Der Fall ist typisch: Im Schulhaus Innerschachen in der Luzerner Vorortsgemeinde Ebikon infiziert sich eine Lehrperson mit dem Coronavirus. In der Folge ordnet der Kantonsarzt für die von ihr unterrichtete Klasse die Quarantäne an. Doch die Situation verschärft sich zunehmend. Die Schule schickt weitere 13 Lehrpersonen und eine zweite Klasse in vorsorgliche Quarantäne. Von einem Tag auf den anderen erhalten die Schüler Fernunterricht.
Schulen wollen keine Schliessung, NZZ, 26.10. von Erich Aschwanden
Immer mehr Bildungsverantwortliche stellen sich die bange
Frage: Führt die zweite Welle dazu, dass die Einrichtungen der obligatorischen
Schulstufe wieder flächendeckend geschlossen werden? Geht es nach dem Willen
von Lehrern und Schulleitungen, darf es nicht mehr so weit kommen. «Wenn wir
aus dem Lockdown etwas gelernt haben, ist es, dass Fernunterricht als Notlösung
funktioniert. Homeschooling kann den Präsenzunterricht nie und nimmer
ersetzen», sagt Marcel Vosswinkel, Schulleiter im zürcherischen Nürensdorf.
Homeschooling als Ausnahme
Grund für die Skepsis ist die Tatsache, dass Fernunterricht
Schülerinnen und Schüler zurückwirft, die ohnehin Mühe mit der Bewältigung des
Schulstoffs bekunden. «Die Schere ist während der Schulschliessung im Frühling
noch mehr aufgegangen», stellt Vosswinkel fest. Kinder aus sozial schwächeren
Familien seien mit Defiziten zurückgekehrt. Dies, weil sie von den Eltern
weniger unterstützt und kontrolliert würden. Spürbar sei dies insbesondere in
den sprachlichen Fächern. «Die Schule hat eine sozial ausgleichende Rolle, und
die kann sie nicht spielen, wenn die Kinder zu Hause unterrichtet werden»,
betont Vosswinkel.
Wie in Nürensdorf sei es auch in den meisten anderen Schulen
der Schweiz, stellt Stephan Huber von der Pädagogischen Hochschule Zug fest.
Der Bildungsforscher hat mit seinem Team in den letzten Wochen im Rahmen des
sogenannten Schul-Barometers 80 Schulleiter aus der Schweiz befragt. «Überall
stellt man sich auf temporäre Schulschliessungen ein. Angesichts der Erfahrungen
aus dem Lockdown im Frühling unternehmen die Verantwortlichen alles, damit
digitale Unterrichtsformen in den Schulalltag integriert werden und die Schulen
gut vorbereitet sind, wenn es zu temporären, lokalen Schulschliessungen kommt»,
erklärt Huber.
Verschiedene Schulen hätten Ernstfallübungen durchgeführt,
indem Klassen oder ganze Schulhäuser probeweise geschlossen worden seien. «Die
meisten versuchen, den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten. Niemand will erneut
eine ganze Schule schliessen. Die Massnahmen werden auf einzelne Klassen oder
Teile von Schulhäusern beschränkt», betont Huber. Der Stand der Vorbereitung
sei unterschiedlich, aber viele Schulen würden von den Erfahrungen profitieren,
die sie während des angeordneten Fernunterrichts gemacht hätten. Heute seien
sie technisch besser auf den Unterricht mit digitalen Medien vorbereitet.
Welche Schulen von Covid-19-Fällen betroffen sind und welche
verschont bleiben, hängt auch vom Zufall ab. «Wir hatten bisher Glück. Bei uns
gab es keine Infektion und auch nur wenige Fälle, bei denen wir Lehrer oder
Schüler in die Quarantäne schicken mussten», sagt Matthias Beeler, Schulleiter
in Buchrain. Hier wird derzeit getestet, ob Kinder in Quarantäne einzeln über
die Konferenz-Plattform «Teams» in den Unterricht zugeschaltet werden können.
Die Verantwortlichen wollen auch die Tatsache nutzen, dass die Schüler
untereinander gut vernetzt sind. «Wir überlegen uns, einem Klassenkameraden den
Auftrag zu erteilen, mit seinem Handy die Unterrichtsstunden zu filmen und dies
an die unter Quarantäne stehenden Schüler zu übermitteln», erklärt Beeler.
Auch die Bildungsdirektoren seien entschlossen, den
Unterricht grundsätzlich im Vollbetrieb durchzuführen, wie sie dies im Juni
beschlossen haben, erklärt Stefan Kunfermann, Sprecher der
Erziehungsdirektorenkonferenz. Hingegen will der Bundesrat den Unterricht an
den Universitäten und weiteren höheren Schulen wieder ausschliesslich als
Fernunterricht zulassen.
Masken werden zur Norm
Damit die obligatorische Schule und die Sekundarstufe II
weiterhin im Präsenzunterricht arbeiten können, haben verschiedene Kantone,
darunter Aargau, Neuenburg, Luzern, Schwyz und Zürich, soeben zusätzliche
Einschränkungen für Schulen erlassen. So gelten an immer mehr Orten eine
Maskenpflicht im Schulzimmer für Schüler und Lehrpersonen sowie eine
Maskenpflicht für Erwachsende auf dem gesamten Schulareal.
In ihrer Untersuchung haben Huber und sein Team
festgestellt, dass die Schutzmassnahmen nicht spurlos an den Schulen
vorbeigehen. «Eine grosse Herausforderung für viele Schulen ist die
Personalknappheit. In einigen Schulen war man schon vor Corona am Anschlag, und
jetzt fallen immer wieder Lehrerinnen und Lehrer aus.»
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