27. April 2015

Schulversuch soll mehr Ruhe bringen

Auch im Kanton Bern läuft ein Schulversuch, der die Anzahl Unterrichtender pro Klasse verringern soll. Am Oberstufenzentrum Wiedlisbach ist man gespannt und freut sich auf das bessere Klima. 




Die Schulleitung ist überzeugt, dass sich das bessere Klima auf die Schüler und die Eltern überträgt, Bild: Felix Gerber

Lehrerteams für Ruhe im Klassenzimmer, Berner Zeitung, 27.4. von Sandra Rutschi



Ab August wird in zehn Schulen im Kanton Bern einiges anders laufen als heute. Fünf deutsch- und fünf französischsprachige Schulen nehmen an einem Versuch des Kantons teil (siehe Kasten). Die Grundidee: Mit Lehrerteams soll die Anzahl Lehrpersonen pro Klasse reduziert werden. Das Oberstufenzentrum Wiedlisbach führt die Teams als einzige Schule über alle Klassen hinweg. «Bei unserem Schulmodell ist das gar nicht anders möglich», sagt Schulleiter Ernst Franz Stalder. Er hat gemeinsam mit Myriam Gessler, ab August Stellvertreterin der Schulleitung, das Konzept für den Wiedlisbacher Schulversuch entworfen.
Die rund 160 Schülerinnen und Schüler werden in Wiedlisbach nach dem Modell 3B Spiegel unterrichtet: Wer von den drei Hauptfächern Deutsch, Französisch und Mathematik zwei auf Sekundarschulniveau besucht, gilt als Sekundarschüler – und umgekehrt. Im 7. und im 8.Schuljahr werden drei Parallelklassen unterrichtet, ab der 9.Klasse nur noch zwei – weil Schüler ans Gymnasium gewechselt haben.
Bis zu elf Lehrer unterrichten pro Klasse
Weil mit dem Modell 3B die Klassengrössen flexibler gestaltet werden können, kostet dies den Schulverband weniger Geld. Da aber unter anderem im Niveauunterricht viele Fachlehrer nötig sind, ist die Zahl der Lehrkräfte pro Klasse hoch. Teilweise sind es elf unterschiedliche Personen pro Klasse. «Das ist vor allem für Kinder schwierig, die eine ruhige Lernatmosphäre benötigen», sagt Stalder. Sie sind mit den ständigen Wechseln überfordert. Bei einigen äussert sich das in disziplinarischen Problemen, andere werden vergesslich.
Aber auch Klassenlehrer haben es schwer: Sie unterrichten zum Teil nur selten in ihrer Stammklasse. Myriam Gessler zum Beispiel stand im letzten Schuljahr nur während dreier Lektionen pro Woche vor ihrer Stammklasse.
Dank dem Schulversuch soll die Anzahl Lehrkräfte pro Klasse um ein bis zwei Personen reduziert werden. Grundgedanke des Konzepts ist, dass die Lehrer künftig in Jahrgangsteams von sieben bis acht Personen zusammenarbeiten. Eine Teamleitung und zwei bis drei Mitverantwortliche teilen sich ein Ko-Klassenlehramt für die Klassen im jeweiligen Jahrgang. In diesem Team werden die Aufgaben nach Fähigkeiten verteilt: Wer besonders gut Elterngespräche führen kann, soll vor allem das machen. Wer eine Stärke im Konfliktmanagement hat, kann diese ausspielen.
In einer Datenbank werden Dokumentationen über jeden Schüler erstellt, damit der Austausch unter den Lehrern funktioniert.
Stalder und Gessler hoffen, so die Lehrer zu entlasten, zu stärken und ihnen mehr Verantwortung zu überlassen. Entlasten in dem Sinne, dass etwa bei Abwesenheit des Klassenlehrers die Zuständigkeiten klar geregelt sind. Und mehr einbinden insofern, als die Klassenlehrerfunktion auf mehrere Personen verteilt ist.
Die Neuntklässler sollen in Workshops lernen
Obwohl bis zum Start des Versuchs noch vier Monate vergehen, bereiten sich die Lehrer bereits vor. Auf Flipcharts im Lehrerzimmer haben sie ihre Stärken und Interessen aufgeschrieben – auch im fachlichen und im nebenberuflichen Bereich. Denn das Konzept sieht vor, dass Neuntklässler in den Hauptfächern vermehrt in Workshops oder Modulen unterrichtet werden. So, dass künftige KV-Lernende im Deutsch zum Beispiel Grammatik und Textformen vertiefen, während sich andere etwa mit Literatur auseinandersetzen. In den Workshops sollen sich die Lehrkräfte nach ihren Fähigkeiten einbringen können.
«Insgesamt wird das Unterrichten für die Lehrer so sehr attraktiv», sagt Myriam Gessler. Natürlich gebe es auch Kollegen, die dem Ganzen skeptisch gegenüberstünden, räumt Stalder ein. Doch er ist überzeugt, dass während des Versuchs Ängste abgebaut werden können.
«Aufbruchstimmung im Kollegium»
Und was werden die Schüler vom Schulversuch mitbekommen? Stalder hofft, dass mehr Ruhe in die Klassenzimmer einkehrt. Bereits jetzt würden die Schüler das gute Klima im Kollegium und die Aufbruchstimmung spüren. Stalder ist überzeugt, dass sich dieses Klima auf die Schüler und auch die Eltern überträgt. Diese werden im Juni mit einem Brief über den Versuch informiert.


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