Der Gewerkschaftsbund jubelt – Corona hin oder her. Ein Ziel, das er seit langem anvisiert, erscheint trotz Krise und Rekordverschuldung greifbarer denn je: mehr Bundesgelder für die familienexterne Kinderbetreuung! Die Bildungskommission (WBK) des Nationalrats will das ursprünglich als befristet deklarierte, aber immer wieder verlängerte Impulsprogramm zur Krippenförderung in eine Dauerinstitution überführen und hat eine entsprechende Initiative eingereicht.
Erziehung: Bitte nicht als Service public! NZZ, 2.3. von Claudia Wirz
Höchste Zeit sei es dafür, schreibt der Gewerkschaftsbund,
und geradezu ungeheuerlich erscheint es ihm, dass es im Jahr 2021 im Leben
einer Familie noch immer Überreste privater Zuständigkeiten gibt, dass Eltern
für die familienexterne Betreuung ihrer Kinder noch immer etwas bezahlen
müssen, dass Grosseltern «in Gratisarbeit» Kinder hüten müssen. «Viel zu oft
organisieren die Familien die Kinderbetreuung privat», schreibt der Gewerkschaftsbund.
Jetzt soll der Staat ran!
Kindererziehung im Kollektiv, als «gesellschaftliche
Aufgabe» im Sinne des Service public: Diese Ansicht, die seltsamerweise der
Arbeitgeberverband zumindest partiell teilt, lässt tief blicken, welchen
Stellenwert die Familie als privater Rückzugsort heute noch hat. In den letzten
Jahren haben sich die Erwartungen an die familienexterne Kinderbetreuung
verschoben. Zu Beginn des Impulsprogramms, das als Anschubfinanzierung
deklariert worden war, ging es zumindest vordergründig darum, den damals
bestehenden Mangel an Betreuungsplätzen zu beheben und damit Berufskarrieren
von Müttern zu erleichtern. Darüber, ob der Staat dafür die richtige Instanz
ist, liess sich allerdings schon damals trefflich streiten.
Jetzt, da der Mangel passé ist, soll die
«Anschubfinanzierung» weiter sprudeln. Zur Rechtfertigung dienen nun
sozialpolitische und pädagogische Argumente. Die Fremdbetreuung in der Krippe
wird zum quasi existenziellen und einzigen Ort wahrer Chancengleichheit und
verlässlicher Frühförderung verklärt. Den Institutionen ist mehr zu trauen als
den Eltern, die sich im Schutz des Privaten kaum kontrollieren lassen und
dadurch grundsätzlich suspekt sind. Hingegen ist die kollektive Fremdbetreuung
durch Profis und mit vorgefertigten pädagogischen Konzepten scheint’s ohne Fehl
und Tadel. Das ist ein wahres Fest für all die Experten, Gremien, Kommissionen
oder NGO, die im subventionsgeschwängerten Markt der Frühförderung mitmischen,
auf dass aus den lieben Kleinen dereinst tüchtige, gendersensible Grosse
werden, die ordentlich Steuern und AHV-Beiträge zahlen und nachhaltig
konsumieren.
Ob die familienexterne Frühförderung tatsächlich solch
vermeintlichen Segen bringt? Eine ökonomische Beweisführung über
volkswirtschaftliche Renditen der Frühförderung seien «Kaffeesatzleserei»,
sagte in diesen Spalten kein Geringerer als der ehemalige Basler
Erziehungsdirektor Christoph Eymann, der sich selber in diesem Bereich
engagiert. Eines jedoch ist jetzt schon sicher: Wer die Kindererziehung an den
Service public delegiert, hat das eigenverantwortliche Individuum und die
Familie längst abgeschrieben.
Claudia Wirz ist freie Journalistin und
Autorin.
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