19. Mai 2021

Schlechte Luft bedroht ungeimpfte Schüler

In zwei von drei Schweizer Schulzimmern ist die Qualität der Atemluft ungenügend. Zu diesem Befund kam eine Studie, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im März 2019 veröffentlichte – zu einer Zeit, als von der nahenden Corona-Pandemie noch niemand etwas ahnte. Jetzt mehren sich die Stimmen, die einen besseren Schutz der Kinder und Jugendlichen vor der buchstäblich dicken Luft in vielen Schulstuben fordern.

Luft in den Schulzimmern wird zum Problem, Tages Anzeiger, 18.5. von Fabian Renz

Auf die Schüler könnte nämlich einiges zukommen. Der Bundesrat will in den nächsten Monaten die Corona-Massnahmen schrittweise aufheben – wobei das Konzept darauf fusst, dass bis Sommer alle Erwachsenen Zugang zur Impfung haben. Bis das aber auch für Minderjährige vollumfänglich gilt, wird womöglich noch viel Zeit vergehen. 

Der Bundesrat rechnet denn auch damit, dass Schulen zu «Ausbruchsherden» werden, wie er in einem Konzeptpapier schreibt. Die Risiken werden in Kauf genommen, zumal Corona-Infektionen bei Jungen in der Regel milder verlaufen.

Lüften leicht gemacht

Der grünliberale Nationalrat Martin Bäumle aus Zürich stört sich an dieser Haltung. In zwei neuen Vorstössen weist er den Bundesrat darauf hin, dass auch infizierte Kinder von den gefürchteten Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung («Long Covid») betroffen seien. Auch das sogenannte Pims-Syndrom, eine gefährliche Überreaktion des Immunsystems, könne bei Kindern auftreten. Bäumle fordert die Regierung auf, die Covid-Übertragung durch Aerosole (Schwebeteilchen aus Atemwegsflüssigkeiten) ernster zu nehmen. 

Als einfaches, probates Mittel gilt dabei die Messung der Luftqualität im Zimmer. Zwar ist es nicht möglich, Coronaviren direkt in der Luft nachzuweisen. Messbar ist indes die CO2-Konzentration. Sie gilt als verlässlicher Indikator für die Aerosoldichte: Werden bestimmte Werte überschritten, ist das Öffnen der Fenster angesagt. «CO2-Sensoren stellen ein zu wenig genutztes Mittel im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie dar», hielt denn auch die Science-Taskforce in einer Empfehlung vom April fest. «Ihr Einsatz könnte dabei helfen, Schulen auch im Falle einer sich verschlechternden epidemiologischen Situation offen zu halten.»

Bei den Lehrkräften ist man froh, dass das Problem aufs Tapet kommt. Christian Hugi, Unterstufenlehrer in der Stadt Zürich, macht mit Luftmessungen bereits gute Erfahrungen. «In unserem Schulhaus erhielten wir im Winter Messgeräte von einer Firma geschenkt», sagt Hugi, der den Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) präsidiert. 

Die Geräte seien hilfreich: «Wir brauchen uns fürs Lüften jetzt nicht einfach nur auf unser Gefühl zu verlassen. Auch die Schülerinnen und Schüler sind aufmerksam und weisen darauf hin, wenn das Gerät eine zu hohe CO2-Konzentration anzeigt. Dann lüften wir – oder schliessen, wenn es jemandem zu kalt wird und die Anzeige wieder grün ist.» Hugi wünschte sich, dass die Behörden das Thema ernster nehmen würden. Der ZLV fordere schon lange eine Überwachung und Verbesserung der Raumluftqualität. Es sei angezeigt, dass für jedes Schulzimmer ein Messgerät zur Verfügung stehe. Ein Nachteil seien die aufgesplitterten Zuständigkeiten, sagt Hugi: «Das Schulwesen obliegt dem Kanton, für die Schulhäuser dagegen sind die Gemeinden verantwortlich. Da fühlt sich dann niemand richtig in der Pflicht.»

Bei der Berner Lehrerschaft tönt es ähnlich. «Man hat sich um die Luftqualität in den Schulzimmern lange zu wenig gekümmert», sagt Anna-Katharina Zenger vom Berufsverband Bildung Bern. Ihr Verband vermiete Messgeräte an Schulen und erhalte positive Rückmeldungen, sagt Zenger. «Besser wäre es natürlich, man könnte effiziente Lüftungssysteme in die Schulhäuser einbauen. Aber kurzfristig ist das leider nicht realisierbar. Zumal der Kanton den Gemeinden nichts vorschreiben wird, wofür er dann auch bezahlen müsste.»

Schulen als Corona-Horte

Werden Kantone und Bund der stickigen Luft in den Schulzimmern in der nächsten Zeit mehr Aufmerksamkeit schenken? Die Erziehungsdirektorenkonferenz liess gestern eine entsprechende Anfrage unbeantwortet. Das BAG wiederum hält fest, dass das «regelmässige und effiziente Lüften» zu den für Schulen offiziell empfohlenen Massnahmen gehöre. Es betont aber auch: «In der Schweiz sind die Kantone und Gemeinden für Schulbauten zuständig.»

Klar scheint, dass die Schulen als Corona-Horte noch von sich reden machen werden. Die Website Schulcluster.ch verzeichnet Dutzende von Schulen in der ganzen Schweiz, bei denen derzeit mindestens eine Klasse in Quarantäne ist.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen