Wie gut haben Schülerinnen und Schüler im Lockdown gelernt?
- Eine Frage, die Bildungsfach leute, Lehrpersonen und Eltern nach wie vor
umtreibt. Bisherige Studien dazu basierten lediglich auf Umfragen. Jetzt
belegen Forscher der britischen Universität Oxford erstmals anhand
tatsächlicher Leistungen von Primarschülern vor und nach dem Lockdown: Der
Lernfortschritt blieb rund 20 Prozent unter dem erwarteten Wert.
Ähnliche Befunde in der Schweiz
Die Studie basiert auf Daten aus den Niederlanden, wo alle
Primarschülerinnen und -schüler im Januar und vor Schuljahresende im Sommer in
den Fächern Mathematik, Lesen und Schreiben einem landesweiten Test unterzogen
werden: «Wir haben die Testergebnisse von über 100’000 Schulkindern zwischen
dem 7. und 11. Altersjahr vor und nach dem Lockdown untersucht und deren Noten
mit den Ergebnissen in den vorherigen Jahren verglichen», sagt Mitautor Arun
Frey im Videogespräch.
Die Autoren konnten messen, dass die Schüler im Vergleich zu
den vorherigen Jahren rund drei Prozentpunkte schlechter abgeschnitten haben;
der Lernfortschritt blieb demnach rund 20 Prozent unter dem erwarteten Wert:
«Das heisst, dass die Schüler im Schnitt etwa ein Fünftel weniger gelernt haben
als in einem normalen Schuljahr - was genau der Zeit entspricht, während der
die Schulen geschlossen waren», sagt Frey.
Mit anderen Worten: Praktisch jede Stunde, die die Kinder
nicht in der Schule verbrachten, war eine verlorene Stunde.
Noch besorgniserregender ist laut dem Studienautor der
zweite Befund, dass nämlich nicht alle Kinder gleich schlecht lernten. Vor
allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien seien ins Hintertreffen
geraten: «Bei Kindern mit Eltern ohne Studium fällt der Lernverlust nochmals um
50 Prozent höher aus als bei anderen Schülern.»
Dieses Ergebnis deckt sich teilweise mit den Resultaten von
Untersuchungen wie dem «Schulbarometer» der Pädagogischen Hochschule Zug, die
jedoch lediglich auf Befragungen von Schülern, Eltern oder Lehrpersonen
basieren. Demnach hat ein Drittel der Schüler während der Schulschliessungen in
der Schweiz wenig gelernt, rund 20 Prozent gar nichts, wie sich Studienleiter
Stephan Huber im August gegenüber SRF äusserte.
Wie Margrit Stamm ist auch Mitautor Frey, der an der
Universität Harvard forscht, der Ansicht, «dass sich die Ergebnisse sehr gut
auf die Situation in der Schweiz übertragen lassen». Wie in der Schweiz
verfügen auch in den Niederlanden fast alle Haushalte über einen Breitband-Internetzugang.
In beiden Ländern waren die Schulen mit acht Wochen verhältnismässig kurze Zeit
geschlossen, und in den Niederlanden wie bei uns verlief die erste
Pandemie-Welle eher mild.
Erneute Schulschliessungen verhindern
Die Niederlande seien eigentlich gut auf die Pandemie
vorbereitet gewesen, sagt Frey. Da es trotz dieser guten Voraussetzungen zu so
einem starken Lernverlust kam, müsse man davon ausgehen, dass in Ländern, die
weniger gut vorbereitet waren, die Kinder noch weniger gelernt haben.
Die Erkenntnisse aus den Niederlanden bestätigen laut
Margrit Stamm, was in der Wissenschaft als «Sommerloch-Effekt» bekannt ist.
Gemeint ist die Tatsache, dass Kinder aus sozial benachteiligten Milieus nach
mehrwöchigen Ferien viel Gelerntes vergessen haben: «Weil ihnen ohne Unterricht
die Strukturen fehlten, sie auf sich allein gestellt waren, keine Bücher da
waren, dafür die Playstation - wie während des Lockdown», sagt Stamm. Viele
hätten ihn als Ferien empfunden. Andere Kinder dagegen hätten vom
Heimunterricht profitiert, weil sie Ruhe hatten, von ihren Eltern unterstützt
wurden oder weil sie ohnehin gut selbstständig lernen können.
Angesichts der Zahlen aus den Niederlanden plädiert Margrit
Stamm dafür, es in den obligatorischen Schulen hierzulande zu keiner zweiten
Schliessung kommen zu lassen: «Das wäre sehr, sehr ungünstig und würde den Gap
zwischen sozial benachteiligten Kindern und solchen aus gut situierten Kreisen
nochmals deutlich vergrössern.»
Studien-Mitverfasser Frey gibt zu bedenken, dass nach wie
vor unklar sei, ob Schüler und Lehrpersonen diese Lernlücken langfristig
überhaupt je kompensieren könnten. Frey: «Es liegt an uns als Gesellschaft, das
bei Debatten über zukünftige Schulschliessungen zu bedenken, wenn wir nicht
eine ganze Generation im Stich lassen wollen.»
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