"Technokratischer Selbstläufer verbunden mit ideologisch gefärbter Ökonomielehre", Bild: Avenir Suisse
Umstrittener Lehrplan 21, Ohne Überarbeitung und Redimensionierung droht der Lehrplan 21 zu einem "Murks" zu werden, Avenir Suisse, 15.1. von Rudolf Walser.
Der Lehrplan
21 hat nicht nur eine lange Vor-, sondern auch eine besondere
Entstehungsgeschichte. Als der Souverän 2006 mit der Zustimmung zur neuen
Bildungsverfassung grünes Licht zur Schaffung des «Bildungsraums Schweiz» gab,
erwartete er kaum einen einheitlichen, umfassenden und auf schwer fass- und
messbare Kompetenzen ausgerichteten Lehrplan. Man hoffte wohl einfach, dass der
kantonsübergreifende Wechsel von Schulen ohne Qualitäts- und Zeitverlust und
ohne grosse Aufarbeitung von Schulstoff erleichtert würde.
Technokratischer Selbstläufer
Nach der
Annahme der neuen Bildungsverfassung begannen Experten im Schatten der
Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) weitgehend
unkontrolliert mit der Ausarbeitung des Lehrplans. So entstand ein
technokratisches Werk, das im Lauf der Jahre ständig grösser wurde, weil sich
immer mehr addierte und wahrscheinlich auch niemand mehr den Überblick besass.
Noch 2011 beruhigten die zuständigen Behörden, sie würden sich nur auf wenige,
konkrete und überprüfbare Ziele für das laufende Jahrzehnt verständigen. Diese
Ziele stützten sich auf die in der Verfassung verankerten Eckpfeiler der
Qualität und Durchlässigkeit.
Gesellschaftspolitische Ziele
Umso
überraschender wurde im Juni 2013 ein rund 500-seitiger, harmonisierter
Lehrplan in die Vernehmlassung geschickt. Nicht nur die Detailliertheit
erstaunte, sondern noch mehr die grosse Menge an Kompetenzen und
fächerübergreifenden Themen in den verschiedensten Lebens- und
Gesellschaftsbereichen, welche die Kinder in drei Zyklen bewältigen sollen. Dem
Lehrplan scheint ein auf gesellschaftspolitische Zielvorstellungen
ausgerichtetes Bildungskonzept zugrunde zu liegen. Problematisch ist dieser
Ansatz vor allem für das Verständnis der Funktionsweise der Wirtschaft.
Ideologisch gefärbte Ökonomielehre
So erfreulich
die Aufnahme eines Fachbereichs «Wirtschaft, Arbeit und Haushalt» auf den
ersten Blick ist, so irritierend fällt auf den zweiten Blick dessen
ideologische Färbung auf. Es geht primär nicht darum, die Funktionsweise der
Wirtschaft im Allgemeinen und von Märkten im Besondern zu erklären und zu
verstehen. Vielmehr erhält man den Eindruck, dass es um die Vermittlung einer
konsum- und wachstumskritischen Verhaltensweise geht. Die Ökonomie wird nicht
als Wissenschaft der Knappheit verstanden, die zeigt, wie Märkte viele Probleme
der Güterverteilung oder der Umweltverschmutzung über Preise effizienter lösen
können als über staatliche Markteingriffe und Verbote. Oder wie der Wettbewerb
und ein offenes Handelssystem Innovationen und Wachstum fördern und somit den Fortschritt
– auch in der Dritten Welt – ermöglichen. Das schliesst eine kritische
Auseinandersetzung mit Märkten und der Globalisierung nicht aus. Nur sollte man
vorher den ganzen sozioökonomischen Kontext einigermassen verstehen und wissen,
dass man zwischen der Ökonomie als Wissenschaft und der Moral unterscheiden
muss.
Redimensionierung und Priorisierung
Eine
bildungspolitische Reform kann nur mit Erfolg umgesetzt werden, wenn die
Lehrpersonen dahinter stehen. Heute stellt man mit Ernüchterung fest, dass der
Lehrer-Dachverband gegenüber dem Lehrplan 21 viele Einwände hat. Zwar begrüsst
er die Orientierung an Kompetenzen, aber gleichzeitig wird eine starke
Redimensionierung und Priorisierung gefordert, weil viele Kinder überfordert
würden. Es fehle an einer Abstimmung des Lehrplans mit den Stundentafeln, der
Notengebung und der Lehrerweiterbildung . Schliesslich sei er für Schüler,
Eltern und eine breite Öffentlichkeit kaum verständlich. Es scheint, dass der
Lehrplan nochmals gründlich überarbeitet werden muss. So ist zu befürchten,
dass aus dem Lehrplan 21 letztlich ein« «Murks» wird, an dem sich niemand mehr
recht erfreuen kann.
Grosse Würfe haben es schwer
Es wäre für
die Träger des Bildungssystems eine einmalige Gelegenheit gewesen, die
Volksschule zukunftsfähig und innovativ zu erneuern. Doch grosse Würfe haben es
in der Bildungspolitik offenbar schwer. Nicht viel besser erging es bekanntlich
dem Hochschulraum Schweiz, wo nach einem mehrjährigen Hickhack ein
kompliziertes Hochschulförderungs- und -Koordinationsgesetz entstanden ist, mit
dem niemand wirklich zufrieden ist.
Glücklicherweise
stellen die neuesten PISA-Resultate den Schweizer Schülern im Vergleich mit
Europa (nicht zu den asiatischen Ländern) ein positives Zeugnis aus, so dass
der neue Lehrplan vielleicht gar nicht so wichtig ist. Wichtig ist aber das
Engagement und der Einsatz von gut ausgebildeten und motivierten Lehrerinnen
und Lehrern, denen man nicht nur den nötigen Freiraum gewährt, sondern auch die
gebührende Wertschätzung entgegenbringt.
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