7. März 2021

Die Krippe als verklärter Ort der Chancengerechtigkeit

Der Gewerkschaftsbund jubelt – Corona hin oder her. Ein Ziel, das er seit langem anvisiert, erscheint trotz Krise und Rekordverschuldung greifbarer denn je: mehr Bundesgelder für die familienexterne Kinderbetreuung! Die Bildungskommission (WBK) des Nationalrats will das ursprünglich als befristet deklarierte, aber immer wieder verlängerte Impulsprogramm zur Krippenförderung in eine Dauerinstitution überführen und hat eine entsprechende Initiative eingereicht.

Erziehung: Bitte nicht als Service public! NZZ, 2.3. von Claudia Wirz

Höchste Zeit sei es dafür, schreibt der Gewerkschaftsbund, und geradezu ungeheuerlich erscheint es ihm, dass es im Jahr 2021 im Leben einer Familie noch immer Überreste privater Zuständigkeiten gibt, dass Eltern für die familienexterne Betreuung ihrer Kinder noch immer etwas bezahlen müssen, dass Grosseltern «in Gratisarbeit» Kinder hüten müssen. «Viel zu oft organisieren die Familien die Kinderbetreuung privat», schreibt der Gewerkschaftsbund. Jetzt soll der Staat ran!

Kindererziehung im Kollektiv, als «gesellschaftliche Aufgabe» im Sinne des Service public: Diese Ansicht, die seltsamerweise der Arbeitgeberverband zumindest partiell teilt, lässt tief blicken, welchen Stellenwert die Familie als privater Rückzugsort heute noch hat. In den letzten Jahren haben sich die Erwartungen an die familienexterne Kinderbetreuung verschoben. Zu Beginn des Impulsprogramms, das als Anschubfinanzierung deklariert worden war, ging es zumindest vordergründig darum, den damals bestehenden Mangel an Betreuungsplätzen zu beheben und damit Berufskarrieren von Müttern zu erleichtern. Darüber, ob der Staat dafür die richtige Instanz ist, liess sich allerdings schon damals trefflich streiten.

Jetzt, da der Mangel passé ist, soll die «Anschubfinanzierung» weiter sprudeln. Zur Rechtfertigung dienen nun sozialpolitische und pädagogische Argumente. Die Fremdbetreuung in der Krippe wird zum quasi existenziellen und einzigen Ort wahrer Chancengleichheit und verlässlicher Frühförderung verklärt. Den Institutionen ist mehr zu trauen als den Eltern, die sich im Schutz des Privaten kaum kontrollieren lassen und dadurch grundsätzlich suspekt sind. Hingegen ist die kollektive Fremdbetreuung durch Profis und mit vorgefertigten pädagogischen Konzepten scheint’s ohne Fehl und Tadel. Das ist ein wahres Fest für all die Experten, Gremien, Kommissionen oder NGO, die im subventionsgeschwängerten Markt der Frühförderung mitmischen, auf dass aus den lieben Kleinen dereinst tüchtige, gendersensible Grosse werden, die ordentlich Steuern und AHV-Beiträge zahlen und nachhaltig konsumieren.

Ob die familienexterne Frühförderung tatsächlich solch vermeintlichen Segen bringt? Eine ökonomische Beweisführung über volkswirtschaftliche Renditen der Frühförderung seien «Kaffeesatzleserei», sagte in diesen Spalten kein Geringerer als der ehemalige Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann, der sich selber in diesem Bereich engagiert. Eines jedoch ist jetzt schon sicher: Wer die Kindererziehung an den Service public delegiert, hat das eigenverantwortliche Individuum und die Familie längst abgeschrieben.

Claudia Wirz ist freie Journalistin und Autorin.

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