21. April 2020

Richtiger Entscheid des Zürcher Bildungsrates


Die Corona-Krise versetzt die Schulen in einen Ausnahmezustand. Das schlägt sich auch in den Zeugnissen nieder: Der Kanton Zürich hat am Montag bekanntgegeben, diesen Sommer in der Volksschule keine Noten zu vergeben. Statt Bewertungen von 1 bis 6 werden in den Zeugnissen die Bemerkung «nicht benotet» und ein Verweis auf die Corona-Pandemie stehen.
Schule ohne Noten: Der Traum vieler Kinder wird zur Herausforderung für Politik und Gewerbe, NZZ, 20.4. von Nils Pfändler

Der historische Schritt des Bildungsrates ist richtig und vernünftig. In der gegenwärtigen Ausnahmesituation an nackten Zahlen festzuhalten, wäre unsinnig und in vielen Fällen unfair. Die Voraussetzungen im Fernunterricht unterscheiden sich je nach Haushalt sowie Sprachkenntnissen und Bildungsgrad der Eltern stark, was eine Beurteilung im herkömmlichen Rahmen verunmöglicht.

Der Entscheid gibt den Lehrern Zeit, sich auf die letzten Wochen Fernunterricht und die voraussichtliche Schulöffnung am 11. Mai zu konzentrieren. Das ist wichtig. Denn die grossen Herausforderungen stehen noch bevor.

Unklare Auswirkungen

Schule ohne Noten – das klingt für viele Schüler wie ein wahr gewordener Traum. Doch die derzeitige Situation ist für alle Beteiligten eine Herausforderung. Lehrer, Schüler und Eltern meistern den Ausnahmezustand vielerorts nur dank viel Spontanität und aussergewöhnlichem Effort. Wie sich die Corona-Krise kurzfristig auf den Lernerfolg und längerfristig auf die Bildungskarrieren der Schüler auswirken wird, ist unklar.
In den Wochen bis zu den Sommerferien wird sich zeigen, ob die Disziplin zum Lernen auch ohne Notendruck aufrechterhalten werden kann. Für viele Schüler ist das Zeugnis nicht der einzige, wohl aber ein grundlegender Ansporn, um bei mangelnder Motivation auch für unliebsame Fächer zu büffeln.

Auf die älteren Jahrgänge kommen zusätzliche Herausforderungen hinzu: Der Übertritt in die Oberstufe ist dank den Winterzeugnissen und der Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium zwar zum Glück bereits geklärt. Jugendliche auf dem Sprung in die Berufswelt haben während dieser schwierigen Übergangsphase aber noch mit weiteren Unsicherheiten zu kämpfen – sei es, weil sie keine Schnupperlehre absolvieren können, ihnen die letzte Zeugnisnote für die Bewerbung fehlt oder die Lehrbetriebe wegen der Krise um ihr Überleben bangen.

Die Bildungsdirektion hat den Teenagern bereits zusätzliche Unterstützung zugesichert. Sie können bei ihren Lehrern neben dem notenlosen Zeugnis auch einen Lernbericht oder ein Referenzschreiben einholen. Es ist sowohl für die Jugendlichen als auch für das Gewerbe essenziell, dass diese Hilfestellungen reibungslos und unbürokratisch funktionieren. Die Unternehmen wiederum dürfen trotz Krisensituation nicht darauf verzichten, Lehrstellen auszuschreiben. Dies hätte nachhaltige Negativfolgen für das duale Bildungssystem und die wirtschaftliche Stärke des Kantons.

Für die Gymnasiasten ist zu hoffen, dass die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren und der Bundesrat möglichst rasch einen Entscheid für die Maturaprüfungen fällen. In einer Zeit, die geprägt ist von Prüfungsstress und Zukunftsängsten, ist eine zusätzliche Unsicherheit nur schwer zu ertragen.

Kluft zwischen den Schülern

Das Schweizer Bildungssystem hat seine Stärke bisher auch im Krisenmoment bewiesen. Öffnen die obligatorischen Schulen planmässig im Mai wieder ihre Tore, dürfte die grosse Arbeit mancherorts aber erst beginnen.

Wenn die Kinder wieder im Klassenzimmer sitzen, wird sich die Kluft zwischen starken und schwachen Schülern mehr zeigen denn je. Im Fernunterricht ist nicht nur die ausgleichende Wirkung des Schulzimmers, sondern auch die soziale Kontrolle entfallen.

Besonders die benachteiligten Schüler dürften Leidtragende der Ausnahmesituation sein. Die Befürchtung liegt nahe, dass die Corona-Krise bei einigen grosse Wissenslücken hinterlassen wird. Der Verzicht auf Zeugnisnoten mindert zwar den Druck auf diese Kinder. Es liegt aber im Interesse aller, dass sie schulisch und sozial den Anschluss so schnell wie möglich wieder finden. Denn nach der Krise werden ihre Leistungen wieder bewertet.


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