Kein Amokalarm für Stadtzürcher Schulen, NZZ, 16.1. von Jan Hudec
Es sind
Ortsnamen, die sich in den Köpfen eingebrannt haben: Winnenden, Erfurt,
Littleton. Alle drei waren Schauplätze von Amokläufen an Schulen. In Winnenden
verloren 16 Menschen ihr Leben, in Littleton waren es 15, in Erfurt 17. Um
solche Tragödien zu verhindern, leitete die Stadt Zürich seit 2009 diverse
Massnahmen ein. Lehrpersonen lernen etwa, wie sie sich im Notfall verhalten
müssen - nämlich sich im Klassenzimmer zu verbarrikadieren, statt zu flüchten -
oder wie sie verdächtige Verhaltensweisen bei Schülern möglichst früh erkennen
können.
Flächendeckendes
System
Eine Lücke in
diesem Gesamtkonzept fand der Stadtrat indes bei der Alarmierung. Heute hat
jede Schule ein eigenes Konzept, wie intern auf einen Amoklauf aufmerksam
gemacht wird, zum Beispiel per Handy oder per Megafon. Wäre es nach dem Willen
des Stadtrates gegangen, hätte bis 2016 an allen 104 Schulen der Stadt ein
elektronisches Alarmsystem eingerichtet werden sollen, mit dem per Knopfdruck
nicht nur die Lehrerschaft, sondern auch die Polizei vor einem Amoklauf gewarnt
worden wäre. 5,2 Millionen Franken waren für das Projekt veranschlagt, doch die
Mehrheit im Gemeinderat hat am Mittwoch das Vorhaben abgelehnt.
Es war, wie
bei diesem Thema nicht anders zu erwarten, eine emotionale Debatte. Nicht
zuletzt auch deshalb, weil man im Vorfeld eher mit einer Zustimmung gerechnet
hatte, zumal die vorberatende Kommission zum Antrag des Stadtrates ein Ja
empfohlen hatte.
Ruth
Ackermann (cvp.), Sprecherin der Kommissionsmehrheit, betonte, dass es zwar
glücklicherweise in Zürich noch nie zum Ernstfall gekommen sei, dass man aber
trotzdem auch hier einen Amoklauf nie ganz ausschliessen könne. «Deshalb ist es
entscheidend, dass wir die bestehende Sicherheitslücke schliessen.» Dem hielt
Ruth Anhorn (svp.) entgegen, die die Minderheit der Kommission vertrat, dass
sich auch mit einem ausgeklügelten Alarmsystem Amokläufe nicht vollständig
verhindern liessen. Auch wisse man letztlich nie, wie Menschen in
Gefahrensituationen reagierten, der Fluchtreflex sei angeboren.
Falsche
Sicherheit
Auf diese
beiden Voten zum Auftakt folgte eine ausgiebige Grundsatzdebatte darüber, wie
weit man sich Sicherheit erkaufen kann, wo der Sicherheitswahn beginnt und was
die geeigneten Massnahmen wären, um die Schulkinder bestmöglich zu schützen.
Seitens der
Gegner wurde wiederholt eingewandt, dass eine solche Alarmanlage eine falsche
Sicherheit vorgaukle. Roger Tognella (fdp.) beispielsweise bezweifelte, dass
die vielen Stellvertreter, die an den Zürcher Schulen lehrten, im Notfall
wüssten, was zu tun wäre. Andere auf der Gegnerseite, zu denen neben den
Bürgerlichen auch Teile der SP sowie die Mehrheit der AL zählten, führten
grundsätzlichere Argumente an. Isabel Garcia (glp.) sprach von einem Abschieben
der Verantwortung auf ein technisches System: «Unsere Verantwortung wäre es,
der Gewalt im Alltag eine Absage zu erteilen.» Eine verbesserte Prävention
forderte auch Rebekka Wyler (sp.): Ein System, das nur die Kultur der Angst
weiter fördere, sei abzulehnen.
Leben retten
Auch die Befürworter räumten ein, dass es absolute Sicherheit nicht
gebe. «Aber das ist doch noch kein Argument dafür, einfach nichts zu tun»,
sagte Stadtrat Gerold Lauber (cvp.). Ein Alarmsystem könne einen Amoklauf nicht
verhindern, aber den Schaden begrenzen: «Das heisst in diesem Fall Leben
retten.» Auch sein Stadtratskollege Richard Wolff (al.) schaltete sich in die
Debatte ein: «Nur weil wir Brandmelder in Gebäuden haben, leben wir ja auch
nicht in ständiger Angst.» Erfahrungen zeigten, dass neben der Prävention
bauliche Massnahmen entscheidend seien, um besser auf Gewalttaten reagieren zu
können. Die Argumente der Befürworter verfingen jedoch nicht. Der Gemeinderat
lehnte das Alarmsystem mit 77 zu 44 Stimmen deutlich ab.
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