Ein beliebtes Diskussionsthema zwischen meinem Mann und mir ist, ob Mädchen und Buben von Natur aus unterschiedlich sind oder ob sie durch Erziehung anders sind. Was sagen Sie dazu?
Beides ist der
Fall. Es gibt naturgegebene wie auch anerzogene Unterschiede. Das ist
unbestritten. Sie betreffen nicht nur den Körper, sondern auch das Denken und
die Emotionen. Gewisse Unterschiede zeigen sich in allen Kulturen. Bei den
genetischen Unterschieden stellt sich die Frage, was die Kultur mit ihnen
macht: Man kann sie verstärken oder abschwächen.
Allan Guggenbühl: "Bei Buben wird eine Puppe auch mal zum Flugzeug", Zofinger Tagblatt, 2.11. von Lilly-Anne Brugger
Wie ist es in unserer Kultur, werden die Unterschiede verstärkt
oder abgeschwächt?
Bei uns werden
sie abgeschwächt. Man ignoriert die Unterschiede oder will sie eliminieren. Man
geht davon aus, dass es sich um Klischees handelt als Resultat einer nicht
gendergerechten Erziehung. Das ist unsinnig. Wie nicht alles von den Anlagen
her bestimmt ist, ist auch nicht alles von der Kultur her bestimmt.
Haben Sie Beispiele?
Buben wählen zum
Teil andere Spielsachen, eine andere Art zu spielen. Sie gehen auch mehr
Risiken ein, haben mehr Unfälle. Mädchen konzentrieren sich mehr auf die
Beziehung. Sie sind darum auch sprachlich gewandter. Auch ist ihre Sprache
anders. Sie berücksichtigen zum Beispiel das Gegenüber mehr. Die mögliche Reaktion
des Gegenübers wird vorausgedacht. Dies führt zu mehr Füllwörtern, zu Fragen
wie «hast du verstanden?» oder «gell?». Männer reden mehr von Sachen. Das
Gegenüber spielt eine weniger wichtige Rolle. Das führt bei vielen Beziehungen
zu Konflikten.
Ein Bub, der lange Haare hat, oder gerne mit Puppen spielt oder
Pink und Glitzer toll findet, ist das nicht normal?
Buben spielen
auch mit Puppen – einfach anders. Sie setzen Puppen oft multifunktional ein.
Zwischendurch wird sie ein Wurfgegenstand oder ein Flugzeug.
Wenn sich ein Mädchen bei männlichen Attributen bedient, dann ist
das positiv. Wenn sich ein Bub bei Mädchenattributen bedient, dann sieht man
das als problematisch an.
Die Attribuierung
hängt von den Werten der Familie ab. Oft ist es aber so, wenn Buben sogenannte
Mädcheneigenschaften haben, dann findet man das positiv: Er ist brav, nett,
angepasst und schneidet nicht auf. Das wird ja in den Schulen so gepflegt. Wenn
ein Bub mit Puppen spielt, dann findet man das super. Es ist eher so, dass
Bubeneigenschaften nicht geschützt werden: provozieren wollen, Risiken eingehen
und nicht zu viele Worte verlieren. Wenn ein Bub Risiken eingeht, dann wird das
als pathologisch angeschaut. Wenn Mädchen sogenannt männliche Eigenschaften
haben, dann werden sie mehr bewundert: starke, mutige Frauen.
Ihr Vortrag geht ja auch in Richtung Erziehungstipps. Wie kann man
die Kinder erziehen, ohne ein Geschlecht zu bevorzugen. Geht das überhaupt,
kein Kind bevorzugen?
Die Bevorzugung
von einem Kind hängt von vielem ab, das Geschlecht ist nur ein Faktor. Es gibt
Formen der Disziplinierung und Motivierung, die bei Buben und Mädchen
unterschiedlich funktionieren. Dessen muss man sich bewusst sein. Wenn eine
Mutter einem Buben sagt: «Könntest du so lieb sein und die Spülmaschine ausräumen?»,
dann ist die Chance viel kleiner, dass er das tut, als wenn sie sagt: «Du, hör
mal, ich will jetzt, dass du die Geschirrspülmaschine ausräumst.» Buben
reagieren viel mehr auf direkte Befehle. Mädchen stösst das eher ab. Sie
reagieren eher, wenn man sagt, «könntest du bitte».
Sie gehen im Vortrag darauf ein, wie die Schule mit bösen Buben
und angepassten Mädchen umgeht. Denken Sie, das Schulsystem geht richtig auf
die Geschlechter ein?
Im Moment kommt
das Schulsystem sehr den Mädchen entgegen. Das Sprachliche, das Soziale hat
viel Gewicht. Das macht es für die Buben schwierig, sie werden benachteiligt,
weil sie die Sprache anders brauchen und andere sozialen Kompetenzen haben.
Was müsste anders sein, damit Buben nicht benachteiligt werden?
Man müsste zum
Beispiel auch extreme Themen durchnehmen. Buben werden aufmerksam, wenn sie von
Katastrophen und extremen Herausforderungen hören. Mädchen bevorzugen
Beziehungsthemen. In der Schule sollten beide Arten von Themen berücksichtigt
werden.
So entsteht das Gefühl, Mädchen seien braver als Buben.
Mädchen sind
grundsätzlich nicht braver, jedoch geschickter im Verbergen ihrer
Eigenständigkeiten. Sie können besser mit den Anpassungsforderungen umgehen.
Weil das Verbale eine grosse Rolle spielt, merken sie eher, was die Lehrperson
hören will. Buben sind da weniger geschickt. Sie sind direkter, provozieren
mehr.
Die Corona-Situation verschärft sich von Tag zu Tag. Ein Lockdown
ist nicht mehr ausgeschlossen. Verschärft dies die Problematik, dass sich Buben
nicht mehr so ausleben können, wie sie möchten, und Mädchen sich noch mehr
zurückziehen?
Für alle ist es
sehr schwer, weil sie wegen der Maske die mimischen Ausdrücke der Gegenüber
nicht sehen. Kinder haben grössere Mühe, sich in der Schule einzubringen. Da
werden einige Kinder Nachteile haben, gerade die schwächeren.
Was raten Sie Eltern, wenn es wieder Homeschooling gibt?
Ich rate den
Eltern, tolerant zu sein und Geduld zu haben. Darauf zu achten, dass vor allem
Buben nicht zu viel am Computer sind. Ich rate, rauszugehen, Sport zu machen.
Es kommt aufs Alter an. Unterstufenschüler können sich besser zu Hause
beschäftigen und spielen. In der Mittel- und Oberstufe ist es schwieriger.
Wie können die Mädchen unterstützt werden?
Die Mädchen
vermissen ihre Kolleginnen und Freundinnen, den Austausch. Hier braucht es
Möglichkeiten, damit sie dies kompensieren können.
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