Die Corona-Krise versetzt
die Schulen in einen Ausnahmezustand. Das schlägt sich auch in den Zeugnissen
nieder: Der Kanton Zürich hat am Montag bekanntgegeben, diesen Sommer in der
Volksschule keine Noten zu vergeben. Statt Bewertungen von 1 bis 6 werden in
den Zeugnissen die Bemerkung «nicht benotet» und ein Verweis auf die
Corona-Pandemie stehen.
Schule ohne Noten: Der Traum vieler Kinder wird zur Herausforderung für Politik und Gewerbe, NZZ, 20.4. von Nils Pfändler
Der historische Schritt des Bildungsrates ist richtig und vernünftig. In der
gegenwärtigen Ausnahmesituation an nackten Zahlen festzuhalten, wäre unsinnig
und in vielen Fällen unfair. Die Voraussetzungen im Fernunterricht
unterscheiden sich je nach Haushalt sowie Sprachkenntnissen und Bildungsgrad
der Eltern stark, was eine Beurteilung im herkömmlichen Rahmen verunmöglicht.
Der Entscheid gibt den Lehrern Zeit, sich auf die letzten Wochen
Fernunterricht und die voraussichtliche Schulöffnung am 11. Mai zu
konzentrieren. Das ist wichtig. Denn die grossen Herausforderungen stehen noch
bevor.
Unklare
Auswirkungen
Schule ohne Noten – das klingt für viele Schüler wie ein wahr
gewordener Traum. Doch die derzeitige Situation ist für alle Beteiligten eine
Herausforderung. Lehrer, Schüler und Eltern meistern den Ausnahmezustand
vielerorts nur dank viel Spontanität und aussergewöhnlichem Effort. Wie sich
die Corona-Krise kurzfristig auf den Lernerfolg und längerfristig auf die
Bildungskarrieren der Schüler auswirken wird, ist unklar.
In den Wochen bis zu den Sommerferien wird sich zeigen, ob die
Disziplin zum Lernen auch ohne Notendruck aufrechterhalten werden kann. Für
viele Schüler ist das Zeugnis nicht der einzige, wohl aber ein grundlegender
Ansporn, um bei mangelnder Motivation auch für unliebsame Fächer zu büffeln.
Auf die älteren Jahrgänge kommen zusätzliche Herausforderungen hinzu: Der
Übertritt in die Oberstufe ist dank den Winterzeugnissen und der
Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium zwar zum Glück bereits geklärt. Jugendliche auf
dem Sprung in die Berufswelt haben während dieser schwierigen Übergangsphase
aber noch mit weiteren Unsicherheiten zu kämpfen – sei es, weil sie keine
Schnupperlehre absolvieren können, ihnen die letzte Zeugnisnote für die
Bewerbung fehlt oder die Lehrbetriebe wegen der Krise um ihr Überleben bangen.
Die Bildungsdirektion hat den Teenagern bereits zusätzliche
Unterstützung zugesichert. Sie können bei ihren Lehrern neben
dem notenlosen Zeugnis auch einen Lernbericht oder ein
Referenzschreiben einholen. Es ist sowohl für die Jugendlichen als auch
für das Gewerbe essenziell, dass diese Hilfestellungen reibungslos und
unbürokratisch funktionieren. Die Unternehmen wiederum dürfen trotz
Krisensituation nicht darauf verzichten, Lehrstellen auszuschreiben. Dies hätte
nachhaltige Negativfolgen für das duale Bildungssystem und die
wirtschaftliche Stärke des Kantons.
Für die Gymnasiasten ist zu hoffen, dass die Schweizerische
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren und der Bundesrat möglichst rasch
einen Entscheid für die Maturaprüfungen fällen. In einer Zeit, die geprägt ist
von Prüfungsstress und Zukunftsängsten, ist eine zusätzliche Unsicherheit nur
schwer zu ertragen.
Kluft
zwischen den Schülern
Das Schweizer Bildungssystem hat seine Stärke bisher auch im
Krisenmoment bewiesen. Öffnen die obligatorischen Schulen planmässig im
Mai wieder ihre Tore, dürfte die grosse Arbeit mancherorts aber erst beginnen.
Wenn die Kinder wieder im Klassenzimmer sitzen, wird sich die Kluft zwischen
starken und schwachen Schülern mehr zeigen denn je. Im Fernunterricht ist nicht
nur die ausgleichende Wirkung des Schulzimmers, sondern auch die soziale
Kontrolle entfallen.
Besonders die benachteiligten Schüler dürften Leidtragende der
Ausnahmesituation sein. Die Befürchtung liegt nahe, dass die Corona-Krise
bei einigen grosse Wissenslücken hinterlassen wird. Der Verzicht auf Zeugnisnoten
mindert zwar den Druck auf diese Kinder. Es liegt aber im Interesse aller, dass
sie schulisch und sozial den Anschluss so schnell wie möglich wieder
finden. Denn nach der Krise werden ihre Leistungen wieder bewertet.
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