Tausende Zürcher Eltern erhalten in diesen Tagen Post. Post, die keine Jubelstürme, sondern vielerorts Frust auslöst. Die Schulen informieren die Eltern über die Einteilung ihrer Kinder in Halbklassen. Die Regelung gilt ab Montag; beigelegt ist ein Stundenplan für die kommenden vier Wochen.
Eine halbbatzige Lösung, die niemandem hilft, NZZ, 7.5. von Daniel Fritzsche
Viele Schulen
geben sich zwar redlich Mühe, die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts nach
der erzwungenen Corona-Pause möglichst reibungslos zu gestalten – etwa indem
sie Geschwister zu den gleichen Zeiten aufbieten. Trotzdem kommen manche
Familien jetzt noch stärker in die Bredouille, als sie es während der
Home-Schooling-Phase ohnehin schon waren. Das wäre nicht nötig gewesen und
hätte verhindert werden müssen.
Das Problem
liegt auf der Hand: Die Kinder kehren zwar wieder in die Schule zurück, aber
bloss in Teilzeit. Das heisst, dass viele zu Hause weiterhin betreut werden müssen,
weil sie noch nicht in den Hort sollten. Bei arbeitstätigen Eltern mit mehreren
Kindern kann das rasch zu einem Betreuungsnotstand führen. Bekanntlich wird es
ab Montag in vielen Branchen wieder möglich sein, regulär – und nicht bloss
reduziert im Home-Office – arbeiten zu gehen. Die Zeit, sich mit dem neuen
Regime zu arrangieren, ist knapp. Im schlechtesten Fall werden vermehrt wieder
Grosseltern für den Hütedienst eingespannt.
Die Zürcher
Bildungsdirektion hat sich bei ihrem Entscheid von falscher Vorsicht leiten
lassen. Alle anderen Deutschschweizer Kantone mit Ausnahme von Bern und St.
Gallen fahren die Schulen wieder normal hoch. Sogar das Tessin, das vom
Coronavirus besonders betroffen war, macht diesen Schritt. Dort werden neben
den Eltern auch die Schulleitungen entlastet, da sie um eine erneute
organisatorische Notfallübung herumkommen.
Die Argumente
für eine halbherzige, um nicht zu sagen halbbatzige Öffnung in Zürich leuchten
nicht ein. Im Interview mit der NZZ nannte die Bildungsdirektorin Silvia
Steiner (cvp.) Sicherheitsgründe und pädagogische Bedenken. Zum ersten Punkt:
Es ist wohl tatsächlich so, dass die empfohlenen Abstände unter den Kindern in
kleineren Klassen besser einzuhalten sind. Jedoch gilt dies bloss für die
Unterrichtszeit; in den Pausen werden sich die Primarschülerinnen und -schüler
unweigerlich näher kommen, die Kindergärtler sowieso. Zudem hat das Bundesamt
für Gesundheit mehrfach betont, dass eine Öffnung der Schulen möglich sei, weil
es sich herausgestellt habe, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie seien.
In fast allen anderen Deutschschweizer Kantonen – etwa auch im dichtbesiedelten
Basel-Stadt – ist diese Nachricht angekommen. Zur Erinnerung: Der Altersmedian
bei Corona-Toten liegt in der Schweiz bei 84 Jahren.
Das
pädagogische Argument zieht ebenfalls nicht. Natürlich werden am Montag
Unterschiede im Wissensstand der Schülerinnen und Schüler erkennbar sein. Das
wird nach acht Wochen Corona-Pause aber ähnlich sein wie nach fünf Wochen
Sommerferien. Wenn schon, wären die Wissenslücken Argumente für einen regulären
Schulbetrieb mit der vollen Stundenzahl. Die Kinder haben nun einiges
nachzuholen, da sollten sie nicht weniger, sondern eher mehr in die Schule
gehen. Zur Unterstützung der schwächeren Schüler stehen verschiedene
Förderlehrpersonen bereit.
Kurz: Ein
Schulstart im normalen Betrieb wäre auch in Zürich möglich gewesen. Falls die
Bildungsdirektion mit ihrem vierwöchigen Halbklassenmodell die Eltern beruhigen
wollte, ist dies gründlich misslungen.
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