Quelle: Grosser Rat, Kanton Aargau, 7.1.
Das Bildungsdepartement überlässt es bis heute den
Schulgemeinden, sich für IS zu entscheiden oder nicht. Dabei ist IS aktuell
fast flächendeckend eingeführt – ohne offiziellen Lead des BKS.
Ein ursprüngliches Hauptziel, nämlich die Einweisungen in
die (kostenaufwändigen) Sonderschulen zu reduzieren, konnte jedoch bis heute
nicht erreicht werden – im Gegenteil, die Einweisungen in die Sonderschulen
steigen weiterhin in beträchtlichem Masse. Darüber hinaus gibt es gemäss Reaktionen
aus dem Schulumfeld zahlreiche Verlierer:
•
Lernende, die in der Regelklasse konstant
überfordert sind und deshalb (trotz IS) ausgegrenzt werden. Ein wichtiges Ziel
der IS wird damit nicht erreicht. Die Folge sind frustrierte Kinder, die früher
oder später verhaltensauffällig werden. Damit werden Schulen vor grosse
Herausforderungen gestellt, die oft wieder in der Separation enden.
•
Begabte, motivierte Kinder, die sich in einem
Lernumfeld befinden, welches darauf ausgerichtet werden muss, dass die Mehrheit
der Unterstützungsbedürftigen den Schulalltag einigermassen meistern können.
Nicht selten kommen damit die "Normalbegabten" zu kurz.
•
Lehrkräfte, die aufgrund der grossen
Heterogenität in den Klassen zunehmend überfordert werden (normalbegabte,
hochbegabte, lernbehinderte, verhaltensauffällige Kinder unterschiedlichen
Alters und mit vielfältigem Migrationshintergrund). Vor lauter administrativem
und organisatorischem Zusatzaufwand können sie ihre Kernaufgabe – das
Vermitteln von Schulstoff – oft nicht mehr zu ihrer Zufriedenheit ausüben. Die
Folge sind Ausfälle mit entsprechendem Kostenaufwand. Darüber hinaus stuft die
Lehrkraft, die sich den gestellten Herausforderungen nicht mehr gewachsen
fühlt, ein Kind eher als "schwierig" und "untragbar" ein –
was nicht selten zur kostentreibenden Einweisung in Sondermassnahmen oder
Sonderschulung führt. Für die Betroffenen bleibt diese Art der Separation nicht
ohne Folgen.
•
Schulgemeinden, die sich für Integrative
Schulung entscheiden, aber bei der Umsetzung sich selber überlassen sind, da
das zuständige Departement weder einen Leitfaden noch eine klare Wegleitung zur
Verfügung stellt. So muss jede Schule vor Ort unzählige Stunden und immense Energien
in Arbeitsgruppen und Begleitgremien investieren für etwas, das eigentlich
zentral erarbeitet und allen zur Verfügung gestellt werden könnte.
Die verschiedenen Förder- und Unterstützungsangebote sind
heute so vielfältig geworden, dass der Aufwand, diese zu organisieren und
aufeinander abzustimmen, von den Lehrern, Schulleitungen, Schulbehörden und
Sonderpädagogen mitunter mehr als Belastung denn als Hilfe empfunden werden.
Entsprechend inflationär entwickelt haben sich die zeitlichen und
bürokratischen Aufwände bezüglich Abklärungen, Koordination und
Bewilligungsverfahren im Zusammenhang mit durch die IS-Schulung verursachten
zusätzlichen Stützmassnahmen/Ressourcenzuteilungen, die unter der BKS-Aufsicht
durchgeführt werden.
Die Integrative Schulung steht heute Schweiz weit auf dem
Prüfstand. Christoph Eymann, Basler Er-ziehungsdirektor und designierter
Präsident der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), hat im
Oktober 2013 gegenüber der "NZZ am Sonntag" Anpassungen angekündigt.
Sie sollen im Frühjahr 2014 nach Erscheinen der Studie zur integrativen Schule
rasch vorgenommen werden. Im Kanton Zürich wurde das sonderpädagogische Konzept
2010 nach harter Kritik zurückgezogen. Im Kanton Solothurn kam es im Dezember
2010 ebenfalls zu einem abrupten Bremsmanöver, als der Kantonsrat mit grosser
Mehrheit eine Verordnung zur flächendeckenden Einführung der integrativen
Schule ablehnte.
Auch eine Studie des Zürcher Volksschulamtes ergab
kürzlich, dass die Lernfortschritte bei integrierenden Schulformen nicht
besser sind als in anderen Klassen (NZZ 31.1.11). Auf die engen Grenzen der
integrativen Schulung verwies in den letzten Jahren auch der Psychologe Allan
Guggenbühl: Wenn man für jedes Kind individuelle Lernziele formuliere, gehe der
Gruppenaspekt verloren, und es bestehe die Gefahr einer Stigmatisierung.
Indizien dafür, dass solche Effekte infolge der Integrationsbemühungen
möglicherweise tatsächlich stattfinden, ergeben sich aus Zahlen der Berner Gesundheitsdirektion.
Dort nimmt die Zahl der Kinder mit Sonderschul-Status in der Regelklasse massiv
zu. Statt Sonderschüler in die Regelklasse zu integrieren, werden so aus
Kindern in der Regelschule Sonderschüler.
Insgesamt scheint mittlerweile auch das Aargauer Modell
vorwiegend Mehrkosten zu verursachen ohne die angestrebten Ziele und den
erwarteten Nutzen zu erreichen.
Ein Vergleich mit andern Kantonen drängt sich darum neben
der eigenständigen Nutzen/Kosten-Analyse auf. Der Kanton Bern zum Beispiel
lässt ebenfalls integrative und separative Schulung zu,
definiert dabei aber klar die Rahmenbedingungen und macht strikte
Leistungsüberprüfungen. Dafür haben die Gemeinden eine höhere
Eigenverantwortung im Bereich des Einsatzes der Massnahmen und Zusatzlektionen.
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