"Bildungspolitische Diskussion in der Westschweiz ist pragmatischer", Bild: Wikipedia.de
Pragmatismus statt Ideologie, NZZ, 11.2. von Ernst Buschor
In seinem Beitrag «Wie lange hält die Vernunftehe noch?» äussert sich Marco Baschera kritisch zur Deutschschweizer Sprachenpolitik (NZZ 7. 1. 14). Er bedauert insbesondere den von Zürich ausgelösten Entscheid zur Erstfremdsprache Englisch als Bedrohung der nationalen Kohäsion. Selbst Gegner bestreiten kaum, dass die von mir mit der Schule 21 (Frühenglisch und digitale Literacy) ausgelöste Debatte notwendig und nützlich war. Dabei war wegweisend, dass sowohl das Wirtschaftsleben als auch die allgemeine Gesellschaftsfähigkeit (steigende Englischanforderungen, Computer-Literacy, Anglizismen usw.) Englisch zu einer Notwendigkeit machen.
Freude an Fremdsprachen wecken
Wenn die Kantone um und östlich der Reuss dem Englischen den Primat in der Sprachfolge einräumen, hat das gute Gründe. Das wichtige emotionale Verständnis der Jugendlichen ist für Englisch in dieser Region erheblich höher, ist es doch wichtig, die erste Fremdsprache mit guter emotionaler Bindung und hoher elterlicher Unterstützung zu fördern. Allerdings ist das didaktische Optimum noch nicht ausgeschöpft. Die Erstfremdsprache soll Freude an Fremdsprachen wecken und nicht zum «Stressprogramm» werden, wie dies offenbar vielerorts der Fall sein soll. Die Prioritäten mögen westlich der Reuss vor allem um die Sprachgrenze anders sein, was wir als Föderalisten akzeptieren. Zwar sollte die Formel, die Baschera als (politische) «Vernunftehe» bezeichnet, weitgehend gehalten werden; der Lehrplan 21 stellt diese Formel bewusst nicht infrage. Wenn die Appenzeller und allenfalls auch weitere kleinere Kantone einen eigenen Weg gehen, ist das in einem föderalistischen Staat tolerabel, wenn in den basalen Kernfächern am Ende der Schulzeit die Leistungsstandards (Harmos) erreicht werden. Auch die Kantone Graubünden und Tessin gehen mit guten Gründen eigene Wege, ohne dass die Eidgenossenschaft Schaden nimmt. Die nationale Kohäsion hängt von anderen Faktoren ab. Sie soll vor allem auf der Sekundarstufe I im Verbund mit anderen Fächern (Geschichte, Geografie usw.) gefördert werden.
Wir kommen nicht um steigende Ansprüche an die Funktionalsprache Englisch herum, deren gute Kenntnis zunehmend auf den höheren Bildungsstufen (auch Teile der Berufsbildung) vorausgesetzt wird. Das Argument, man lerne Englisch ohnehin, ist verfehlt. Die Schule soll für das Leben ausbilden und nicht Ideologien dienen. Sie kann durchaus regionalen Besonderheiten Rechnung tragen. Ähnliches gilt für die Computer-Literacy, vermittelt doch der ausserschulische spielerische Umgang ein falsches oder problematisches Bild (Internet!) der digitalen Welt. Allgemein täte der bildungspolitischen Diskussion mehr Pragmatismus gut, der in der Westschweiz ausgeprägter ist. Wir stehen auf allen Bildungsstufen – angefangen von Pisa (Volksschule) bis zu den Universitätsratings – in einem zunehmenden globalen Bildungswettbewerb, der durchaus Räume für nationale Besonderheiten zu pflegen ermöglicht. Globale oder zumindest europäische Standards der Anerkennung von Ausbildungen (Lissabon- und Kopenhagen-Prozess) werden bedeutender. Unser Wohlstand kann nur gehalten und gemehrt werden, wenn in unserem rohstoffarmen Land der hohe Bildungsstand angesichts des Aufholens der vorab asiatischen Schwellen- und Entwicklungsländer gesteigert werden kann. Zu Recht wird Bildung auch als «wichtigste Währung» bezeichnet.
Durchlässigkeit
Die Debatte wird zum Teil unter dem Titel «Durchlässigkeit» geführt. Die Wanderungsbewegungen betragen wenige Prozente der Schüler, wobei selbst innerhalb der Kantone das Leistungsgefälle unter den Schulen in der Regel grösser ist als unter den Kantonen. Es ist ein grosses Verdienst der Lehrerschaft, dass sie hilft, die wanderungsbedingten schulischen Differenzen (nicht nur sprachlicher Art) gut und rasch zu überbrücken. Diese verdankenswerte Haltung der Lehrpersonen ist wichtiger als verfehlte Bundes-Sprachengesetze, die den Sprachenstreit über zu erwartende Referenden massiv verschärfen und die hohe, leider unterschätzte Selbststeuerungsfähigkeit unserer Schulen lähmen würden. Der abgeschlossene Schweizer Schulpreis hat die hohen Potenziale der pädagogischen Innovation in einem relativ offenen System eindrücklich belegt. Auch Pisa unterstreicht die Bedeutung hoher Autonomie in Verbindung mit vielfältigen Formen des Mentorings und der Selbstevaluation der Schulen.
Wichtig ist insbesondere auch die Transparenz der Leistungsqualität der einzelnen Schulen – ein grosses Defizit des Schweizer Schulsystems. Der Lehrplan 21 definiert Mindeststandards und sichert damit noch nicht deren Erreichung. Dies erfordert flankierende Massnahmen auf Schul- und Schulsystemebene. Bei der Sicherung des Erreichens der Standards durch möglichst alle Schülerinnen und Schüler – ein anspruchsvolles Hauptziel von Harmos – sind die Schulen und Kantone gefordert. Eine höhere Leistungstransparenz und Autonomie der Schulen würde es erleichtern, die Ziele transparent zu erreichen und die Schulwahl zu öffnen.
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