12. Februar 2014

Fakten sammeln, nicht bewerten

Der Bildungsbericht ist eine Sammlung von Fakten zum Schweizer Bildungswesen. Er hält sich zurück bezüglich möglicher Massnahmen. Dies hat damit zu tun, dass besonders im Bereich der Volksschule keine Effizienzaussagen gemacht werden könnten - wie es heisst. Überraschend für mich die Aussage, dass in der Schweiz - anders als in anderen Ländern - der Zugang zu höheren Bildungsinstitutionen weniger stark von der Bildungsherkunft abhänge. Die Schweiz hat in diesem Bereich durchaus noch Verbesserungspotential.
Quelle: PISA 2012

Bildungspfade in der Schweiz, NZZ, 12.2. von Michael Schoenenberger


Für den eiligen Leser ist das Werk nicht geschrieben, erfordert die Vertiefung in den Bildungsbericht 2014 doch Zeit und Musse. Wer sich jedoch in nützlicher Frist mit Eckdaten des Schweizer Bildungssystems von der Vorschule bis zur Tertiärstufe vertraut machen möchte, findet hier auf rund 300 Seiten ein gebündeltes Wissen vor, das ihn weiterbringen wird. Die Bildungsberichte, erstellt im Auftrag von Bund und Kantonen, sind jedoch nicht einfach «Weiterbildungsinstrumente» für Öffentlichkeit und Bildungsaffine, sondern verfolgen das Ziel, in der Schweiz ein wirksames Bildungsmonitoring zu etablieren. Die systematische, wissenschaftliche und dauerhafte Beschaffung und Auswertung von Informationen über das Bildungssystem soll letztlich eine evidenzbasierte Bildungspolitik und die auf Fakten beruhende Steuerung des Systems ermöglichen.
Effizienzmessung schwierig
Einleitend hält Projektleiter Stefan C. Wolter fest, beim Bildungsbericht gehe es um das Zusammentragen aller relevanten Informationen, nicht um die Bewertung des Systems - oder gar um das Vorschlagen von Massnahmen. Jedoch folgen aus bildungsökonomischen Auswertungen von Daten natürlich relativ schnell Aussagen zur Effizienz eines Bildungsangebots, und von dort drängen sich gewisse Massnahmen und Mittelzuteilungen dann auf. Der Bildungsbericht 2014 hält sich mit Aussagen zur Effizienz zurück und weist an verschiedenen Orten auf die Problematik der Messung ebendieser hin. Aufgrund fehlender Daten könnten für Vorschule und Primarstufe eigentlich keine Effizienzaussagen gemacht werden, heisst es zum Beispiel. Weniger ausgeprägt gilt dies auch für die Sekundarstufe 1, wo der Bericht auf mögliche Verfälschungen von Effizienzvergleichen hinweist.
Interessant wäre etwa, zu erfahren, ob die stets gelobte berufliche Grundbildung tatsächlich auch effizient ist, ob sie also zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes mehr beiträgt als andere Bildungsformen. Diese Frage sei heute nicht abschliessend zu beantworten, heisst es im Bildungsbericht. Als positives Faktum wird aber darauf hingewiesen, was die Schweiz mit ihrem dualen Berufsbildungssystem von anderen Ländern unterscheidet: Hier können Schulabgänger entsprechend ihren Fähigkeiten zwischen verschiedenen Bildungsformen wählen, und diese weisen bezogen auf ihre Ziele jeweils eine ähnliche Qualität auf.
MINT, Quoten, Berufsbildung
Bezogen auf aktuelle Debatten in der Bildungspolitik finden sich im Bericht 2014 einige interessante Passagen.
MINT-Fachkräftemangel. Es zeigt sich, dass die Belegung eines MINT-Schwerpunktfachs im Gymnasium positive Folgen hat für die Wahl eines MINT-Studiums. Die Gymnasien könnten hier also einiges beitragen. Der Fachkräftemangel in diesen Bereichen hat übrigens wenig mit der Zunahme der Mädchenquote an Gymnasien zu tun. Würden nämlich Medizin und Pharmazie, zweifellos Fächer, die ähnliche Kompetenzen wie viele MINT-Fächer voraussetzen, in die Definition von MINT einbezogen, verschwände der Geschlechterunterschied komplett. Der Bericht folgert: «Um die Anzahl der MINT-Studierenden zu erhöhen, müsste vor allem die Anzahl Schülerinnen und Schüler in einem MINT-Schwerpunktfach erhöht werden.» Steigende Maturitätsquoten ohne gleichzeitige Erhöhung der MINT-Kapazitäten hätten, so der Bericht, einen nur geringen Einfluss auf die Behebung des Fachkräftemangels.
Chancengerechtigkeit. Die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme eines Tertiärstudiums wird stark von der sozialen Herkunft bestimmt. Kinder aus Akademikerfamilien finden häufiger an die Hochschule - was natürlich viele «aussersystemische» Gründe hat. Es ist jedoch erfreulich, dass in der Schweiz laut dem Bildungsbericht der Zugang zu höheren Bildungsinstitutionen weniger stark von der Bildungsherkunft abhängt als in anderen Ländern. Wichtig ist zudem, die höhere Berufsbildung nicht zu vergessen, die auch auf der Tertiärstufe (B) angesiedelt ist. Diese wird häufiger von Personen aus tieferen Bildungsschichten besucht und trägt viel zur vergleichsweise geringen sozialen Disparität bei, eröffnet also wegen der hohen Durchlässigkeit vielen Menschen den «Weg nach oben».
Höhere Berufsbildung. Der Bildungsbericht weist zunächst auf ein Durcheinander hin, das die Stellung der höheren Berufsbildung schwächen dürfte. So seien Abgrenzungsfragen zwischen den höheren Fachschulen (HF), den Fachhochschulen (FH, tertiär A) und der beruflichen Weiterbildung nicht gelöst. Im Bereich Gesundheit etwa können dieselben Abschlüsse sowohl an HF wie an FH gemacht werden. Und hinsichtlich der umstrittenen Finanzierung der höheren Berufsbildung weist der Bericht nüchtern darauf hin, dass rund 90 Prozent der Kandidaten für die Berufsprüfungen und die höheren Fachprüfungen einen Beschäftigungsgrad von über 90 Prozent aufweisen. Rund 80 Prozent der Personen werden ganz oder teilweise von ihren Arbeitgebern unterstützt. Hierin liegt auch die Forderung der Wirtschaft nach einer stärkeren staatlichen Subventionierung mitbegründet, die sich dadurch Entlastungen verspricht. Die Autoren weisen zudem auf die hohen Bildungsrenditen der höheren Berufsbildung hin und merken kritisch an, dass eine starke Ausdehnung der Studierendenzahlen oder andere Finanzierungsmodalitäten das Risiko bergen, just diese Renditen erodieren zu lassen.
Hoher Nutzen

Ein letztes Kapitel widmet sich dem Nutzen von Bildung. Auch wenn man das meiste weiss, kann es nicht schaden, es in Erinnerung zu rufen. So wirkt sich Bildung für den Einzelnen positiv auf Erwerbstätigkeit und Lohn aus, bringt jedoch auch einen gesamtgesellschaftlichen monetären Nutzen in Form höheren Wirtschaftswachstums und höherer Steuererträge. Erwähnung findet sodann der nichtmonetäre Nutzen von Bildung, beispielsweise in den Bereichen Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Glück, politische Partizipation - und Kriminalität.

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