungsdirektor begab sich in die Höhle des Löwen, sprich der Kantonalkonferenz des LVB, und stellte sich den Fragen der Lehrer. Seine Antworten konnten aber nicht überzeugen.


Massive Kritik: 97 Prozent der Anwesenden waren mit den Antworten nicht einverstanden oder fanden diese ungenügend, Bild: Pino Covino

Urs Wüthrichs erfolglose Charmeoffensive bei den Lehrern, Basler Zeitung, 4.4. von Boris Gygax


Zuerst Kopfschütteln, zitternde Lippen, ein ungläubiger Blick. Dann platzt dem Sekundarlehrer aus Reinach der Kragen. Er springt vom Stuhl auf, verwirft die Hände und ruft: «Das ist nicht die Antwort auf die Frage. Er sagt nichts! Rein gar nichts!» Sein Ärger richtet sich gegen den Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich. Dieser wagte sich am Mittwochabend für eine Fragestunde zur Bildungsharmonisierung in die Höhle des Löwen: An die Mitgliederversammlung des Lehrervereins Baselland (LVB) in Muttenz.
Eine geballte Ladung Unmut wurde ihm von den mehreren Hundert Zuhörern entgegengebracht. «Es herrscht eine grosse Frustration bei den Lehrern. Wir haben den Eindruck, dass nicht einmal die Spitze der Bildungsdirektion richtig weiss, wie und mit welchen Mitteln diese Reformen alle umgesetzt werden sollen – auch nach diesem Abend nicht», sagt Michael Weiss, LVB-Präsident ad interim. Man höre seitens der Bildungsdirektion in der Öffentlichkeit ständig, alles sei auf Kurs.
Hämisches Gelächter
Am Mittwochabend wurde jedoch je länger je mehr klar: Bei der Umsetzung der Bildungsharmonisierung gibt es eine Menge Unklarheiten. Darüber konnten auch Alberto Schneebeli, Projektleiter Bildungsharmonisierung und Thomas von Felten, Harmos-Mandatsleiter der Sekundarstufe 1, nicht hinwegtäuschen. Das Dreiergespann wurde teilweise kräftig ins Kreuzfeuer genommen. Es gebe eine Ambivalenz zwischen dem Anspruch der Mitwirkung und fertige Lösungen zu präsentieren, versuchte Wüthrich die Wogen zu glätten. «Mit dem Dialog versuchen wir die Akzeptanz zu verbessern, um so viele Lehrer wie möglich für unsere Aufgabe zu gewinnen.» Michael Weiss, der die Fragerunde moderierte, meinte daraufhin trocken: «Dann gibt es ja noch einiges zu tun.» Hämisches Gelächter.
Es war nicht die einzige Pfeilspitze, die Weiss gegen das Trio schoss. Wüthrich, Schneebeli und von Felten ertrugen es jeweils mit Fassung und einem gequälten Lächeln. Auf konkrete Fragen folgten umständliche Antworten, als stammten sie aus einer Doktorarbeit. Sich auf Vorlagen und Beschlüsse berufend, konnte die politische Spitze die Lehrer an der Basis nicht überzeugen. Vor allem Schneebeli wirkte dabei in seinen Paragrafen und den Wirren der Umstrukturierung gefangen, verhedderte sich in seinen Abschweifungen.Die meisten Lehrer wurden ratlos zurückgelassen, Frage um Frage.
Gefühl der Verheimlichung
Je länger die Fragerunde dauerte, desto grösser wurde der Graben zwischen der Direktionsspitze und den Lehrern. Mit Stirnrunzeln und Kopfschütteln wurden die Antworten abgestraft, einzelne liessen sich sogar zu Buhrufen hinreissen – an der Grenze des Anstandes. Zeitweise erinnerte die Szenerie stark an ein Klassenzimmer: Vorne Lehrer Wüthrich mit Schneebeli und von Felten im Teamteaching, am Rednerpult der vorlaute Klassensprecher Weiss und die Lehrer in der Rolle der Schüler, die Dampf ablassen.
