Wegen der Corona-Krise sind
die Schweizer Schulen seit rund vier Wochen geschlossen. Kinder lernen zu
Hause, Lehrer unterrichten aus der Ferne, und Eltern übernehmen nicht nur die
Betreuung, sondern häufig auch pädagogische Aufgaben. Eine herausfordernde
Situation für alle Beteiligten.
Die Jüngsten dürfen zuerst wieder an die Schule - doch die Unsicherheit bleibt, NZZ, 17.4. von Nils Pfändler und Johanna Wedl
Am Donnerstag hat der Bundesrat nun bekanntgegeben, wann die Schülerinnen und
Schüler voraussichtlich wieder in ihre Klassenzimmer zurückkehren dürfen. Der
Plan sieht vor, dass die obligatorischen Schulen am 11. Mai, die Mittel-,
Berufs- und Hochschulen am 8. Juni wieder geöffnet werden.
Bundesrat Alain Berset (sp.) begründete die gestaffelte Öffnung
vor allem mit dem Alter der Schüler. «Junge Kinder bekommen die Krankheit kaum
und übertragen sie weniger», sagte der Innenminister. Zudem sei ihr
Bewegungsradius geringer. Deshalb sei es aus epidemiologischer Sicht sinnvoll,
dass die Jüngsten vor den Teenagern und jungen Erwachsenen zur Schule gehen
könnten.
Umsetzung ungewiss
Der Gesundheitsminister betonte aber, dass es auch in der Schule
die Abstandsregeln und Hygieneempfehlungen zu berücksichtigen gelte. Das
sei eine Herausforderung, die Bildungsinstitutionen müssten geeignete Schutzkonzepte
ausarbeiten. Wie diese konkret aussehen könnten, liess der Bundesrat offen. Es
blieben aber noch knapp vier Wochen, um Lösungen zu finden.
Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerverbands (ZLV), ist
froh, dass die Schulen noch Zeit haben, sich auf die Rückkehr der Kinder
vorzubereiten. «Besonders die Distanzregeln sind extrem anspruchsvoll
umzusetzen», sagt Hugi. Bei der Ausarbeitung der Schutzkonzepte seien die
Kantone gefragt.
Laut Silvia Steiner (cvp.), Zürcher Bildungsdirektorin und Präsidentin der
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, geht es in den kommenden Tagen
darum, gemeinsam mit Schulverbänden und Gemeinden die Rahmenbedingungen zu
klären. Es müsse diskutiert werden, was pädagogisch sinnvoll und umsetzbar
sei.
Der ZLV-Präsident Hugi betont, dass es ohnehin keinen nahtlosen
Übergang zum normalen Unterricht geben werde. «Es wird eine Ausnahmesituation
bleiben», sagt der Primarlehrer. Einige Kinder müssten nach den Wochen im
Fernunterricht Schulstoff aufholen, gruppendynamische Prozesse hätten sich
durch die Abwesenheit verändert, und auch ganz praktische Fragen stellten sich:
«Händewaschen mit 24 Kindern dauert eine ganze Weile», sagt Hugi. Es bleibe
weniger Zeit zum Lernen.
Der Verbandspräsident fordert aufgrund der Ausnahmesituation, dass
in der öffentlichen Schule dieses Semester keine Zeugnisnoten vergeben werden.
«Eine Beurteilung im herkömmlichen Rahmen ist nicht möglich.»
Schüler als
«Versuchskaninchen»
Ein Fragezeichen besteht weiterhin bei denjenigen Schülern und
Lehrern, die zur Risikogruppe gehören. «Wer besonders gefährdet ist, gehört
nicht in ein Klassenzimmer», sagt Hugi. Ähnlich klingt es auch beim Verband der
Elterngremien im Kanton Zürich. Geschäftsleiterin Gabriela Kohler begrüsst die
baldige Öffnung der Schulen. Insbesondere weil die Chancengerechtigkeit im
Klassenzimmer besser gewährleistet sei als im Fernunterricht. Aber: «Die
Gesundheit geht vor», sagt Kohler.
In anderen Ländern gehen bereits zahlreiche Eltern auf die Barrikaden und
wollen ihre Kinder nicht in die Schule schicken. In Dänemark formierte sich
eine Bewegung, die argumentiert, dass die Schüler keine «Versuchskaninchen» bei
der schrittweisen Rückkehr zum Normalzustand der Gesellschaft sein dürften.
Solche Stimmen habe sie hierzulande zwar noch nicht gehört, sagt Kohler. «Die
Bedenken sind aber berechtigt. Wir müssen uns gut überlegen, in welcher Form
die Schulen wieder geöffnet werden.»
Auch der Bundesrat ist sich dieses Problems bewusst.
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (sp.) sagte, man sei auf Vertrauen
angewiesen. «Wenn die Eltern Angst haben und ihre Kinder nicht in die Schule
schicken, haben wir gar nichts gewonnen.»
Krippen fordern Klarheit
Offen bleibt auch die Betreuung in den Kinderkrippen. Estelle
Thomet, Leiterin Region Zürich beim nationalen Dachverband Kibesuisse,
kritisiert, der Bundesrat habe zu wenig klar kommuniziert, wie es dort
weitergehen solle. Die Betreuungsinstitutionen seien momentan durchschnittlich
zu fünfzig Prozent ausgelastet. Viele Eltern hielten sich nach wie vor an den
Appell, ihre Kinder wenn möglich zu Hause zu betreuen.
«Die Kantone müssen sofort klarstellen, ab wann die
Betreuungseinrichtungen wieder regulär geöffnet sind», fordert Thomet. Sie
bedauert, dass es statt einer nationalen einheitlichen Lösung einen kantonalen
Flickenteppich gibt. Sie geht davon aus, dass die Kitas und andere Tagesstätten
spätestens ab dem 11. Mai wieder für alle Kinder uneingeschränkt offen
sind.
Erfahrungsnote für Lehrlinge
Klarer ist die Situation dafür bei den Jugendlichen, die eine
Berufsausbildung absolvieren. Die rund 75 000 Lehrlinge sollen dieses Jahr ihr
Diplom ohne schulische Prüfung erhalten, stattdessen werden Erfahrungsnoten
erhoben. Praktische Prüfungen finden in diesen Berufen statt, wo sie unter der
Einhaltung der BAG-Vorschriften möglich sind.
In welcher Form die Maturitätsprüfungen stattfinden, ist dagegen
nach wie vor unklar. Laut dem Bundesrat wird über die Modalitäten bis
spätestens Anfang Mai entschieden.
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