Massive Kritik: 97 Prozent der Anwesenden waren mit den Antworten nicht einverstanden oder fanden diese ungenügend, Bild: Pino Covino
Urs Wüthrichs erfolglose Charmeoffensive bei den Lehrern, Basler Zeitung, 4.4. von Boris Gygax
Zuerst Kopfschütteln, zitternde Lippen, ein ungläubiger Blick.
Dann platzt dem Sekundarlehrer aus Reinach der Kragen. Er springt vom Stuhl
auf, verwirft die Hände und ruft: «Das ist nicht die Antwort auf die Frage. Er
sagt nichts! Rein gar nichts!» Sein Ärger richtet sich gegen den Baselbieter
Bildungsdirektor Urs Wüthrich. Dieser wagte sich am Mittwochabend für eine
Fragestunde zur Bildungsharmonisierung in die Höhle des Löwen: An die
Mitgliederversammlung des Lehrervereins Baselland (LVB) in Muttenz.
Eine geballte Ladung Unmut wurde ihm von den mehreren Hundert
Zuhörern entgegengebracht. «Es herrscht eine grosse Frustration bei den
Lehrern. Wir haben den Eindruck, dass nicht einmal die Spitze der
Bildungsdirektion richtig weiss, wie und mit welchen Mitteln diese Reformen
alle umgesetzt werden sollen – auch nach diesem Abend nicht», sagt Michael
Weiss, LVB-Präsident ad interim. Man höre seitens der Bildungsdirektion in der
Öffentlichkeit ständig, alles sei auf Kurs.
Hämisches Gelächter
Am Mittwochabend wurde jedoch je länger je mehr klar: Bei der
Umsetzung der Bildungsharmonisierung gibt es eine Menge Unklarheiten. Darüber
konnten auch Alberto Schneebeli, Projektleiter Bildungsharmonisierung und
Thomas von Felten, Harmos-Mandatsleiter der Sekundarstufe 1, nicht
hinwegtäuschen. Das Dreiergespann wurde teilweise kräftig ins Kreuzfeuer
genommen. Es gebe eine Ambivalenz zwischen dem Anspruch der Mitwirkung und
fertige Lösungen zu präsentieren, versuchte Wüthrich die Wogen zu glätten. «Mit
dem Dialog versuchen wir die Akzeptanz zu verbessern, um so viele Lehrer wie
möglich für unsere Aufgabe zu gewinnen.» Michael Weiss, der die Fragerunde
moderierte, meinte daraufhin trocken: «Dann gibt es ja noch einiges zu tun.»
Hämisches Gelächter.
Es war nicht die einzige Pfeilspitze, die Weiss gegen das Trio
schoss. Wüthrich, Schneebeli und von Felten ertrugen es jeweils mit Fassung und
einem gequälten Lächeln. Auf konkrete Fragen folgten umständliche Antworten,
als stammten sie aus einer Doktorarbeit. Sich auf Vorlagen und Beschlüsse
berufend, konnte die politische Spitze die Lehrer an der Basis nicht
überzeugen. Vor allem Schneebeli wirkte dabei in seinen Paragrafen und den
Wirren der Umstrukturierung gefangen, verhedderte sich in seinen
Abschweifungen.Die meisten Lehrer wurden ratlos zurückgelassen, Frage um Frage.
Gefühl der Verheimlichung
Je länger die Fragerunde dauerte, desto grösser wurde der Graben
zwischen der Direktionsspitze und den Lehrern. Mit Stirnrunzeln und
Kopfschütteln wurden die Antworten abgestraft, einzelne liessen sich sogar zu
Buhrufen hinreissen – an der Grenze des Anstandes. Zeitweise erinnerte die
Szenerie stark an ein Klassenzimmer: Vorne Lehrer Wüthrich mit Schneebeli und
von Felten im Teamteaching, am Rednerpult der vorlaute Klassensprecher Weiss
und die Lehrer in der Rolle der Schüler, die Dampf ablassen.
