1. November 2020

Fernunterricht nur im äussersten Notfall

Der Fall ist typisch: Im Schulhaus Innerschachen in der Luzerner Vorortsgemeinde Ebikon infiziert sich eine Lehrperson mit dem Coronavirus. In der Folge ordnet der Kantonsarzt für die von ihr unterrichtete Klasse die Quarantäne an. Doch die Situation verschärft sich zunehmend. Die Schule schickt weitere 13 Lehrpersonen und eine zweite Klasse in vorsorgliche Quarantäne. Von einem Tag auf den anderen erhalten die Schüler Fernunterricht.

Schulen wollen keine Schliessung, NZZ, 26.10. von Erich Aschwanden

Immer mehr Bildungsverantwortliche stellen sich die bange Frage: Führt die zweite Welle dazu, dass die Einrichtungen der obligatorischen Schulstufe wieder flächendeckend geschlossen werden? Geht es nach dem Willen von Lehrern und Schulleitungen, darf es nicht mehr so weit kommen. «Wenn wir aus dem Lockdown etwas gelernt haben, ist es, dass Fernunterricht als Notlösung funktioniert. Homeschooling kann den Präsenzunterricht nie und nimmer ersetzen», sagt Marcel Vosswinkel, Schulleiter im zürcherischen Nürensdorf. 

Homeschooling als Ausnahme

Grund für die Skepsis ist die Tatsache, dass Fernunterricht Schülerinnen und Schüler zurückwirft, die ohnehin Mühe mit der Bewältigung des Schulstoffs bekunden. «Die Schere ist während der Schulschliessung im Frühling noch mehr aufgegangen», stellt Vosswinkel fest. Kinder aus sozial schwächeren Familien seien mit Defiziten zurückgekehrt. Dies, weil sie von den Eltern weniger unterstützt und kontrolliert würden. Spürbar sei dies insbesondere in den sprachlichen Fächern. «Die Schule hat eine sozial ausgleichende Rolle, und die kann sie nicht spielen, wenn die Kinder zu Hause unterrichtet werden», betont Vosswinkel.

Wie in Nürensdorf sei es auch in den meisten anderen Schulen der Schweiz, stellt Stephan Huber von der Pädagogischen Hochschule Zug fest. Der Bildungsforscher hat mit seinem Team in den letzten Wochen im Rahmen des sogenannten Schul-Barometers 80 Schulleiter aus der Schweiz befragt. «Überall stellt man sich auf temporäre Schulschliessungen ein. Angesichts der Erfahrungen aus dem Lockdown im Frühling unternehmen die Verantwortlichen alles, damit digitale Unterrichtsformen in den Schulalltag integriert werden und die Schulen gut vorbereitet sind, wenn es zu temporären, lokalen Schulschliessungen kommt», erklärt Huber. 

Verschiedene Schulen hätten Ernstfallübungen durchgeführt, indem Klassen oder ganze Schulhäuser probeweise geschlossen worden seien. «Die meisten versuchen, den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten. Niemand will erneut eine ganze Schule schliessen. Die Massnahmen werden auf einzelne Klassen oder Teile von Schulhäusern beschränkt», betont Huber. Der Stand der Vorbereitung sei unterschiedlich, aber viele Schulen würden von den Erfahrungen profitieren, die sie während des angeordneten Fernunterrichts gemacht hätten. Heute seien sie technisch besser auf den Unterricht mit digitalen Medien vorbereitet.

Welche Schulen von Covid-19-Fällen betroffen sind und welche verschont bleiben, hängt auch vom Zufall ab. «Wir hatten bisher Glück. Bei uns gab es keine Infektion und auch nur wenige Fälle, bei denen wir Lehrer oder Schüler in die Quarantäne schicken mussten», sagt Matthias Beeler, Schulleiter in Buchrain. Hier wird derzeit getestet, ob Kinder in Quarantäne einzeln über die Konferenz-Plattform «Teams» in den Unterricht zugeschaltet werden können. Die Verantwortlichen wollen auch die Tatsache nutzen, dass die Schüler untereinander gut vernetzt sind. «Wir überlegen uns, einem Klassenkameraden den Auftrag zu erteilen, mit seinem Handy die Unterrichtsstunden zu filmen und dies an die unter Quarantäne stehenden Schüler zu übermitteln», erklärt Beeler.

Auch die Bildungsdirektoren seien entschlossen, den Unterricht grundsätzlich im Vollbetrieb durchzuführen, wie sie dies im Juni beschlossen haben, erklärt Stefan Kunfermann, Sprecher der Erziehungsdirektorenkonferenz. Hingegen will der Bundesrat den Unterricht an den Universitäten und weiteren höheren Schulen wieder ausschliesslich als Fernunterricht zulassen.

Masken werden zur Norm

Damit die obligatorische Schule und die Sekundarstufe II weiterhin im Präsenzunterricht arbeiten können, haben verschiedene Kantone, darunter Aargau, Neuenburg, Luzern, Schwyz und Zürich, soeben zusätzliche Einschränkungen für Schulen erlassen. So gelten an immer mehr Orten eine Maskenpflicht im Schulzimmer für Schüler und Lehrpersonen sowie eine Maskenpflicht für Erwachsende auf dem gesamten Schulareal.

In ihrer Untersuchung haben Huber und sein Team festgestellt, dass die Schutzmassnahmen nicht spurlos an den Schulen vorbeigehen. «Eine grosse Herausforderung für viele Schulen ist die Personalknappheit. In einigen Schulen war man schon vor Corona am Anschlag, und jetzt fallen immer wieder Lehrerinnen und Lehrer aus.»

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