8. Mai 2020

Halbklassenunterricht keine Beruhigung für Eltern

Tausende Zürcher Eltern erhalten in diesen Tagen Post. Post, die keine Jubelstürme, sondern vielerorts Frust auslöst. Die Schulen informieren die Eltern über die Einteilung ihrer Kinder in Halbklassen. Die Regelung gilt ab Montag; beigelegt ist ein Stundenplan für die kommenden vier Wochen.

Eine halbbatzige Lösung, die niemandem hilft, NZZ, 7.5. von Daniel Fritzsche

Viele Schulen geben sich zwar redlich Mühe, die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts nach der erzwungenen Corona-Pause möglichst reibungslos zu gestalten – etwa indem sie Geschwister zu den gleichen Zeiten aufbieten. Trotzdem kommen manche Familien jetzt noch stärker in die Bredouille, als sie es während der Home-Schooling-Phase ohnehin schon waren. Das wäre nicht nötig gewesen und hätte verhindert werden müssen.

Das Problem liegt auf der Hand: Die Kinder kehren zwar wieder in die Schule zurück, aber bloss in Teilzeit. Das heisst, dass viele zu Hause weiterhin betreut werden müssen, weil sie noch nicht in den Hort sollten. Bei arbeitstätigen Eltern mit mehreren Kindern kann das rasch zu einem Betreuungsnotstand führen. Bekanntlich wird es ab Montag in vielen Branchen wieder möglich sein, regulär – und nicht bloss reduziert im Home-Office – arbeiten zu gehen. Die Zeit, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren, ist knapp. Im schlechtesten Fall werden vermehrt wieder Grosseltern für den Hütedienst eingespannt.

Die Zürcher Bildungsdirektion hat sich bei ihrem Entscheid von falscher Vorsicht leiten lassen. Alle anderen Deutschschweizer Kantone mit Ausnahme von Bern und St. Gallen fahren die Schulen wieder normal hoch. Sogar das Tessin, das vom Coronavirus besonders betroffen war, macht diesen Schritt. Dort werden neben den Eltern auch die Schulleitungen entlastet, da sie um eine erneute organisatorische Notfallübung herumkommen.

Die Argumente für eine halbherzige, um nicht zu sagen halbbatzige Öffnung in Zürich leuchten nicht ein. Im Interview mit der NZZ nannte die Bildungsdirektorin Silvia Steiner (cvp.) Sicherheitsgründe und pädagogische Bedenken. Zum ersten Punkt: Es ist wohl tatsächlich so, dass die empfohlenen Abstände unter den Kindern in kleineren Klassen besser einzuhalten sind. Jedoch gilt dies bloss für die Unterrichtszeit; in den Pausen werden sich die Primarschülerinnen und -schüler unweigerlich näher kommen, die Kindergärtler sowieso. Zudem hat das Bundesamt für Gesundheit mehrfach betont, dass eine Öffnung der Schulen möglich sei, weil es sich herausgestellt habe, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie seien. In fast allen anderen Deutschschweizer Kantonen – etwa auch im dichtbesiedelten Basel-Stadt – ist diese Nachricht angekommen. Zur Erinnerung: Der Altersmedian bei Corona-Toten liegt in der Schweiz bei 84 Jahren.

Das pädagogische Argument zieht ebenfalls nicht. Natürlich werden am Montag Unterschiede im Wissensstand der Schülerinnen und Schüler erkennbar sein. Das wird nach acht Wochen Corona-Pause aber ähnlich sein wie nach fünf Wochen Sommerferien. Wenn schon, wären die Wissenslücken Argumente für einen regulären Schulbetrieb mit der vollen Stundenzahl. Die Kinder haben nun einiges nachzuholen, da sollten sie nicht weniger, sondern eher mehr in die Schule gehen. Zur Unterstützung der schwächeren Schüler stehen verschiedene Förderlehrpersonen bereit.

Kurz: Ein Schulstart im normalen Betrieb wäre auch in Zürich möglich gewesen. Falls die Bildungsdirektion mit ihrem vierwöchigen Halbklassenmodell die Eltern beruhigen wollte, ist dies gründlich misslungen.


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