Ruth Fritschi äussert sich politisch-pädagogisch korrekt: "Sozioökonomisch belastete Familien", Bild: Andrea Freiermutz
Alarm im Kindergarten - sie toben und triezen, Migros Magazin, 29.2. von Andrea Freiermutz und Ralf Kaminski
Ruth Fritschi (49) ist
Geschäftsleitungsmitglied des Schweizer Lehrerverbands und zuständig für die
Stufe der Vier- bis Achtjährigen.
Ruth Fritschi, seit
wann beobachten Sie, dass die Zahl verhaltensauffälliger Kinder in Kindergärten
steigt?
Verhaltensauffällige Kinder gab es
schon immer. Seit 2008, nach der Einführung des HarmoS-Konkordats, treten die
Kinder in den meisten Kantonen bereits mit vier Jahren in den Kindergarten ein.
Altersbedingt haben sie weniger Regelbewusstsein und verhalten sich noch sehr
ichbezogen. Dies führt je nach Klassenzusammensetzung zu einer hohen Belastung
der Kindergartenlehrperson.
Die Zunahme von
Problemen ist also eine Folge des Systemwechsels?
Dieser Systemwechsel ist auf
gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen: Kinder müssen nach der
Schulzeit in der heutigen Leistungsgesellschaft bestehen können, entsprechend
hoch sind die Erwartungen an die Schule. Die Harmonisierung soll auch die
Chancengerechtigkeit erhöhen. Nach Abschluss der Volksschule sollen alle
Jugendlichen dieselben Grundansprüche erreicht haben. Dadurch ist der Druck auf
die Kinder gestiegen.
Dann sind die Kinder
eigentlich gar nicht so anders als früher?
Das hat schon was. Man schaut heute
einfach professioneller hin, zieht mehr Fachleute bei. Zudem haben Kindergarten
und Schule den Auftrag, möglichst alle Kinder vor Ort zu integrieren und
individuell zu fördern. Am Ende sollen möglichst alle ihren Weg ins
Arbeitsleben finden. Um das zu erreichen, will man schon möglichst früh
eingreifen. Aber es hat sich noch etwas grundlegend geändert ...
Nämlich?
Infolge der Globalisierung besuchen
heute viel mehr Kinder aus fremden Kulturen den Kindergarten. Und die kommen
oft aus ganz anderen Erziehungskulturen, wo kleine Kinder eher verwöhnt werden.
Im Kindergarten müssen sie dann plötzlich Dinge leisten, die sie nicht gewohnt
sind. Es handelt sich dabei meistens eher um sozioökonomisch belastete Familien.
Das heisst, Probleme
gibt es vor allem mit Kindern aus bildungsfernen, eher ärmeren Familien?
Tendenziell ja. Diese Eltern haben oft
nicht genug Zeit und Mittel, um ihren Kindern die nötige Qualitätszeit zu
geben. Solche Eltern versuchen wir ins Boot zu holen, um gemeinsam mit ihnen
Strategien zu entwickeln.
Sind die Eltern denn
offen dafür?
Am Anfang ist das oft schwierig. Umso
wichtiger ist es, im ersten Kindergartenjahr damit anzufangen. Es braucht oft
viel Überzeugungsarbeit und Ausdauer. Weil die Betreuung der Kleinen und die
Erziehungsarbeit sehr aufwendig sind, muss genug Personal zur Verfügung stehen,
und die Klassen dürfen nicht allzu gross sein. Letztlich geht es darum, mit der
Verschiedenheit der Kinder umzugehen.
Welche
Präventionsmassnahmen schlagen Sie vor?
Es gibt bereits vorschulische
begleitete Spielgruppen oder auch niederschwellige Angebote der Familienbegleitung
– die sind nützlich und können Familien etwa helfen, einen geregelten
Tagesrhythmus zu finden.
Wie virulent ist das
Problem denn nun wirklich?
Die Kantone, die sich schon
länger mit dem jüngeren Kind im Kindergarten auseinandergesetzt und die
Rahmenbedingungen dafür entsprechend angepasst haben, melden weniger Probleme.
Und es ist schwierig zu sagen, wann ein bestimmtes Verhalten zur normalen
Entwicklung gehört und wann nicht mehr. Viele Kinder könnte man wohl auch
einfach in Ruhe lassen, und es käme von alleine gut. Dennoch: Wenn man
schwieriges Verhalten im Kindergarten nicht angeht, kann es sich in den höheren
Klassen zuspitzen und zu einer schlechten Schullaufbahn führen. Das gilt es zu
verhindern.
trie¬zen
AntwortenLöschenWortart: schwaches Verb
Gebrauch: umgangssprachlich
Häufigkeit: ▮▮▯▯▯
RECHTSCHREIBUNG
Worttrennung: trie|zen
Beispiel: du triezt
BEDEUTUNGSÜBERSICHT
jemanden peinigen, mit etwas ärgern, quälen, ihm damit heftig zusetzen
Quelle: Duden
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