In zwei von drei Schweizer Schulzimmern ist die Qualität der Atemluft ungenügend. Zu diesem Befund kam eine Studie, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im März 2019 veröffentlichte – zu einer Zeit, als von der nahenden Corona-Pandemie noch niemand etwas ahnte. Jetzt mehren sich die Stimmen, die einen besseren Schutz der Kinder und Jugendlichen vor der buchstäblich dicken Luft in vielen Schulstuben fordern.
Luft in den Schulzimmern wird zum Problem, Tages Anzeiger, 18.5. von Fabian Renz
Auf die Schüler
könnte nämlich einiges zukommen. Der Bundesrat will in den nächsten Monaten die
Corona-Massnahmen schrittweise aufheben – wobei das Konzept darauf fusst, dass
bis Sommer alle Erwachsenen Zugang zur Impfung haben. Bis das aber auch für
Minderjährige vollumfänglich gilt, wird womöglich noch viel Zeit
vergehen.
Der Bundesrat
rechnet denn auch damit, dass Schulen zu «Ausbruchsherden» werden, wie er in
einem Konzeptpapier schreibt. Die Risiken werden in Kauf genommen, zumal
Corona-Infektionen bei Jungen in der Regel milder verlaufen.
Lüften leicht gemacht
Der grünliberale
Nationalrat Martin Bäumle aus Zürich stört sich an dieser Haltung. In zwei
neuen Vorstössen weist er den Bundesrat darauf hin, dass auch infizierte Kinder
von den gefürchteten Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung («Long Covid»)
betroffen seien. Auch das sogenannte Pims-Syndrom, eine gefährliche
Überreaktion des Immunsystems, könne bei Kindern auftreten. Bäumle fordert die
Regierung auf, die Covid-Übertragung durch Aerosole (Schwebeteilchen aus Atemwegsflüssigkeiten)
ernster zu nehmen.
Als einfaches,
probates Mittel gilt dabei die Messung der Luftqualität im Zimmer. Zwar ist es
nicht möglich, Coronaviren direkt in der Luft nachzuweisen. Messbar ist indes
die CO2-Konzentration. Sie gilt als verlässlicher Indikator für die
Aerosoldichte: Werden bestimmte Werte überschritten, ist das Öffnen der Fenster
angesagt. «CO2-Sensoren stellen ein zu wenig genutztes Mittel im Kampf gegen
die Covid-19-Pandemie dar», hielt denn auch die Science-Taskforce in einer
Empfehlung vom April fest. «Ihr Einsatz könnte dabei helfen, Schulen auch im
Falle einer sich verschlechternden epidemiologischen Situation offen zu
halten.»
Bei den Lehrkräften
ist man froh, dass das Problem aufs Tapet kommt. Christian Hugi,
Unterstufenlehrer in der Stadt Zürich, macht mit Luftmessungen bereits gute
Erfahrungen. «In unserem Schulhaus erhielten wir im Winter Messgeräte von einer
Firma geschenkt», sagt Hugi, der den Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband
(ZLV) präsidiert.
Die Geräte seien
hilfreich: «Wir brauchen uns fürs Lüften jetzt nicht einfach nur auf unser
Gefühl zu verlassen. Auch die Schülerinnen und Schüler sind aufmerksam und
weisen darauf hin, wenn das Gerät eine zu hohe CO2-Konzentration anzeigt. Dann
lüften wir – oder schliessen, wenn es jemandem zu kalt wird und die Anzeige
wieder grün ist.» Hugi wünschte sich, dass die Behörden das Thema ernster
nehmen würden. Der ZLV fordere schon lange eine Überwachung und Verbesserung
der Raumluftqualität. Es sei angezeigt, dass für jedes Schulzimmer ein
Messgerät zur Verfügung stehe. Ein Nachteil seien die aufgesplitterten
Zuständigkeiten, sagt Hugi: «Das Schulwesen obliegt dem Kanton, für die
Schulhäuser dagegen sind die Gemeinden verantwortlich. Da fühlt sich dann
niemand richtig in der Pflicht.»
Bei der Berner
Lehrerschaft tönt es ähnlich. «Man hat sich um die Luftqualität in den
Schulzimmern lange zu wenig gekümmert», sagt Anna-Katharina Zenger vom
Berufsverband Bildung Bern. Ihr Verband vermiete Messgeräte an Schulen und
erhalte positive Rückmeldungen, sagt Zenger. «Besser wäre es natürlich, man
könnte effiziente Lüftungssysteme in die Schulhäuser einbauen. Aber kurzfristig
ist das leider nicht realisierbar. Zumal der Kanton den Gemeinden nichts
vorschreiben wird, wofür er dann auch bezahlen müsste.»
Schulen als Corona-Horte
Werden Kantone und
Bund der stickigen Luft in den Schulzimmern in der nächsten Zeit mehr
Aufmerksamkeit schenken? Die Erziehungsdirektorenkonferenz liess gestern eine
entsprechende Anfrage unbeantwortet. Das BAG wiederum hält fest, dass das
«regelmässige und effiziente Lüften» zu den für Schulen offiziell empfohlenen
Massnahmen gehöre. Es betont aber auch: «In der Schweiz sind die Kantone und
Gemeinden für Schulbauten zuständig.»
Klar scheint, dass
die Schulen als Corona-Horte noch von sich reden machen werden. Die Website
Schulcluster.ch verzeichnet Dutzende von Schulen in der ganzen Schweiz, bei
denen derzeit mindestens eine Klasse in Quarantäne ist.
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