4. Mai 2020

Angst vor Schulstart


Am 11. Mai müssen Kinder wieder im Schulhaus antraben, ab dann sind die Schulen in der ganzen Schweiz wieder geöffnet. Nicht alle freuen sich auf diesen Tag. Eine Lehrerin aus dem Aargau, die anonym bleiben will, hat sich bei 20 Minuten gemeldet. Sie hat Angst.
Schulöffnung mit Sicherungskonzept in Baden-Württemberg, Bild: Keystone/DPA/Felix Kästle
«Wir werden als Versuchskaninchen missbraucht» 20 Minuten, 1.5. von Joel Probst

Mehr Massnahmen als eine markierte «Schutzzone» von zwei Metern, welche die Schüler nicht betreten dürfen, sind an ihrer Schule bislang nicht geplant. Die Lehrerin klagt: «Das kanns doch nicht sein. Es ist illusorisch, dass es möglich sein soll, zwei Meter Abstand zu halten in einem vollen Klassenzimmer.»

Die Lehrerin will am 11. Mai trotzdem unterrichten: «Aber ich habe wirklich Angst. Ich will nicht, dass meine Kinder deswegen keine Mutter mehr haben.» Das Risiko, dass sie sich das Virus im vollen Klassenzimmer einfängt, hält sie für gross. «Man strengt sich sehr wenig an, um die Sicherheit zu garantieren. Wir Lehrpersonen und unsere Kinder werden einfach als Versuchskaninchen missbraucht.»

Lehrerverband ist «überhaupt nicht glücklich»

Die Aargauer Lehrerin ist mit ihren Bedenken nicht allein. Der Schweizer Lehrerverband ist mit den jetzigen Rahmenbedingungen «überhaupt nicht glücklich», wie Präsidentin Dagmar Rösler gegenüber 20 Minuten sagt. «Das BAG gibt zwar Grundprinzipien vor, doch ganz vieles bleibt unklar und gibt den Kantonen grossen Spielraum. Es macht keinen Sinn, dass es keine schweizweit einheitliche Umsetzung gibt, obwohl das Coronavirus ein nationales Problem ist.»

Oberste Lehrerin «noch nicht überzeugt, dass Schule sicher ist»

Die oberste Lehrerin der Schweiz fordert deshalb: «Wir wollen klare Vorgaben.» Jetzt gebe es riesige Unterschiede zwischen den Kantonen. Es sei aber «unsicher, ob unter Vollbetrieb der Schutz von Kindern und Lehrern gewährleistet werden kann». Rösler wird deutlich: «Im Moment bin ich noch nicht überzeugt, dass es in der Schule sicher ist für Kinder und Lehrpersonen.»

Das BAG sehe zwar vor, dass Lehrpersonen auf zwei Metern Distanz zu den Schülern bleiben sollen. «Aber sind wir ehrlich, das konsequent umzusetzen ist unmöglich. Mir bleibt schleierhaft, wie man einem Erstklässler aus der Entfernung etwa eine Rechenaufgabe erklären soll.» Rösler hofft, dass die Kinder wie vom BAG kommuniziert für die Lehrpersonen keine Gefahr darstellen und umgekehrt. Aber: «Ich verstehe die Eltern und Lehpersonen, die sich Sorgen machen.»

BAG und Kinderarzt stützen Schulöffnung

Das BAG will dazu keine Stellung nehmen und verweist stattdessen auf die heutige Medienkonferenz. Dort sagt Experte Daniel Koch: «Es wird nicht zu einer Epidemie unter den Schulkindern kommen und es besteht keine Gefahr für Eltern und Lehrerschaft.» Laut Koch zeigten dabei Studien etwa aus Australien und China, dass Schulen die Verbreitung des Coronavirus nicht vorantrieben.

Kinderarzt Christoph Berger, der die Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Kinderspital Zürich leitet, bekräftigt Kochs Aussagen auf Anfrage von 20 Minuten: «Basierend auf den jetzigen Daten finde ich es richtig, die Schulen zu öffnen.» Wichtig sei, dass die Kinder ihre Hände waschen, zwei Meter Abstand zu halten gehe in der Schule hingegen nicht.

Berger mahnt aber auch: «Wir müssen vorsichtig sein und die Lage beobachten, damit nicht unbemerkt ein Infektionsherd entsteht.» Möglich wäre etwa, ganze Schulen stichprobenartig zu testen. Bereits jetzt werden anders als zuvor Kinder mit Symptomen auf das Coronavirus getestet. Klar ist laut Berger aber: «Mit allen Lockerungen wird es eine grössere Viruszirkulation geben, besonders Gefährdete muss man deshalb schützen.»


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