Die Verbindung stockt, und plötzlich sind nur noch abgehackte Sätze zu
hören. Mit solchen Problemen im Fernunterricht soll für viele Schweizer
Schülerinnen und Schüler bald Schluss sein. Am 11. Mai öffnen Primar- und
Sekundarschulen wieder. Dies hat der Bundesrat am Mittwoch vor den Medien in
Bern bekanntgegeben. Er bestätigt damit seinen Plan von Anfang April.
Fertig Fernunterricht: So sollen Schüler und Lehrer vor dem Coronavirus geschützt werden, NZZ, 29.4. von Larissa Rhyn und Erich Aschwanden
Schulen öffnen mit minimalen Auflagen, Blick, 29.4. von Ruedi Studer
Schulen öffnen mit minimalen Auflagen, Blick, 29.4. von Ruedi Studer
Die Kantone bestimmen die detaillierten Schutzmassnahmen für die
Schulen. Der Bund hat jedoch Grundprinzipien festgelegt. Darin gibt er keine
generellen Abstandsvorschriften vor. Kinder – insbesondere die Kleinsten –
sollen sich möglichst normal verhalten können. Dies gilt auch für den Schulweg
und die Pausen. Für ältere Schüler können die Kantone weitergehende Regeln
definieren. Maximale Klassengrössen schreibt der Bundesrat keine vor. Der
Unterricht muss also nicht zwingend in Halbklassen stattfinden. Gleichzeitig
mit den Schulen sollen auch die ergänzenden Betreuungsangebote in der ganzen
Schweiz wieder öffnen. Für sie gelten dieselben Regeln.
Alle Personen, die sich im Schulhaus aufhalten, sollen die Hygieneregeln
einhalten. Dazu gehört nicht nur regelmässiges Händewaschen. Die Kinder sind
auch dazu angehalten, ihr Essen nicht zu teilen. Hygienemasken hält
das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei Kindern derweil nicht für sinnvoll. Vor
allem kleinere Kinder könnten nicht richtig damit umgehen, sagte Daniel Koch
vom BAG.
Kinder sollen weniger ansteckend sein als Erwachsene
Kinder unter 10 Jahren scheinen sich nur selten mit dem Coronavirus
anzustecken und haben oft milde oder gar keine Symptome. Nur in den
seltensten Fällen erkranken sie schwer. Anfang Woche hatte Koch erklärt, dass
von kleinen Kindern keine Ansteckungsgefahr ausgehe – selbst im Kontakt mit
Risikogruppen wie über 65-jährigen Grosseltern. Er stützte sich dabei auf
verschiedene Studien. Die Datenlage ist jedoch nicht eindeutig, auch weil die
Zahl der unentdeckten Infektionen bei Kindern hoch sein könnte.
Müssen Eltern ihre Kinder auch dann in die Schule schicken, wenn diese
unter Vorerkrankungen leiden? Der Infektiologe Christoph Berger vom
Kinderspital Zürich sagte im Interview mit der NZZ, dass es gemäss bisherigen
Erkenntnissen keine besonders gefährdeten Gruppen unter den Kindern gebe. Daher
könnten alle wieder zur Schule gehen. Der Bund hebt zudem die generelle
Schulpflicht nicht auf. Daher müssen sämtliche Kinder wieder zur Schule, sobald
der Präsenzunterricht beginnt – sofern sie nicht krank sind oder mit einer
infizierten Person in Kontakt waren.
Kinder, deren Eltern zur Risikogruppe gehören, sollen ebenfalls am
Unterricht teilnehmen. Hier liegt es an den Schulen, bei Bedarf spezielle
Lösungen zu finden. Derweil sollen Lehrer aus der Risikogruppe so behandelt
werden, wie es die Notverordnung des Bundesrats für gefährdete Personen in
anderen Berufen vorsieht.
Ein «Flickenteppich» unterschiedlicher Lösungen
Thomas Minder, der Präsident des Verbandes Schulleiterinnen und
Schulleiter Schweiz, freut sich einerseits darüber, dass es für Schüler und
Lehrpersonen am 11. Mai wieder losgeht. Doch er hat auch Bedenken: «Ich
befürchte, dass die Schweiz zu einem Flickenteppich wird, weil die Kantone die
Vorgaben des Bundes ganz unterschiedlich umsetzen.» So ziehe der Kanton
St. Gallen den Halbklassenunterricht in Erwägung, während dies im Thurgau bis
jetzt kein Thema sei. «Wir akzeptieren, dass das vom Coronavirus viel stärker
betroffene Tessin und auch die Westschweiz eigene Wege gehen. Innerhalb der
gleichen Sprachregion sind Speziallösungen für alle Beteiligten aber schwer
verständlich», erklärt Minder.
Auch Dagmar Rösler, die den Dachverband Lehrerinnen und Lehrer
Schweiz präsidiert, bedauert, dass der Bundesrat nicht klarere Vorgaben macht:
«Es ist nicht vertrauensfördernd, wenn die Kantone nun stark unterschiedliche
Vorgaben machen. Wir hatten gehofft, dass der Bundesrat die Zügel noch stärker
in der Hand behält.» In den kommenden Tagen werde sich zeigen, ob es in der
Deutschschweiz tatsächlich zu einem Flickenteppich komme.
Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK)
zeigt sich erleichtert darüber, dass die jüngeren Kinder am 11. Mai in die
Klassenzimmer zurückkehren dürfen. Weiter begrüssen es die Bildungsdirektoren,
dass beim Schutzkonzept auf Vorschriften zur Distanz zwischen Schülerinnen und
Schülern verzichtet wird. Dies sei eine zentrale Voraussetzung für die
Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts. Mehrere Kantone wollen am Donnerstag
darüber orientieren, wie das Schutzkonzept für ihre Schulen angewandt wird.
Weiterführende Schulen bleiben geschlossen
Jugendliche erkranken etwas häufiger als Kinder unter 10 Jahren und
dürften auch ansteckender sein. Deshalb bleiben Mittel-, Berufs- und
Hochschulen vorerst geschlossen. Ihre Öffnung ist auf den 8. Juni angesetzt.
Definitiv entscheiden wird der Bundesrat aber erst Ende Mai – nachdem er die
epidemiologische Lage erneut analysiert hat.
An Gymnasien und Hochschulen dürfen ab dem 11. Mai grundsätzlich nur
Veranstaltungen mit weniger als fünf Personen durchgeführt werden. An manchen
Orten zählen die unteren Klassen des Langzeitgymnasiums jedoch zur
obligatorischen Schulzeit. Daher wollen vor allem Zentralschweizer Kantone den
Präsenzunterricht im Untergymnasium schon am 11. Mai wieder aufnehmen.
Keine schweizweite Lösung für die Maturaprüfungen
An den Berufsschulen gibt es dieses Jahr keine Abschlussprüfungen. Das
hat der Bundesrat entschieden. Bei der gymnasialen Matur, für welche die
Kantone zuständig sind, konnte jedoch keine einheitliche Lösung gefunden
werden. Der Bundesrat hat nur festgelegt, dass die schriftlichen Prüfungen
dieses Jahr nicht obligatorisch sein sollen. Entscheiden müssen die
Kantone.
Bereits vergangene Woche hatten einige Kantone mitgeteilt, dass sie nur
die Erfahrungsnoten zählen wollen. Sie mussten jedoch den
Bundesratsentscheid abwarten, weil es für den Prüfungsverzicht rechtliche
Änderungen braucht. Die Landesregierung hatte drei Möglichkeiten: Das
Maturareglement beibehalten und somit am Obligatorium für schriftliche
Prüfungen festhalten. Das Reglement anpassen und damit unterschiedliche
Lösungen ermöglichen. Oder die Prüfungen schweizweit absagen.
Bundesrat hätte eine einheitliche Regelung bevorzugt
Indem der Bundesrat den Entscheid den Kantonen überlässt, kommt er dem
Wunsch der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) nach. Diese hatte bereits letzte
Woche beschlossen, dass auf mündliche Prüfungen verzichtet werden soll. Dieser
Entscheid ist für die Kantone aber nicht obligatorisch. Die Schweizer
Hochschulrektoren und die Bildungskommission des Nationalrats forderten bei den
schriftlichen Prüfungen eine einheitliche Lösung. Eine solche hätte
eigentlich auch der Bund vorgezogen. Damit wären die Abschlüsse besser
vergleichbar gewesen. In einer Medienmitteilung schreibt der Bundesrat, dass
nach «langem Ringen unter den Kantonen» keine einheitliche Lösung zustande gekommen
sei. Daher habe es nun einen raschen Entscheid gebraucht.
Die Konferenz Schweizerischer Gymnasialrektorinnen und Gymnasialrektoren
hätte gemäss ihrem Präsidenten Marc König ebenfalls eine gesamtschweizerische
Lösung gewünscht. «Was jetzt aber zählt, ist eine sorgfältige Umsetzung des
Bundes- beziehungsweise Kantonsentscheids an jeder einzelnen Schule. Die
Rektorinnen und Rektoren werden ihre Aufgabe verantwortungsbewusst und
sorgfältig wahrnehmen», betont König.
Derzeit sieht es so aus, als würden die meisten Deutschschweizer Kantone
schriftliche Maturaprüfungen durchführen. Ausnahmen sind Zürich, Bern und
Basel. Sie wollen ihre Maturanden wie die Waadt, Genf und voraussichtlich auch
das Tessin weder mündlich noch schriftlich testen. Die Erfahrungsnoten sollen
für den Abschluss genügen. Der Zugang zur Universität ist sichergestellt. Was
mit schwachen Schülern passiert, die ihren Abschluss nur mit den Prüfungen
retten können, müssen die Kantone entscheiden.
Schon länger klar ist, dass es für Lernende eine schweizweite Lösung
gibt: Sie müssen keine schriftlichen Abschlussprüfungen absolvieren. Jede
Branche entscheidet jedoch selbst, ob und wie die praktischen Fähigkeiten
geprüft werden können.
Eine helvetische Spezialität: Wieder mal eine perfekte Lösung, um die Verantwortung an andere Stellen weiterzugeben. Bundesrat an EDK, EDK an Kantone, Kantone an Gemeinden, Gemeinden an Schulleiter, Schulleiter an Politik etc. Wenn es gut geht, ist alles gut. Wenn nicht, dann ist garantiert niemand dafür verantwortlich.
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