Autorität gilt als «böses» Wort. Wer selbst autoritär erzogen worden ist, will alles dafür tun, um nicht ein Abbild der strengen Eltern oder des angsteinflössenden Paukerlehrers zu werden. Autorität wird deshalb mit Drill, Angst und schwarzer Pädagogik gleichgesetzt.
Autorität - nur etwas für Konservative? St. Galler Tagblatt, 7.9. von Margrit Stamm
Doch Autoritätsstrukturen haben sich gewandelt. Familie und Schule sind
nicht mehr herrschaftsförmig organisierte, sondern kindzentrierte Formen von
Zusammenleben und Ausbildung. In der Familie hat der Verhandlungshaushalt den
Befehlshaushalt abgelöst. Viele Väter und Mütter behandeln ihre Kinder als
gleichwertige Partner. Deshalb wird vom Menüplan bis zu den Hausaufgaben, von
der Wahl der Kleidung bis zum Zeitpunkt des Schlafengehens alles verhandelt.
Sogar der Kauf des neuen Autos.
Ist das eine vielversprechende Entwicklung? Ja und nein. Ja, weil
Partizipation und Gleichwertigkeit wichtige Erziehungsziele geworden sind.
Nein, weil zu oft vergessen geht, dass eine partnerschaftliche Beziehung erst
entwicklungsförderlich sein kann, wenn das stützende Gerüst der Erziehung gefestigt
ist.
«Autoritativer», nicht «autoritärer» Erziehungsstil
In der Tendenz trifft dies ab der Adoleszenz zu, weshalb Eltern zunächst
hierarchisch und nicht horizontal denken sollten. Kleine Kinder brauchen einen
strukturierenden Umgang, der sie davon entlastet, selbst bestimmen zu müssen,
was für sie gut ist. Starke Eltern fordern die Einhaltung von Regeln,
akzeptieren die Kinder als ernst zu nehmende Gesprächspartner und geben ihnen
viel Liebe und Unterstützung. Dieser «autoritative» Erziehungsstil gilt als
besonders entwicklungsförderlich.
Auch wenn Autorität eine ungeliebte Haltung ist, lässt sie sich nicht
lediglich durch Partizipation oder Partnerschaft ersetzen. Genauso wie der
Mensch nicht als roher Klotz auf die Welt kommt, der mit Autorität und
Disziplin geschliffen werden kann, macht partnerschaftliche Erziehung aus
Kindern noch lange keine mündigen Menschen. Deshalb braucht unsere Gesellschaft
ein neues Verständnis von Autorität, das nicht nur für Väter und Mütter eine
Herausforderung ist, sondern auch für die Schule.
Manche Lehrkräfte scheuen sich davor, als Autorität zu gelten.
Einerseits wissen sie um die Kritik an der schulischen «Kuschelpädagogik»,
andererseits wollen sie nicht als lehrerhaft gelten, weil dies immer noch mit
autoritär gleichgesetzt wird. Doch Autorität hat man nicht, man muss sie sich
erarbeiten. Diese Erarbeitung ist eine Beziehungsleistung – sagt Kollege Roland
Reichenbach. Deshalb gilt: Je jünger und leistungsschwächer Schülerinnen und
Schüler sind, desto stärker sind sie auf ein Classroom-Management mit klaren
Anweisungen und transparenten Zielen angewiesen.
Ähnlich wie in der Familie kann dies nicht von Anfang an über eine
Beziehung auf Augenhöhe und einen Unterricht geleistet werden, in welchem sich
Lehrerinnen und Lehrer ausschliesslich als Lernbegleiter verstehen.
Selbstorganisation ereignet sich nicht von selbst, sondern muss
eingeführt werden
Selbstorganisiertes Lernen und Lernbegleitung können erst auf einer
tragfähigen Basis können einsetzen. Mit einiger empirischer Sicherheit ist es
ein Problem, wenn solche viel gelobten Lernformen vorausgesetzt und nicht
systematisch eingeführt werden.
Autoritativ erzogene und von der Familie in ihrer Selbstmotivation und
-organisation geförderte Kinder brauchen zwar in der Schule weniger Anleitung.
Andere Kinder aber schon, vor allem diejenigen, welche zu Hause kaum erzogen
werden und mit wenig Anregung auskommen müssen.
Vater-Mutter-Kind- und Lehrer-Schüler-Beziehungen, die auf Augenhöhe
setzen, sind zwar auf einem guten Weg. Gelingen können sie aber nur auf dem
Fundament einer autoritativen Beziehung. Die Schule muss für alle Kinder ein
verlässlicher Ort sein, der ihren Entwicklungsbedürfnissen entspricht.
Erziehungs- und Bildungskonzepte, die zu früh auf Augenhöhe und
Selbstorganisation setzen, können zwar für einige Kinder eine gute
Entwicklungsgrundlage sein, viele andere werden dadurch aber orientierungslos.
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