Die Fragerunde wurde – ebenfalls ganz unterrichtskonform – mit
einem Feedbackbogen bewertet: Über 97 Prozent der Anwesenden waren mit den
Antworten nicht einverstanden oder fanden diese ungenügend.
Keine Frage, über die vergangenen Wochen und Monate hat sich
Unmut angestaut. Die windigen Antworten werden Wüthrich als «unehrlich»
ausgelegt. «Ich habe das Gefühl, er verheimlicht uns die gefassten Beschlüsse»,
sagt eine Primarlehrerin. Andere vermuten, dass es diese noch gar nicht gibt.
So entsteht die Forderung, «die Karten endlich auf den Tisch zu legen», findet
auch Weiss.
Fairness und Respekt
Er habe die Chance geschätzt, vor Ort anzutreten und konkret
Stellung zu nehmen, sagt Urs Wüthrich. Die engagierten Voten betrachte er als
Ausdruck von Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein für die Qualität der
Bildung. «Was wir heute wissen, haben wir am Mittwoch gesagt. Gleichzeitig gibt
es Fragen, die heute noch nicht beantwortet werden können.» Der Unmut der
Lehrer habe seinen Erwartungen entsprochen. Wobei jeweils «fair und mit
Respekt» diskutiert worden sei.
In der Diskussion zeigte sich auch, dass sich die Lehrer
untereinander nicht einig sind. Der Bildungsdirektor, bemüht, es vielen recht
zu machen, machte es auch vielen unrecht. Der Ungeduld nach tauglichen Lösungen
seitens der Lehrer hatte er scheinbar wenig entgegenzusetzen. Wüthrich und
seine Begleiter kamen sichtlich ins Schwitzen.
Friedensangebot per Brief
Eine Woche vor der Veranstaltung versuchte Wüthrich im Namen des
Gesamtregierungsrates die Lehrer zu beschwichtigen. «Wir wissen, wie wichtig
Sie sind!», schrieb er einem Brief an die Lehrer, welcher der BaZ vorliegt.
Darin «bekräftigt der Regierungsrat die Wertschätzung» gegenüber der Arbeit der
Lehrer und dankt für ihren «unverzichtbaren Einsatz». Der Brief endet mit
folgendem Satz: «Sie erbringen immer wieder den Tatbeweis, dass Ihnen zu Recht
mit Anerkennung und Dank begegnet wird. Der Regierungsrat zählt auf Sie, weil wir
wissen, wie wichtig Sie sind.» Dies sei zu viel der warmen Worte, befindet ein
Lehrer und interpretiert den Brief nach den Unstimmigkeiten gar als
«Geschleime».
An der Mitgliederversammlung kam wenig Verbindliches heraus. So
wurde klar, dass die Methodenfreiheit «angekratzt» wird. Gemäss Weiss ein hohes
Gut des Unterrichtens. Entscheidet sich künftig eine Schulleitung für eine
Methodik, müssen alle Lehrpersonen nachziehen. Wer nicht so unterrichten will,
der kann gehen.
Mit einem Versprechen konnte das Trio der Bildungsdirektion aber
punkten. Lehrpersonen, welche die im Lehrplan 21 beschlossenen
Kombinationsfächer unterrichten, werden nicht wie befürchtet «per
Schnellbleiche» weitergebildet. Kombi-Fächer dürften nach der Einführung des
Lehrplans 21 auch von mehreren Lehrern unterrichtet werden.
Nach fast eineinhalb Stunden im Kreuzfeuer brach Michael Weiss
die Diskussion ab. Es sollte noch der langjährige LVB-Präsident Christoph
Straumann verabschiedet werden. Und der Lehrer aus Reinach hat sich wieder beruhigt.
Die Wut ist der Enttäuschung gewichen. Mit hängendem Kopf verliess er vorzeitig
den Saal.
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