- Früher lernte nur eine Elite Französisch. Heute soll es jeder Schüler beherrschen.
- Viele Lehrer haben nicht ein allzu hohes Sprachniveau im Französischen.
- Die Romands haben noch nie gerne Deutsch gelernt, das ist nichts Neues. Das finde ich aber weniger beunruhigend als die Deutschschweizer Tendenz der letzten 20 Jahre, das Französische zu vernachlässigen.
- Kein Französisch zu lernen, ist die Arroganz der Mehrheit.
- Der durchschnittliche Schweizer spricht miserabel Englisch.
Georges Lüdi: Abenteuerliche Aussagen eines Professors, Bild: 20 Minuten
"Gefahr, dass die Schweiz auseinanderbricht", 20 Minuten, 29.3.
Das Französisch hat es
schwer in den Deutschschweizer Schulen – die Jungen lernen lieber Englisch.
Warum ist das so?
Das hat mit der Wahrnehmung
zu tun: Englisch ist nicht wichtiger geworden, wird aber als wichtiger
wahrgenommen. Wenn heute jemand eine KV-Lehre macht, will er danach
Bankdirektor oder CEO von Novartis werden. Tatsächlich ist Englisch in einem
solchen Umfeld die wichtigere Sprache. Die Realität sieht dann aber anders aus:
Die meisten Lehrabgänger arbeiten in einem KMU. Und die haben nun mal mehr mit
Deutschland und Frankreich zu tun als mit Japan oder Russland. Zu dieser
verzerrten Wahrnehmung, dass Englisch wichtiger ist, tragen aber auch die
Medien bei.
Inwiefern?
Einerseits durch die
Berichterstattung. Das Ausland nimmt einen grossen Teil der Nachrichten ein,
gleichzeitig findet die Romandie fast nicht statt. Andererseits machen die
Deutschschweizer den Romands das Leben schwer, wenn sie in Sendungen wie der
«Arena» konsequent Schweizerdeutsch sprechen. Wird doch mal ein welscher
Politiker eingeladen, gibt es am Anfang ein paar Häppchen Hochdeutsch – bis
dann irgendjemand auf Schweizerdeutsch wechselt.
Hängt die Abneigung gegen
das Französisch nicht auch damit zusammen, dass es eine komplizierte Sprache
ist?
Englisch ist ab einem
gewissen Niveau genauso kompliziert wie Französisch, das kann nicht der Grund
sein. Was aber stimmt: In Amerika oder England ist es kein Problem, wenn jemand
die Sprache kaum beherrscht, sich aber auszudrücken versucht. Das führt dazu,
dass auch die Lehrer im Englischunterricht toleranter sind, wenn jemand die
Sprache am Anfang schlecht spricht. Im Französischen hingegen ist das weniger
akzeptiert – dort erwarten die Lehrer von Anfang an ein perfektes Französisch,
was natürlich nicht möglich ist. Das hängt damit zusammen, dass man auch in
Frankreich die Nase rümpft, wenn jemand, wie die Franzosen sagen, «die Sprache
massakriert».
Dann sind also die Erwartungen im Französischunterricht zu hoch?
Dann sind also die Erwartungen im Französischunterricht zu hoch?
Ja. So wie die Erwartungen
an den Sprachunterricht in der Primarschule an sich. Wer glaubt, in der
Primarschule lerne man eine Sprache, liegt falsch. Vielmehr kriegen die Schüler
ein erstes Gefühl für die Sprache. Für mehr reichen zwei Lektionen pro Woche nicht
aus. Die Politiker und Bildungsdirektoren haben mit ihrer Frühsprachenpolitik
völlig falsche Erwartungen geweckt. Dazu kommt, dass früher nur eine Elite
Französisch lernte. Heute soll es jeder Schüler beherrschen.
Der Widerstand gegen das
Französisch in der Primarschule kommt auch von den Lehrern.
Ja, weil sie das Gefühl
haben, der Aufwand sei zu gross, die Sprache zu schwierig, die Schüler
überfordert, die Eltern unzufrieden. Dazu kommt, dass viele Lehrer nicht ein
allzu hohes Sprachniveau haben: Wer vor 20 Jahren Französisch gelernt hat, kann
heute kaum mehr fliessend sprechen.
Wie sieht es denn in der Romandie aus? Dort ist der Enthusiasmus für das Deutsche auch nicht allzu gross.
Die Romands haben noch nie
gerne Deutsch gelernt, das ist nichts Neues. Auch dort liegt es teilweise
daran, dass die Lehrer nicht motiviert sind, woraufhin die Schüler noch weniger
Lust auf den Deutschunterricht haben. Oder umgekehrt: Wenn die Schüler nicht
motiviert sind, demotiviert das auch die Lehrer. Das finde ich aber weniger
beunruhigend als die Deutschschweizer Tendenz der letzten 20 Jahre, das
Französisch zu vernachlässigen.
Warum?
Weil wir die Mehrheit sind
und uns umso mehr Mühe geben müssten, die Minderheit zu verstehen. Kein
Französisch zu lernen, ist die Arroganz der Mehrheit. Schlimm finde ich vor
allem, dass man sich gegenseitig nicht mehr versteht: Früher galt ja, dass man
zwar in seiner eigenen Sprache sprach, den anderen aber zumindest verstand.
Die Deutschschweizer
verstehen also nicht einmal mehr Französisch?
Leider nicht! Besonders
tragisch ist das bei den Bundespolitikern, bei denen ich das immer häufiger
beobachte. Sie reden nicht mehr miteinander, hören einander nicht zu, weil sie
den anderen nicht verstehen.
Wie schlimm ist es denn,
wenn Schweizer miteinander Englisch statt Französisch reden?
Schlimm. Weil der
durchschnittliche Schweizer miserabel Englisch spricht. Englisch als Ersatz für
Französisch oder Deutsch ist zurzeit keine Lösung. Es sei denn, man will nicht
mehr als einen Kaffee bestellen. Aber für eine ernsthafte politische Diskussion
reicht das Sprachniveau der Schweizer derzeit nicht aus.
Dann wäre es kein Problem,
wenn die Schweizer perfekt Englisch sprächen und sich so verständigten?
Nein, denn es geht nicht
nur um die Sprache, sondern auch um die Kultur. Eine Kultur kann man aber nur
durch die Sprache verstehen. Wenn wir miteinander nur noch Englisch sprechen,
besteht die Gefahr, dass die Schweiz auseinanderbricht. Ganz abgesehen davon
reden wir ja nicht das Englisch der Engländer oder Amerikaner. Wir sprechen
kein Shakespeare-Englisch, sondern ein zusammengestückeltes Fastfood-Englisch.
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