Die Fragerunde wurde – ebenfalls ganz unterrichtskonform – mit einem Feedbackbogen bewertet: Über 97 Prozent der Anwesenden waren mit den Antworten nicht einverstanden oder fanden diese ungenügend.
Keine Frage, über die vergangenen Wochen und Monate hat sich Unmut angestaut. Die windigen Antworten werden Wüthrich als «unehrlich» ausgelegt. «Ich habe das Gefühl, er verheimlicht uns die gefassten Beschlüsse», sagt eine Primarlehrerin. Andere vermuten, dass es diese noch gar nicht gibt. So entsteht die Forderung, «die Karten endlich auf den Tisch zu legen», findet auch Weiss.
Fairness und Respekt
Er habe die Chance geschätzt, vor Ort anzutreten und konkret Stellung zu nehmen, sagt Urs Wüthrich. Die engagierten Voten betrachte er als Ausdruck von Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein für die Qualität der Bildung. «Was wir heute wissen, haben wir am Mittwoch gesagt. Gleichzeitig gibt es Fragen, die heute noch nicht beantwortet werden können.» Der Unmut der Lehrer habe seinen Erwartungen entsprochen. Wobei jeweils «fair und mit Respekt» diskutiert worden sei.
In der Diskussion zeigte sich auch, dass sich die Lehrer untereinander nicht einig sind. Der Bildungsdirektor, bemüht, es vielen recht zu machen, machte es auch vielen unrecht. Der Ungeduld nach tauglichen Lösungen seitens der Lehrer hatte er scheinbar wenig entgegenzusetzen. Wüthrich und seine Begleiter kamen sichtlich ins Schwitzen.
Friedensangebot per Brief
Eine Woche vor der Veranstaltung versuchte Wüthrich im Namen des Gesamtregierungsrates die Lehrer zu beschwichtigen. «Wir wissen, wie wichtig Sie sind!», schrieb er einem Brief an die Lehrer, welcher der BaZ vorliegt. Darin «bekräftigt der Regierungsrat die Wertschätzung» gegenüber der Arbeit der Lehrer und dankt für ihren «unverzichtbaren Einsatz». Der Brief endet mit folgendem Satz: «Sie erbringen immer wieder den Tatbeweis, dass Ihnen zu Recht mit Anerkennung und Dank begegnet wird. Der Regierungsrat zählt auf Sie, weil wir wissen, wie wichtig Sie sind.» Dies sei zu viel der warmen Worte, befindet ein Lehrer und interpretiert den Brief nach den Unstimmigkeiten gar als «Geschleime».
An der Mitgliederversammlung kam wenig Verbindliches heraus. So wurde klar, dass die Methodenfreiheit «angekratzt» wird. Gemäss Weiss ein hohes Gut des Unterrichtens. Entscheidet sich künftig eine Schulleitung für eine Methodik, müssen alle Lehrpersonen nachziehen. Wer nicht so unterrichten will, der kann gehen.
Mit einem Versprechen konnte das Trio der Bildungsdirektion aber punkten. Lehrpersonen, welche die im Lehrplan 21 beschlossenen Kombinationsfächer unterrichten, werden nicht wie befürchtet «per Schnellbleiche» weitergebildet. Kombi-Fächer dürften nach der Einführung des Lehrplans 21 auch von mehreren Lehrern unterrichtet werden.
Nach fast eineinhalb Stunden im Kreuzfeuer brach Michael Weiss die Diskussion ab. Es sollte noch der langjährige LVB-Präsident Christoph Straumann verabschiedet werden. Und der Lehrer aus Reinach hat sich wieder beruhigt. Die Wut ist der Enttäuschung gewichen. Mit hängendem Kopf verliess er vorzeitig den Saal.


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