18. April 2020

Ausnahmezustand bleibt auch nach den Schulöffnungen


Wegen der Corona-Krise sind die Schweizer Schulen seit rund vier Wochen geschlossen. Kinder lernen zu Hause, Lehrer unterrichten aus der Ferne, und Eltern übernehmen nicht nur die Betreuung, sondern häufig auch pädagogische Aufgaben. Eine herausfordernde Situation für alle Beteiligten.
Die Jüngsten dürfen zuerst wieder an die Schule - doch die Unsicherheit bleibt, NZZ, 17.4. von Nils Pfändler und Johanna Wedl

Am Donnerstag hat der Bundesrat nun bekanntgegeben, wann die Schülerinnen und Schüler voraussichtlich wieder in ihre Klassenzimmer zurückkehren dürfen. Der Plan sieht vor, dass die obligatorischen Schulen am 11. Mai, die Mittel-, Berufs- und Hochschulen am 8. Juni wieder geöffnet werden.

Bundesrat Alain Berset (sp.) begründete die gestaffelte Öffnung vor allem mit dem Alter der Schüler. «Junge Kinder bekommen die Krankheit kaum und übertragen sie weniger», sagte der Innenminister. Zudem sei ihr Bewegungsradius geringer. Deshalb sei es aus epidemiologischer Sicht sinnvoll, dass die Jüngsten vor den Teenagern und jungen Erwachsenen zur Schule gehen könnten. 

Umsetzung ungewiss

Der Gesundheitsminister betonte aber, dass es auch in der Schule die Abstandsregeln und Hygieneempfehlungen zu berücksichtigen gelte. Das sei eine Herausforderung, die Bildungsinstitutionen müssten geeignete Schutzkonzepte ausarbeiten. Wie diese konkret aussehen könnten, liess der Bundesrat offen. Es blieben aber noch knapp vier Wochen, um Lösungen zu finden. 

Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerverbands (ZLV), ist froh, dass die Schulen noch Zeit haben, sich auf die Rückkehr der Kinder vorzubereiten. «Besonders die Distanzregeln sind extrem anspruchsvoll umzusetzen», sagt Hugi. Bei der Ausarbeitung der Schutzkonzepte seien die Kantone gefragt.

Laut Silvia Steiner (cvp.), Zürcher Bildungsdirektorin und Präsidentin der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, geht es in den kommenden Tagen darum, gemeinsam mit Schulverbänden und Gemeinden die Rahmenbedingungen zu klären. Es müsse diskutiert werden, was pädagogisch sinnvoll und umsetzbar sei. 

Der ZLV-Präsident Hugi betont, dass es ohnehin keinen nahtlosen Übergang zum normalen Unterricht geben werde. «Es wird eine Ausnahmesituation bleiben», sagt der Primarlehrer. Einige Kinder müssten nach den Wochen im Fernunterricht Schulstoff aufholen, gruppendynamische Prozesse hätten sich durch die Abwesenheit verändert, und auch ganz praktische Fragen stellten sich: «Händewaschen mit 24 Kindern dauert eine ganze Weile», sagt Hugi. Es bleibe weniger Zeit zum Lernen. 

Der Verbandspräsident fordert aufgrund der Ausnahmesituation, dass in der öffentlichen Schule dieses Semester keine Zeugnisnoten vergeben werden. «Eine Beurteilung im herkömmlichen Rahmen ist nicht möglich.»

Schüler als «Versuchskaninchen»

Ein Fragezeichen besteht weiterhin bei denjenigen Schülern und Lehrern, die zur Risikogruppe gehören. «Wer besonders gefährdet ist, gehört nicht in ein Klassenzimmer», sagt Hugi. Ähnlich klingt es auch beim Verband der Elterngremien im Kanton Zürich. Geschäftsleiterin Gabriela Kohler begrüsst die baldige Öffnung der Schulen. Insbesondere weil die Chancengerechtigkeit im Klassenzimmer besser gewährleistet sei als im Fernunterricht. Aber: «Die Gesundheit geht vor», sagt Kohler.

In anderen Ländern gehen bereits zahlreiche Eltern auf die Barrikaden und wollen ihre Kinder nicht in die Schule schicken. In Dänemark formierte sich eine Bewegung, die argumentiert, dass die Schüler keine «Versuchskaninchen» bei der schrittweisen Rückkehr zum Normalzustand der Gesellschaft sein dürften. Solche Stimmen habe sie hierzulande zwar noch nicht gehört, sagt Kohler. «Die Bedenken sind aber berechtigt. Wir müssen uns gut überlegen, in welcher Form die Schulen wieder geöffnet werden.»

Auch der Bundesrat ist sich dieses Problems bewusst. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (sp.) sagte, man sei auf Vertrauen angewiesen. «Wenn die Eltern Angst haben und ihre Kinder nicht in die Schule schicken, haben wir gar nichts gewonnen.»

Krippen fordern Klarheit

Offen bleibt auch die Betreuung in den Kinderkrippen. Estelle Thomet, Leiterin Region Zürich beim nationalen Dachverband Kibesuisse, kritisiert, der Bundesrat habe zu wenig klar kommuniziert, wie es dort weitergehen solle. Die Betreuungsinstitutionen seien momentan durchschnittlich zu fünfzig Prozent ausgelastet. Viele Eltern hielten sich nach wie vor an den Appell, ihre Kinder wenn möglich zu Hause zu betreuen.

«Die Kantone müssen sofort klarstellen, ab wann die Betreuungseinrichtungen wieder regulär geöffnet sind», fordert Thomet. Sie bedauert, dass es statt einer nationalen einheitlichen Lösung einen kantonalen Flickenteppich gibt. Sie geht davon aus, dass die Kitas und andere Tagesstätten spätestens ab dem 11. Mai wieder für alle Kinder uneingeschränkt offen sind. 

Erfahrungsnote für Lehrlinge

Klarer ist die Situation dafür bei den Jugendlichen, die eine Berufsausbildung absolvieren. Die rund 75 000 Lehrlinge sollen dieses Jahr ihr Diplom ohne schulische Prüfung erhalten, stattdessen werden Erfahrungsnoten erhoben. Praktische Prüfungen finden in diesen Berufen statt, wo sie unter der Einhaltung der BAG-Vorschriften möglich sind.
In welcher Form die Maturitätsprüfungen stattfinden, ist dagegen nach wie vor unklar. Laut dem Bundesrat wird über die Modalitäten bis spätestens Anfang Mai entschieden.

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