Der
Lockdown vergrössert die Unterschiede zwischen den Schülern. Das zeigt eine
neue Studie. Die Lehrer verlangen darum mehr Hilfe, wenn die Schulen wieder
öffnen.
Schulschliessung: Jeder fünfte Schüler ist gefährdet, NZZaS, 5.4. von René Donzé
Seit drei
Wochen sind die Schulen in der Schweiz geschlossen, gelernt wird zu Hause – offiziell
bis nach den Frühlingsferien, wahrscheinlich aber noch länger. Nun liegt eine
erste Untersuchung darüber vor, wie sich die neue Situation auf das
Lernverhalten der Schüler auswirkt. «Rund ein Drittel ist sehr gut unterwegs,
bei einem weiteren Drittel hält sich das zeitliche Engagement im Rahmen, bei
einem Drittel hingegen wird es kritisch», sagt Stephan Huber, Leiter Forschung
und Entwicklung an der Pädagogischen Hochschule Zug.
Er hat das
«Schul-Barometer» lanciert; eine Umfrage bei Schülern zwischen 10 und 19
Jahren, Pädagogen und Eltern in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich.
Die Auswertung der ersten rund 2500 Rückmeldungen, die der «NZZ am Sonntag»
exklusiv vorliegt, zeigt: Im Mittel verbringen die Schüler derzeit knapp 18
Stunden pro Woche mit Lernen, deutlich weniger als im regulären Schulbetrieb,
der im Kanton Zürich in diesem Alter 22 bis 26 Stunden (30 bis 35 Lektionen zu
45 Minuten) umfasst.«Sorgen bereitet uns, dass fast jeder fünfte Schüler neun
und weniger Stunden pro Woche für die Schule arbeitet.» Dabei handle es sich
vermutlich oft um Kinder mit wenig Lernfreude, Unterstützung, Platz und Ruhe zu
Hause. Diese Schüler könnten gefährdet sein.
Damit bestätigt
die Studie, was viele Fachleute befürchten: «Die Schere zwischen leistungsstarken
und schwachen Schülern wird sich weiter öffnen», sagt etwa Andrea Lanfranchi,
Professor an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. Und er warnt:
«Wir müssen vermeiden, dass Kinder aus prekären Familienverhältnissen noch
mehr zu Bildungsverlierern werden.»
Ein Problem,
das auch andere Länder kennen. So hat Fabrizio Zilibotti von der Universität
Yale berechnet, dass für US-Schüler ein Rückstand von bis zu einem Jahr
entstehen könnte, wenn die Schulen bis Sommer zu bleiben. Denn wenn die Schüler
wenig bis keine Zeit mit Lernen verbringen, können sie sogar bereits Gelerntes
vergessen – ein Effekt, der bereits während der normalen Sommerferien eintritt.
Mit einem langen Lockdown würde dieser noch verstärkt. Zilibotti, ehemals
Professor an der Uni Zürich, vermutet, dass in der Schweiz zwar weniger Kinder
ganz abgehängt werden als in den USA. Dennoch rät er, die Kinder zu prüfen und
wo nötig in Kurse zu schicken, um Lücken zu schliessen.
In eine
ähnliche Richtung gehen die Überlegungen von Dagmar Rösler: «Es wird nach der
Corona-Krise eine neue Dimension in den Klassen aufgehen», sagt die Präsidentin
des Lehrerverbandes Schweiz. «Diese neu entstandenen Defizite wird man nicht
einfach im regulären Unterricht auffangen können. Auch nicht im bereits
bestehenden Heilpädagogik-Pool. Da müssen tatsächlich neue Ressourcen
gesprochen werden.» Es brauche zusätzliche Massnahmen in den Schulen. Auch
Stephan Huber empfiehlt, dass Schulen diese Schüler verstärkt fördern und dass
die Schulen dafür Unterstützung erhalten sollten.
Zurück zum
«Schul-Barometer»: Dieses führt auch sonst zu interessanten Aussagen. So
spielen etwa 10 Prozent der Schüler übermässig lange am Computer, etwa 15
Stunden pro Woche. Damit gamen sie fast doppelt so lange wie der Durchschnitt.
Das Spielen mit der Familie findet dafür bei einem Viertel selten oder nie
statt, bei 6 Prozent hingegen über 15 Stunden pro Woche.
Und wie gefällt
den Kindern die Zeit zu Hause? Viele finden den Fernunterricht toll, 18 Prozent
glauben, sie würden jetzt mehr lernen, und ein Drittel hofft sogar, dass auch
später ein Teil der Schule so stattfindet. Andere äussern sich kritisch,
sprechen von einer hohen Belastung. Viele wünschen sich mehr Unterstützung.
Jeder Dritte hat jetzt schon das Gefühl, dass ihm die Decke auf den Kopf fällt.
43 Prozent vermissen die Schule.
Bei den Eltern
wiederum überwiegt die Sorge um den Fortschritt ihrer Kinder sowie deren
Belastung. Sehr oft erhalten die Lehrer gute Noten für ihren Einsatz in dieser
schwierigen Zeit. «Die Wertschätzung für die Schule steigt», sagt Huber. Viele
Eltern merkten erst jetzt, was die Lehrer schon unter normalen Umständen für
die Kinder leisteten.
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