Was seit sechs Jahren an diversen Schulen in der Stadt Zürich getestet wird, soll bald die Norm werden: Stadtrat und Schulpflege wollen ab dem Schuljahr 2023/24 alle Schulen in freiwillige Tagesschulen überführen. Das hat der Stadtrat an seiner Sitzung am Mittwoch beschlossen, wie er mitteilt. Nächstes Jahr soll das Volk definitiv über die Einführung befinden.
Alle Kinder sollen in der Schule essen, Tages Anzeiger, 15.4. von Ev Manz und Corsin Zander
Weil nicht alle Schulbauten schon auf Tagesschulen
ausgerichtet sind, wird schrittweise auf das neue Regime umgestellt. 2023
folgen die ersten 5 von über 80 verbleibenden Schulen, an denen die Tagesschule
bis 2031 eingeführt werden soll.
Die Einführung dürfte nach dem für die Stadt Zürich
definierten Modell erfolgen. Dieses berücksichtigt Erkenntnisse aus den
Evaluationen und bisherige Erfahrungen der Pilotschulen. Neu sollen offene und
unentgeltliche Betreuungsangebote bis 15.30 Uhr hinzukommen.
Mittagessen wird teurer
Um die grossen Zusatzkosten für die Tagesschule zu
begrenzen, werde der Einheitstarif angepasst, teilt die Stadt mit. Für Familien
mit tiefer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beträgt der Mindesttarif 4.50
Franken, der Maximaltarif für die gebundenen Mittage wird von 6 auf 9 Franken
erhöht. Dabei entfallen 7 Franken auf das Essen und 2 Franken auf die
Infrastrukturnutzung.
An den zusätzlichen Kosten für die Mittagessen stört sich
die SP, wie sie in einer Mitteilung schreibt. Die Volksschule müsse kostenlos
sein. «Dafür werden wir uns im Gemeinderat einsetzen», wird Gemeinderätin
Ursula Näf zitiert. Ausserdem fordert die SP eine Betreuung aller Kinder bis 16
Uhr.
«Wir haben uns an den effektiven Kosten für das Mittagessen
orientiert», sagt der zuständige Stadtrat Filippo Leutenegger. Die gesamten
Betreuungskosten trage die Stadt schon heute. Im neuen System würden die
Mittage die Stadt ab dem Schuljahr 2030/31 jährlich rund 75 Millionen Franken
mehr kosten. Unterstützt wird Leutenegger von seiner Partei. Die FDP zeigt sich
zufrieden mit dem Plan und schreibt, die Schule müsse als Bildungsinstitution
unentgeltlich sein, «die Kosten für die Verpflegung sollen aber teilweise von
den Eltern übernommen werden». Die «Gratis-Mentalität von Links-Grün» lehne die
Partei ab.
Rückhalt in der Bevölkerung
Das Pilotprojekt «Tagesschule 2025» wird in Zürich seit
sechs Jahren erfolgreich erprobt. 2016 startete die Stadt in einer ersten Phase
mit sechs Schulen. Nachdem sich in einer Volksabstimmung im Juni 2018 eine
grosse Mehrheit (77,3 Prozent Ja-Stimmen) für eine zweite Phase des Projekts
ausgesprochen hat, werden seit 2019 und bis Ende 2022 weitere 24 Pilotschulen
in eine Tagesschule überführt.
In der Tagesschule bleiben die Schülerinnen und Schüler ab
dem zweiten Kindergartenjahr an Tagen mit Nachmittagsunterricht über Mittag in
der Schule. Während der 80-minütigen Mittagspause erhalten sie eine warme,
ausgewogene Mahlzeit, die je nach lokalen Gegebenheiten gestaffelt eingenommen
werden kann. Diese Zeit könne an fast allen Schulen eingehalten oder aus
betrieblichen Gründen bis zu 90 Minuten verlängert werden, sagt Leutenegger:
«Widerstand dagegen gibt es kaum.» Dies zeigten Evaluationen der
Pilotphasen.
Anders klingt es im Gemeinderat, wo es sowohl rechts als
auch links kritische Stimmen gibt. «Wir sind nicht grundsätzlich gegen die
Tagesschule, aber sie muss freiwillig bleiben», sagt SVP-Gemeinderat Stefan
Urech. Sei die Zeit für die Verpflegung zu kurz, zwinge man die Kinder, über
Mittag in der Tagesschule zu bleiben. Dazu gibt es auch Widerstand einzelner
Eltern, die kürzlich eine Petition lanciert haben.
5 Betreuende für 60 Kinder
Walter Angst von der AL weist auf die Qualität der Betreuung
hin. Einerseits seien 80 Minuten sehr kurz, andererseits müsse auch
sichergestellt werden, dass die Kinder wirklich betreut und über Mittag nicht
abgefertigt werden. Momentan rechne der Stadtrat mit 5 Personen pro 60 Kinder.
Dies sei sehr knapp.
Ausserdem fordert Angst, dass die Betreuungspersonen nicht
einfach nur Aufsicht halten, sondern die Kinder auch fachlich betreuen, mit
ihnen etwa Hausaufgaben machen. «Dafür muss das Personal entsprechend
ausgebildet sein», sagt Angst.
Ähnlich klingt es bei den Grünen: «Für die
Chancengerechtigkeit ist ein guter Betreuungsschlüssel wichtig», schreiben sie
in einer Mitteilung. Weiter stellen sie räumliche Anforderungen an die Tagesschulen.
Kinder sollten die Möglichkeit erhalten, sich zurückziehen zu können. «Kinder
haben unterschiedliche Bedürfnisse, und manche brauchen zwischendurch Momente
der Ruhe», schreiben die Grünen.
Die Weisung des Stadtrats über die flächendeckende Einführung
der Tagesschule wird nun noch in der gemeinderätlichen Kommission und dann im
Parlament diskutiert. Es ist durchaus denkbar, dass da noch Anpassungen zum
Plan des Stadtrats vorgenommen werden.
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