Rico Cathomas ist Dozent und Lehrerbildner für Allgemeine Didaktik und integrale Sprachendidaktik an den Universitäten Freiburg und Bozen. Weiter leitet er das Projekt zur „Einführung der Standardsprache Rumantsch Grischun in den romanischsprachigen Schulen des Kantons Graubünden“ und das Projekt „Schritte in die Mehrsprachigkeit“ in den ladinischen Tälern des Südtirols.
Cathomas ist auch tätig als Kursleiter in der Mehrsprachigkeitsdidaktik.
UK: In einem Interview hast du kürzlich unterschieden zwischen zwei Arten von Sprachenlernen: Für die Schule und fürs Leben. Was meinst du damit?
RC: In der einschlägigen Literatur wird zum Beispiel zwischen „street and school language” (Baker) oder von “BICS and CALP” (Cummins) oder zwischen “low and high Varietät” gesprochen. Dabei werden unterschiedliche Fähigkeiten verlangt, z.B. bei ersteren eher Sprachfluss, Kompetenzen im Hören und Sprechen und bei den anderen eher Sprachgenauigkeit und Kompetenzen im Lesen und Schreiben. Daran ist meiner Ansicht auch der so genannte kommunikative Unterricht an den Schulen mehr oder minder gescheitert, weil Kommunikation immer auch kontextsensitiv ist. D.h. wenn man in der Schule Sprache lernt, so lernt man dort auch immer für die Schule, resp. den schulischen Alltag.
UK: Was ist falsch daran, wenn man sagt, dass Sprachen lernen an der Volksschule grundsätzlich immer direkt mit dem Alltag zu tun haben sollte?
RC:Gar nichts ist falsch daran, aber dazu erst eine Präzisierung: Ich würde lieber von schulischem und ausserschulischen Alltag sprechen. Und der unmittelbarste Alltag in der Schule ist die Schule selber. Der schulische Alltag ist heute mindestens so bedeutsam wie alle anderen sprachlichen Alltage, resp. Sprachdomänen. Unsere Kinder verbringen immer mehr Lebenszeit in der Schule. Insofern ist das ihr direktester Alltag. Ich plädiere für eine Emanzipierung der Schule, als ein eigenständiger und bedeutsamer Lebensraum, der das Recht hat auf eine eigene schulspezifische Sprache, wie es andere Domänen wie Familie, Beruf, oder Kirche auch haben.
UK: Früher hat man Sprachen für die Schule gelernt – mit dem Resultat, dass man nach mehreren Jahren Unterricht sehr wenig damit anfangen konnte. Willst du zurück zu diesen Zeiten?
RC: Ganz und gar nicht. Nur sind die kommunikativen Ergebnisse des Fremdsprachenunterrichts immer noch sehr bescheiden. Fast alle meine Studierenden sagen immer wieder, sie hätten in drei Monaten Amerikaaufenthalt mehr Englisch gelernt, als in ihrem gesamten Schulunterricht. Und da sieht man auch einen der Brüche im heutigen Sprachunterricht: Alle sprechen von kommunikativem Unterricht, aber die meisten Prüfungen, die gemacht werden, haben wenig mit kommunikativen Fähigkeiten zu tun. Nach wie vor wird vor allem Sprachgenauigkeit getestet und wenig die ausserschulische Alltagstauglichkeit der Sprachkompetenz der Schüler. Ich habe dies beispielsweise in einem Artikel der BZL/2007, Heft 2 unter dem Titel: „Neue Tendenzen in der Fremdspachendidaktik – das Ende der kommunikativen Wende“ genauer ausgeführt.
UK: Findest du nicht, es wäre besser den real existierenden Fremdsprachenunterricht zu verbessern, als mit dem (noch nicht existierenden!) Konzept der Mehrsprachigkeitsdidaktik diese Baustelle einfach stehen zu lassen?
RC:Da bin ich ganz bei dir. Meine Hauptthese als Pädagogischer Psychologe ist: „Guter Unterricht ist auch guter Sprachenunterricht“. D.h. die Basis guten Sprachunterrichts sind allgemein didaktische Prinzipien von gutem Unterricht: Engagement, Freude, Vorbildfunktion, Motivieren können. Adaptivität und gelungene Klassenführung sind die Grundlage sowohl für wirksamen Mathematikunterricht wie auch für guten Sprachunterricht. In meinen Schulbesuchen habe ich immer wieder festgestellt, dass viele Lehrer mehr an ihren Defiziten bspw. in der Gruppenführung oder in der Einfältigkeit ihres Unterrichts scheitern, als primär an ihrer Sprachkompetenz (wobei ein hohes Fachwissen sicherlich auch von grossem Vorteil ist).
UK: In Sachen bilingualem Unterricht meinst du, dass es für den Lernerfolg keinen Unterschied mache, ob die Lehrperson Muttersprachlerin ist oder nicht. Da bin ich ganz gleicher Meinung mit dir. Wie wichtig sind dir gute Sprachkenntnisse?
RC: Wenn ich wählen müsste, zwischen einer engagierten Lehrperson mit all den vorher genannten positiven Attributen, oder einer Lehrperson, die nur hervorragende Fremdsprachenkenntnisse hätte, würde ich erstere wählen. Im Idealfall hätte die Lehrperson natürlich zusätzlich hervorragende Fremdsprachenkenntnisse. Begeisterungsfähigkeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Nicht zwingend ist es, die zu unterrichtende Fremdsprache perfekt zu beherrschen. Die Forschung konnte keinen Unterschied feststellen zwischen dem Lernerfolg der Lehrpersonen, welche eine Sprache unterrichten, die ihre Muttersprache ist, und solchen, die diese als Zweitsprache erworben haben. Im Gegenteil, wer eine Sprache selber lernen musste, hat evt. mehr Verständnis für die Schwierigkeiten der Schüler. Daneben sind dieselben allgemeinen didaktischen Prinzipien gefragt, wie in jedem anderen Fach.
UK: Die Fremdsprachen in der Primarschule sind umstritten. Niemand hat zwar Daten, aber es fällt auf, dass sehr viele Schüler sagen, sie könnten nach drei oder mehr Jahren praktisch kein Italienisch. Ein ähnlicher Befund lässt sich auch für die Kantone mit Französisch als Fremdsprache machen. Woran liegt das? An den Schülern? Den Lehrern?
Die gleiche Befunde würdest Du wohl auch finden, wenn Du Deutschlehrer nach den Deutschkompetenzen oder Mathelehrer bei den Mathekompetenzen ihrer Schüler befragen würdest. Ich glaube, die Schule leidet im Moment an einer gewissen Zielüberfrachtung und draus entstand eine gewisse allgemeine Orientierungslosigkeit. Diese Verunsicherung hören wir von den Eltern, von den Schülern und von den Lehrpersonen. Von daher ist deine hier angeregte „Debatte zu Bildungsfragen“ notwendiger denn je und hat meine volle Unterstützung!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen